Das «Trau, schau, wem» ist eine Lebensweisheit schon vor Zeiten des Internets. Die von Jona beschriebene Variante scheint mir eine besonders perfide zu sein, wenn sie mit mehreren Identitäten zielgerichtet vorgeht. Da muss man erst mal drauf kommen. Und es können.
Ich möchte dennoch aus diesem Thema noch etwas Positives leiern. Denn wie so oft gibt es auch eine Kehrseite.
Die Anonymität des Internets hat einen entscheidenden Vorteil: Alle haben den gleichen Start. Niemand sieht, dass ich querschnittsgelähmt bin, und ich kann das erste Mal im Leben mitdiskutieren, ohne dass aller Welt Blick als Erstes an meinem Rollstuhl haften bleibt, und ich dann nur noch hoffen kann, dass man diesen Ersteindruck im Gespräch wieder vergisst.
Ich kann als einsamer Ekel meinetwegen mal ausprobieren, wie es ist, wenn ich anderen freundlich begegne, ohne dass gleich mein Umfeld denkt «was is´n mit dem jetzt los».
Ich kann als wenig gebildeter Mensch mich vorher belesen, um auch mal zu spüren, wie es ist, mithalten zu können in Gesprächen und Diskussionen, die ansonsten immer so schnell verlaufen, dass mir die Schlagfertigkeit fehlt und ich mich unterlegen fühle und aussteige.
Ich kann als Mann mal meinen sehnlichsten Wunsch, ein Mädchen zu sein, rauslassen. Das ginge sonst nie, weil ich in meiner Straße und in der Umkleidekabine meiner Fußballmannschaft sonst verschissen hätte.
Ich kann als Lebenslooser mal den Großkotz spielen, der auftrumpft.
Ich kann mich 5 Jahre jünger machen *g. Das ist zwar den anderen wurscht und tut niemandem weh, aber ich fühle es, wenn ich die Augen schließe und ich an der Tastatur sitze.
Jeder Autor klaut Identitäten, wenn er schreibt. Nur ist das dann offensichtlich, auch dem Leser. Ich liebe es, beim Schreiben in andere Personen zu schlüpfen, und kaum eine Zeile meiner Geschichten ist authentisch. Wären sie es, würde ich sofort mein Tun einstellen, weil ich doch nicht mich präsentieren will, sondern meine Figuren.
Vielleicht habe ich etwas übersehen. Im Kino sitzen doch auch alle im Dunkeln und keiner stört sich daran und alle identifizieren sich mit irgendetwas, meist gerade mit dem, was man nicht ist. Das nennt man Träumen und Phantasieren. Ich hoffe, im Himmel (oder auch der Hölle) gibt es keinen Personalausweis mehr und ich darf mir eine Kleidung wählen.
Zu der von Jona beschriebenen Variante: Wer es schafft, sich als Dom monatelang in einer Mädels-Sub-Gruppe unerkannt zu gehaben, muss entweder über ganz schön viel soziale und kommunikative Kompetenz verfügen, oder/und irgendwie doch heimlich ein Mädchen sein. Vielleicht ist er es, der das zuallerletzt merken würde?