Danke sehr!
Der Eindruck, die Geschichte habe sich homogen entwickelt und der Ausgang die Autorin selbst überrascht, hält sich auch nach dem zweiten und dritten Lesen.
Der Titel: Mutig, klar, überraschend -nachdem sich die Geschichte auftut und ich mitgenommen werde, ob ich nun will oder nicht.
Zwei Menschen, unabhängig voneinander, offensichtlich ganz und gar mit sich beschäftigt, lösen sich nicht von der realen Welt oder werden herausgeschält. Nein, sie leben mitten unter uns, könnten ich, du, er, sie, es, wir, ihr, sie sein, und drängen sich doch nicht auf. Sie nehmen mir auch nicht die Luft, mein Leben weiter als mein Leben zu lieben.
Auch ich sass schon in einem Zug, auch ich ging schon durch einen Bahnhof, sass in einem Cafe usw., finde mich in den Eindrücken wieder, auch wenn ich vielleicht etwas ganz anderes gedacht habe an den betreffenden Orten.
Die Autorin erzählt, gibt her, lässt sehen und das gelingt hier auf bezaubernde Weise authentisch.
Der schmale Steg zwischen realistischer, feingliedriger Beobachtungsgabe und schlichtem zweckdienlichen Kitsch wird von ihr kilometerbreit auseinandergezogen und ist bedeutungslos.
Kein Wort wird zum Zweck, es geht nur um den wachen und somit mutigen und ohne Selbstschutz beschriebenen Blick ins Leben. Und das findet der Leser genau an den Zipfelchen, die üblicherweise untergehen und wenig oder keine Beachtung finden.
Die Zugfahrt ist beschrieben, dass ich meine, den Geruch des Abteils aufnehmen zu müssen, ich höre das Rattern des Zuges und das Öffnen und Schliessen der Tür. So geht es mir mit allen Beschreibungen, ob nun der Szene im Bahnhof oder anderswo….eine alte Dame geht, ihren Wagen schiebend, durchs Bild.
Hochachtung, nur selten habe ich etwas gelesen, was in seiner Reihenfolge stimmt, weil Abläufe, Handlungsstränge sich nicht gegenseitig überholen oder der erste Schritt erst nach dem dritten folgt, um einen besonderen Ausgang zu zelebrieren. (zuerst das Geräusch, dann die andere Haltung damit der Blick dorthin möglich ist, dann das Sehen, dann das Reflektieren, dann die Erkenntnis usw) Einfach wirklich handwerklich klasse gemacht.
Damit vermag es die Autorin, -das -nach -innen -Leben- zu zeigen. Intimität wird ohne Zuckerguss transportiert, ohne den Schmus emotionaler Höhenflüge, Selbstmitleid oder Ruf nach Verständnis, Bestätigung oder anderem Beiwerk.
Die Protagonisten werden nicht extra bekleidet und auch nicht entkleidet, ihnen werden keine Worte in den Hals geschoben, sie werden nicht gezwungen etwas auszudrücken. Sie sind wie sie sind, am Morgen etwas zerknittert, irgendwann dann einfach lebhafter, schöner, ausgeschlafener, hilflos vielleicht, apathisch möglicherweise, unruhig manchmal, sie möchten weinen, schreien, laufen, leben, sterben, allein sein, die zweite Hälfte finden, was auch immer----< sie leben uns unser Leben vor, ohne genauso zu leben, wie ich, du, er, sie ,es, wir , ihr, sie.
Es wird nichts erklärt. Das finde ich fabelhaft. Der Überraschungseffekt ist, gerade das macht die Geschichte glaubhaft.
ich Realistin bin geneigt, trotz meiner Überzeugung, dass es „so was“ nicht gibt, sicher zu sein, dass sich zwei Menschen auf diese Weise finden können. Beim Lesen nimmt mich der Gedanke mit, es sei ebenso möglich, wie sich Menschen nach eigener Aussage in einem mittelprächtigen überfüllten Chat finden, der für mich nur aus inhaltlosem Begrüssen und Bussien von Menschen besteht, die sich adoptieren liessen von dem www, oder bei einer SM- Party, die für mich den Inhalt der Köfferchen hinter der Bedeutung der einzelnen Besucher zurückstehen lässt.
Was mir wirklich gefällt und mich begeistert, ist die Tatsache, dass ich beim Lesen ein Fenster aufmache, mehr nicht. ich nehme wahr, darf das, will das und somit beginne ich zu erkennen und….zu glauben, obwohl das der Autorin gar nicht wichtig zu sein scheint.
Wir Menschen glauben, was wir glauben wollen, weil wir nachempfinden und gönnen. Den beiden glaube ich, weil die Autorin mich sehen, nachempfinden lässt und mir gönnt, mich entweder nicht darin zu spiegeln oder es doch mutig zu tun, denn das Bekenntnis zur Sehnsucht ist öffentlich nur dann leicht, wenn die Öffentlichkeit auf der Seite des Bekennenden ist.
Der Autorin ist das egal, sie gibt sich Preis, weil sie die Figuren ihrer Geschichte leben lässt.
Der Mut zum Leben zu stehen, es zu beschreiben und nicht auf die Möglichkeit zu achten, ob jemand versteht, warum jemand so lebt, ist ausserordentlich klar herausgearbeitet.
Und: ich kann mich des Eindrucks nicht entziehen, die Geschichte hat sich geschrieben und der Ausgang die Autorin selbst überrascht.
Wäre es nicht so, würde das die Gabe der Autorin nicht schmälern, es zeigte nur, sie kann es eben.
Danke sehr, ich werde mehr von Dir suchen.
@pursoumise