Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, muss ich trotzdem nochmal ein paar Worte dazu loswerden.
Geht es wirklich noch darum, ob und wie jeder für sich selbst entscheidet, seine Neigung bekanntzugeben - oder eben auch nicht? Oder geht es vielmehr darum, dass das möglicherweise von dritter Seite in die Welt hinausposaunt wird? Egal ob ungewollt oder mit ganz klaren Absichten.
Ich denke, bis auf diejenigen, die ein gerüttelt Maß an exhibitionistischen Neigungen mitbringen, sind wahrscheinlich die allermeisten - so vermute ich - der Meinung, dass ihr Sexualleben ihre Privatsache ist und niemand anderes etwas angeht. Was doch überhaupt nicht in Frage gestellt wird.
Wer damit freier umgehen möchte, kann dies auch auf entsprechenden Parties und Veranstaltungen ausleben, ohne dass er dadurch anderen Menschen, die damit nichts anfangen können, auf die Füße tritt. Es ist also für alle Bedürfnisse genügend Spielraum vorhanden. Zumindest theoretisch.
Wer seine Neigung nicht offenbaren will, muss es doch auch nicht. Und selbst wer für sich persönlich entscheiden würde, dass es egal ist, ob das Umfeld davon erfährt, hat vielleicht Familie, Kinder, auf die Rücksicht genommen werden muss und versucht es deswegen so geheim wie irgend möglich zu halten. Sprüche in Kita oder Schule wie "das ist die mit der perversen Mutter" oder "dem sein Vater ist 'ne Lusche, der lässt sich von Frauen schlagen" möchte wahrscheinlich keiner provozieren. Diese Verantwortung für andere auszublenden halte ich für unverantwortlich.
Das hab' ich auch zu berücksichtigen, wenn ich mich freiwillig in die Öffentlichkeit begebe, denn man muss immer damit rechnen, dass dabei jemand davon erfährt, der es vielleicht besser nicht wissen sollte. Zufällige Begegnungen auf einer entsprechenden Messe oder einschlägigen Party können immer geschehen. Wenn ich das vermeiden möchte, muss ich bei der momentan herrschenden Intoleranz der Gesellschaft tatsächlich in den heimischen vier Wänden bleiben.
Das grundlegende Problem besteht aber doch darin, daß man trotz aller Vorsicht und vielfach getroffenen Vorkehrungen trotzdem nicht davor gefeit ist, dass von den eigenen abartigen Vorlieben etwas nach außen dringt. Denn es gibt leider viel zu viele bösartige Menschen und/oder saudumme Zufälle, die dazu führen, dass man zwangsgeoutet wird, so sehr man sich auch angestrengt hat, dass keiner etwas davon erfährt, dass doch alles sehr privat bleibt.
Denn leider kann man sich in der Realität weder auf Diskretion noch auf die Wahrung der Privatheit und der eigenen Intimsphäre durch Andere verlassen. Für mich hat es jedoch den Anschein, dass sehr viele der Meinung sind, dass sie so etwas auch nicht benötigen, da sie Indiskretionen prinzipiell ausschließen und deswegen - für sich selbst und ihre persönliche Situation - keine Öffentlichkeitsarbeit brauchen. Ja, das mag für den eigenen Einflussbereich erstmal durchaus so gelten - möglicherweise aber nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich die persönlichen Verhältnisse vielleicht in irgendeiner Art und Weise ändern. Aus der eigenen aktuellen „Nicht-Betroffenheit“ aber zu schließen, dass sie generell unnötig sei, halte ich für einen Trugschluß. Öffentlichkeit herstellen heißt für mich aber nicht, dass ich meinen Mann mit der Peitsche durch den Discounter prügel oder im Lederoutfit ins Büro gehe. Gute Öffentlichkeitsarbeit heißt für mich, dass man sich im Endergebnis eben nicht mehr verstecken "muss".
Es gibt sicherlich mehr, aber meiner Meinung nach mindestens zwei gute Gründe für Öffentlichkeitsarbeit:
1. Die Enttabuisierung und damit „Normalisierung“ von BDSM in der Gesellschaft
2. Jugendliche und junge Erwachsene, die diese Neigung bei sich gerade entdecken
Zu Punkt 1. Der Idealzustand wäre meiner Meinung nach, wenn BDSM in der Gesellschaft als ganz normale, selbstverständliche Variante der Sexualität wahrgenommen wird.
Wenn das Zwangsouting durch böswillige Personen keine Folgen mehr hätte, weil eben das Outen von Alltäglichem keine Sensationslust mehr befriedigt und auch sonst folgenlos bleibt.
Wenn kein Elternteil mehr befürchten muss, bei einer Trennung Probleme mit dem Jugendamt oder gar Sorgerechtsstreitigkeiten zu bekommen, weil der/die Ex aus dem Wissen über die sexuelle Vorlieben Kapital schlagen will und aus Rache den/die ehemalige Partner/in zur Erziehung als ungeeignet abstempeln lassen will.
Wenn Menschen, die beruflich oder in ihrer Freizeit mit Kindern arbeiten (Trainer, SozPäds, Kindergartenpersonal, etc.) nicht mehr diskreditiert werden können „weil so jemanden Perverses der Umgang mit Kindern doch verboten werden muss“.
Wenn es keinen Sinn mehr macht, jemanden in der Personalabteilung anzuschwärzen, wenn es um die Eignung für eine Managementstelle geht, weil jemand mit submissiven oder gar masochistischen Neigungen für eine Führungsposition doch schließlich ungeeignet sei. Oder im schlimmsten Fall tatsächlich den Arbeitsplatz kostet, weil solch ein Verhalten unvereinbar mit den Anforderungen des Arbeitgebers ist.
Wenn es folgenlos bleibt, den politischen Gegner mit seinen BDSM-Aktivitäten an den Pranger zu stellen, um im Wahlkampf zu punkten.
Wenn die ehemals beste Freundin Geheimnisverrat begeht, um sich in der Clique wichtig zu machen, letztendlich damit nichts bewirkt, außer als Ergebnis für ihr asoziales Verhalten selbst abgestraft wird.
Wenn also die Tatsache, dass jemand BDSM praktiziert - in welcher Form auch immer - , niemand mehr hinter dem Ofen hervorlockt. Wenn das Weitertratschen, das Enthüllen des vermeintlich schmutzigen Geheimnisses beim Gegenüber nur noch ein müdes Gähnen, ein Schulterzucken und vielleicht noch ein gelangweiltes „Ja, und?“ hervorruft.
Dann war die Öffentlichkeitsarbeit erfolgreich. Im stillen Kämmerlein wird man das nicht erreichen. Und wer davon nichts hält, braucht ja auch nicht mitmachen.
Nur mit eigenem Selbstbewusstsein kann man in solchen Fällen absolut nichts ausrichten.
Zu Punkt 2. Stellen Jugendliche in der Pubertät oder auch junge Erwachsene fest, dass das, was die Kumpels oder die Freundinnen anmacht, worüber in der Clique, in der Klasse, im Verein oder wo auch immer geredet wird, einen selber nicht berührt, einen aber „seltsame Dinge" triggern, dann ist eine „Mut machende“ Anlaufstelle wichtig. Menschen ähnlichen Alters, an die man sich wenden kann, die einem erklären, dass man nicht alleine ist, dass man weder krank ist und geheilt werden muss, und das, was einen antörnt, eben nicht pervers ist, sondern ganz normal. Finden Betroffene weder in Schule oder Elternhaus Unterstützung - was vermutlich eher selten ist, können diese Vereinigungen die eigene Verwirrung, das Gefühlschaos mit sachlichen Informationen ordnen und eventuell sogar vorhandenen Schuldgefühlen die Grundlage entziehen.
Es existieren schon genug Seiten mit teils gefährlichem Quatsch zu diesem und verwandten Themen, die einer Richtigstellung bedürfen und ein entsprechendes Gegengewicht benötigen.
Und ja, die Öffentlichkeitsarbeit existiert noch. Gerade zu dem zweiten Punkt sind zum Beispiel die SMJG zu nennen und JungeSMünchen. Wer sich ernsthaft über deren Ziele und das „Warum und Wozu überhaupt“ informieren möchte, kann dies auf den entsprechenden Webseiten tun.
Und wo sonst, wenn nicht auf öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen, sollte man denn Aufmerksamkeit erzielen können?