Warum ich mich an den ersten Mittwoch nach den Herbstferien meines 12. Schuljahres so ausgezeichnet erinnern kann?
Es war der Tag, an dem mich Zofia zu sich bestellte.
In den 24 Jahren, die seither vergangen sind, versuchte ich, das, was ich an diesem Abend über mich erfahren sollte, mit aller Willenskraft zu verdrängen, es zu banalisieren oder zu beschönigen, es zu ignorieren, ins Lächerliche zu ziehen oder als Einbildung unter dem Einfluss halluzinogener Substanzen abzutun. Doch, je mehr ich mich darum bemühte, Zofias Lektion zu vergessen, umso mehr brannte sie sich in mein Bewusstsein ein - ganz zu schweigen von meinem Unterbewussten.
Mittlerweile begreife ich, dass die Selbsterkenntnis, die dieser Abend nach sich zog, die Singularität in der Mitte meiner Galaxis erschuf, deren Gravitationskräfte ihr Zusammenhalt und Stabilität verleihen.
»Du machst jetzt keinen Rückzieher, Richie!« Niklas, mein bester Freund, schubste mich über den Pausenhof, gefolgt vom Tross unserer üblichen Clique. »Wir alle sind da durch! Sogar Kathrin! Heute ist Schluss mit der Drückerei!«
»Du kannst deine Reifeprüfung an dieser Schule nicht ablegen«, unterstützte ihn One-Stef (... wir hatten drei Stefans in der Gang, deshalb waren sie gewissermaßen durchnummeriert), »wenn du nicht der Heiligen Zofia deine Aufwartung gemacht hast!«
»Das ist so ein ... Initial-Dings«, ergänzte Zwo-Stef hilfreich. »Wie heißt das gleich?«
»Initiationsritus«, half Niklas.
Alle murmelten ernst nickend Zustimmung.
»Was die Zof mit ihren Händen macht«, ergänzte Zwo-Stef verträumt, »ist eine Offenbarung. In 15 Sekunden bringt sie deinen Dödel in einen Zustand - das kriegst du mit zwei Tagen Dauereumeln nicht hin.«
One-Stef klatschte ihm mit der flachen Hand gegen den Hinterkopf.
»Mensch, du Schwachmat, hast du eigentlich irgendwas anderes im Kopf als deine ewige Wichserei? Ein wenig Respekt bitte! Diese Frau ist eine Künstlerin. Nicht mehr und nicht weniger.« Zwo-Stef hob zum Zeichen der Kapitulation beide Hände und zog sich einen Schritt zurück.
»Richie«, wandte sich Niklas wieder an mich. »Zofia versteht dich - versteht deinen Körper auf einen Blick besser als du selbst es je tun wirst! Die lässt dich durch pure Gedankenkraft hart werden. Ohne irgendwas zu tun!«
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