Ich stieß eben auf den Text, der zur Diskussion stehen wird. Er wird zufällig ausgewählt. Ich hätte ihn nicht ausgewählt, weil es nichts zu diskutieren gibt. Aber etwas anderes: Nicht nur ich werde mich an diesen Tag erinnern; jedoch nicht an 9/10 und nicht an 9/12. Das haben schlechte Nachrichten so an sich. Sie ziehen nicht nur eine Gedächtnisspur, sondern verursachen einen Riss oder gar einen Bruch in der zeitebenen Gedächtnisfläche.
Das sind so Momente, wo Worte zu kurz greifen, sondern Rituale wie ein Auffangbecken den Dammbruch auffangen sollen. Die Kerze in der Geschichte zum Beispiel. Das Geschenk, das zurückgelegt wird, sogar in der Steinzeit schon mit ins Grab gegeben.
Auch in der Geschichte sind die zwei Gesichter der Trauer eingefangen: die Trauer der Zurückgelassenen oder gar sich verlassen Fühlenden um sich selbst (Selbstmitleid), und die Trauer um die Gegangenen. Deswegen hat man zwei Augen und zwei Tränendrüsen.
Rituale können helfen, wo Worte versagen. Rituale, über die man in guten Zeiten vielleicht die Nase rümpft, solange man zu den Verschonten gehört.
Das ist vielleicht die Verbindung zum BDSM, denn auch dort haben Rituale ihr Zuhause. Jeder Text auf diesen Seiten ist nur ein Versuch, etwas einzufangen, das nie endgültig und perfekt zu beschreiben wäre.
Wir sehen die Nachrichten und hören Zahlen von Opfern. Sind 20.000 doppelt so viel wie 10.000? Der Text verweist darauf, dass hinter der Vielzahl immer Einzelfälle sind, die nicht addierbar sind. Und vor allem: auch nicht gegeneinander aufrechenbar. Auch heute ist der Kummer groß in der Weltpolitik. Ein Kind ist ein Kind, ein Partner ist ein Partner, ein Vater ist ein Vater …
Die EINS ist nicht die Hälfte der zwei. Und nicht ein Drittel der drei. Nur in der Rechenkunst ist das so. Die eins ist alles. Das hat sogar theologischen Gehalt; für den, der´s mag (und Monotheist ist).
Das Gegenüber ist alles. Besonders als Einzelfall. Ein Volk kann man nicht lieben, das wäre irrwitzig. Eine Ideologie auch nicht, das wäre vernarrt.
In der Geschichte wirbelt die Rose Staub auf. Manchmal tut das gut.
Meine erste Beerdigung, die ich erlebte, schockierte mich als Kind, weil im Anschluss, spät abends nach den Anekdoten und reichlich ´sprituellen´ Getränken gelacht wurde und noch später sogar Ausgelassenheit herrschte. Der Hauptperson hätte das gefallen, erfuhr ich später.
Die Überlebenden sollen weiterleben, und zwar möglichst gut, weil das im Sinne derer ist, denen das ab heute versagt bleibt.
Später kommt ab und zu die Trauer, manchmal auch die eigene Angst vor der eigenen Zerbrechlichkeit und mehr noch der der Liebsten und Anvertrauten.
Und da „Who knows …“ in einem erotisch ausgerichteten Forum steht:
Libido ist nicht nur sexuelle Antriebslust. Sondern Lebenslust ganz umfassend. Sie ist auch in einem Gärtnerei-Forum zu finden, weswegen es eine solche Rubrik auch auf den Schattenzeilen gibt. Nur eine Gedenk-Rubrik gibt es noch nicht; falls wir es überhaupt je erfahren würden, wer sich ausloggt.
Gestorben sind Mitmenschen erst dann, wenn sich niemand mehr an sie erinnert. Der Text ist einige Tage nach 9/11 entstanden. Aber mir kommt´s wie gestern vor.
Noch etwas: 9/11 und Ähnliches wird in den Medien als Tragödie bezeichnet. Das ist falsch. Eine Tragödie stellt sich zwangsläufig, schicksalhaft, ein. In der griechischen Tragödie liegt ein Fluch auf der zukünftigen Entwicklung, und die ist unentrinnbar. Ein Ödipus ist nicht mit Attentätern zu vergleichen.
Und dann stellt sich zur Trauer auch der Zorn ein. Ein Erschrecken ganz anderer Art als über eine schlechte Nachricht. Das Erschrecken nämlich vor dem freien Willen.
Dass Freiwilligkeit im BDSM so ähnlich klingt, ist hoffentlich ein reiner Zufall der deutschen Sprache.