Bester Söldner,
Pervers, abartig, krank! Ich kann mich nicht kurzfassen, Du ja auch nicht. *g
*** Vorsicht Spoiler.
Volker und Verena leben im brandenburgischen Umland von Berlin. Er ist Hobby-Schrauber, sie Steuerberaterin. Hinter der von Routinen bestimmten bürgerlichen Fassade pflegen die beiden ein illustres Intimleben, in dem sich Phantasie und Wirklichkeit berühren. Und manchmal auch nicht.
Erst mal vorweg: Deine Geschichte wirkt auf mich unproportioniert. Wie eine schlanke Frau mit Ödemen um die Knöchel. Die Einleitung wäre – etwas geschärft - in einem Artikel oder Blog besser aufgehoben. Sie folgt auch dem möglichen Aufbau eines solchen: Teil 1 Psychopathogenese, Teil 2 Einvernehmlichkeit im BDSM, Teil 3 Autonomie und „gesunde Aggression“.
Erst Teil 4 (das sind knapp 60 Prozent) ist gegenwärtige Beziehung, womit die Geschichte beginnt. Zusammengehalten werden beide Teile durch präzise Zeitangaben, was als Klammer nicht reicht. Die machen aber später Sinn, weil sich daran in etwa ablesen lässt, wie lang Verena in ihren quälenden Prozeduren real oder phantasiert etwa aushalten muss. Spanischer Reiter, Brusthängung, Nadelung, Analverkehr, Petplay.
Die Reflektionen in der Einleitung sind spannende Versuche von Verena, ihren Neigungen und den damit verbundenen gesundheitlichen, juristischen, sozialen „Skrupeln“ auf den Grund zu gehen. Tief kommt sie nicht. Eher verborgen ist der Schlüsselsatz „Wie soll ich erklären, dass mich mein Peiniger gleichzeitig auch beschützen, lieben soll?“ Auch ihre Versuche, Gewaltformen zu unterscheiden und notwendiger sozialer Kompetenz im Sich Abgrenzen gegenüber zu stellen, sind für eine Geschichte zu lang, für eine Abhandlung zu kurz. Aber überaus interessant. Ärger im Straßenverkehr ist ein lasches Beispiel, Söldner, wenn auch nicht falsch.
Die eigentliche Geschichte folgt erst noch. Es ist weniger die scheinbare Passung zweier Menschen. Eher der liebevolle Versuch Volkers, seiner Geliebten nahe zu kommen. Ihr Grundmotiv ist das des Gesehenwerdens im Leiden. Deshalb die Protokollantin im Phantasie-Folter-Team, die Fotos, die Drohne, … die Außensicht auf sich selbst. Das ist der Wunsch, wahrgenommen werden zu wollen. Look at Me. Aber so wenig wie die zwei Sadisten aus Verenas Vorleben, sowenig schafft es Volker, sich perfekt in Verenas Todessehnsüchte (ja, letztlich phantasiert sie auch solche), einzuschmiegen. Zum Glück. Er versucht Verena kraft seiner Dominanz, dass sie allein ihn als EINZIGEN in ihrem Ensemble DEN Platz zuweist: Als Täter und Beschützer gleichzeitig. Und er weiß, dass sie es weiß, und sie weiß, dass er es weiß, und sie treffen sich auf dieser Mitwisser-Ebene, aber nie wird er als Mann aus Fleisch und Blut ihren totalen Phantasien den Platz bekommen, den er sich als Sadist wünscht. Fast ein Eifersuchtsdrama: Ich als Sadist gegen ihre totalen Phantasieinhalte.
Und doch schaffen es die beiden sich sehr, sehr nahe zu kommen, nämlich im geteilten Wissen umeinander. Gegen die Macht der Phantasie kommt Volker nicht an, aber er folgt Verena, in ihren dunklen Keller hinab, viele Treppenstufen ins Dunkle hinein, dessen Grund sie selbst gar nicht sehen mag.
Söldner, Du hast eine sehr, sehr starke Geschichte geschrieben. Die Dialoge zwischen Verena und Volker sind Intimität pur. Und nicht erfunden, garantiert nicht.
Wie nah können sich zwei Menschen kommen im Dunklen? Sie treffen sich wie die Parallelen erst im Unendlichen, was immer das sein mag. Und der Zwischenraum ist geteilte Phantasie und Mitwisserschaft.
Mir fällt ein Motto zu den Personen Deiner Geschichte ein: Nur weil man fliegen kann, ist man noch lang kein Vogel.