Bei expressiven Texten spüre ich eher den Appell an mich als Leser, auch meine Reaktionen mitzuteilen. Was sich in mir regt, ist mir dann zugänglicher, weil die Reize ja auch plakativer sind.
Zunächst: Bis zu dreiviertel der Textlänge war ich angetan von den Beschreibungen. Dann kippte es. So wie die Hauptdarstellerin im Text ja auch „kippt“. Das letzte Viertel wirkte auf mich angeflanscht.
Thema „Alter“: dies ist ja nur das Stellvertreterwort für vieles, was das Alter für Anforderungen stellt ans Selbstbild und ans Beziehungsleben. Das ist kein Stoff für „Schöngeschichten“. Das allein stehende Wort Krebs, ein eigener Absatz, ist so ein Plakat. Die Verluste und körperlichen Zufügungen sind ausgefeilt dargestellt.
Was den Text zum Glück aus einer Betroffenheits- oder Erbauungssparte abhebt, sind die Eigentümlichkeiten der Hauptperson, deren unverwechselbarer Charakter und deren Vorleben, was „Erzählbarkeit“ herstellt. Und das wirkt nicht künstlich.
Dann gewann ich den Eindruck, die Geschichte bricht unter ihrem Eigengewicht verschiedener Themen zusammen. Das Motiv „Frankenstein“, der ja auch etwas aus unverträglichen Teilen zusammennähte, um es wieder aufleben zu lassen, passt haargenau zur Architektur der Story. So wie die neuerfundene Elektrizität Leichenteile wiederbeleben sollte, so soll jetzt die BDSM-Gesundfickerei ein Wunder bewirken?
Entweder ist die Abflachung der Geschichte romantische Ironie, oder die Geschichte sollte am Ende noch per dominanter Strenge zu einer verträglichen BDSM-Geschichte werden. Ich mag das nicht entscheiden. Im ersten Fall wär es ein Zuviel angesichts schwerwiegender Themen, im zweiten Fall ein Zuvorkommen an eine Leserschaft, die das Motiv „Der Graf und die Näherin“ im BDSM erwartet (trotz Alter und Krankheit). Das pathetische Happy-End lässt das anfangs nachvollziehbare Leiden auf einmal oberflächlich erscheinen. Das ist mein Problem, das ich mit der Geschichte habe.
Okay, jetzt sind wir bei Glaubensfragen, was mit einem Text nur noch bedingt zu tun hat. Dass BDSM, der an Scham- und Selbstbildgrenzen herumhantiert förderlich und schädlich sein kann, davon bin ich ebenfalls überzeugt. Das ist im Text glänzend vorbereitet. Dass es zur Lösung dann das absolute Ideal- und Gegenbild von einem Gegenüber braucht, zeigt, dass die Protagonistin in der Bewältigung ihrer persönlichen Lebensumstände noch nicht einmal begonnen hat und dass das, was an Unwetter beschrieben ist, nur das Wetterleuchten dessen ist, was noch kommt.
Vielleicht geht es darum in dem Text. Denn wenn schon die lahme Pfütze Ostsee „dramatisch“ erscheint, was wird dann erst an der Nordsee abgehen? Denn dann bräuchte es einen göttlichen Poseidon mit der Dreizack-Lanze.
Ach ja, BDSM kann alles, amor vincit … *seuzf* Ich bin nur zu feige daran glauben zu wollen, um mich vor der Enttäuschung zu schützen, wenn´s dann doch nicht so ist. Wünschen wir uns nicht, dies bis auf den Grund austesten zu müssen. Grenzlagen lieber in Geschichtsform durchspielen.