BDSM und das Alter(n)
Nun ja, ich kann nur für mich, oder für meinen Partner und mich sprechen.
Erste Frage, die sich mir stellt: was konkret ist „… im Alter“. Wo, mit welcher Anzahl an Lebensjahren beginnt „das Alter“? Mit 30, 40, oder vielleicht doch erst mit 70 oder 80?
Ich kenne 40-Jährige, die sich verhalten, als wären sie schon scheintot und fitte 70-Jährige, die vor Lebenslust nur so sprühen . Wir haben uns dasselbe Ziel vorgenommen wie Stefan Frädrich, der mal den Wunsch äußerte, mit 104 beim Joggen vom Bus überfahren zu werden. Ich habe aber auch Bekannte, die jetzt mit Mitte 50 sagen, es reicht ihnen, die 75 zu vollenden, sie wollen gar nicht älter werden. Und das, obwohl sie gesund sind.
Was ich aber als jeweilige Gemeinsamkeit bei den beiden Gruppen glaube, herausgefunden zu haben ist folgendes: die einen haben Spaß am Leben und die anderen nicht.
Bei Geburtstagen zum 50sten wird schon Resümee gezogen über das bisherige Leben, als ob das schon alles gewesen sei. Für mich hat das schon etwas gruseliges. Mit dabei etliche grummelige, teilweise schon fast verbitterte Paare ab Mitte 40, Anfang 50, die Kinder aus dem Haus, man hat sich nichts mehr zu sagen, und mit der Erotik ist es auch schon lange vorbei. Man lebt neben-, aber nicht mehr miteinander.
Wenn jetzt einer von beiden versucht, oder im Idealfall beide, einen Neuanfang zu wagen und dabei vielleicht auch das Thema BDSM ausprobieren möchte, kann das klappen, aber auch gewaltig daneben gehen, wenn es ein einseitiger Wunsch bleibt. Etwas Neues zu versuchen, anstatt wieder in den altbekannten Trott von vor vielen Jahren zu verfallen, mag der neu erwachten Sexualität Auftrieb und den nötigen Kick geben. Vielleicht nicht in der massiven Ausprägung, sondern mit eher vorsichtigen Versuchen, die bei allen „richtigen“ (was immer das heißen mag) BDSM’lern allenfalls ein Schmunzeln hervorrufen würden. Aber meiner Meinung nach funktioniert das nur, wenn die Grundlage im Innersten, das Interesse dafür grundsätzlich vorhanden ist, vielleicht schon immer da war. Und wenn dem so ist, was wäre daran schlecht? Wenn BDSM oder Ansätze davon, nicht als Sexualpraktik für sich allein genommen, aber im Kontext eines wiedergefundenen gemeinsamen Liebeslebens, ein Paar wieder zueinander finden lässt, was kann es Schöneres geben?
Wenn ich jetzt von meinem eigenen Alter ausgehe, kommt noch ein zweiter Aspekt hinzu, den man nicht vernachlässigen sollte.
Im Gegensatz zu heute, wo man sich anonym via Internet über alles informieren und Kontakte knüpfen kann, war das vor 30-40 Jahren noch nicht so. Wenn damals jemand solche Neigungen in sich spürte, war alles, was man darüber in Erfahrung bringen konnte, als pervers abgestempelt. Bücher? Fehlanzeige. Ein Nachfragen verbot sich von selbst, wollte man nicht als abartig gelten. Man hat seine Wünsche verheimlicht, zugeschüttet, tief in sich vergraben, weil man glaubte, damit auch völlig allein, der/die einzige zu sein. Jetzt, im „Alter“, viele Jahre und vielleicht erst Jahrzehnte später hat man herausgefunden, dass dem eben nicht so ist. Dass es Viele gibt, die die selben Neigungen verspüren und dass es eben auch nur eine von vielen Varianten der Sexualität ist, mit der selben Berechtigung wie alle anderen. Dass diese Erfahrung in der Jugend manchmal auch dazu geführt hat, dass der eigene, langjährige Partner (und natürlich auch Partnerin) nichts davon wusste, weil man sich eben nicht getraut hat. Erst jetzt, im Alter sozusagen, mit dem Wissen drumherum, wagt man, sich zu öffnen und darüber zu sprechen.
Dass es trotzdem auch heute noch den Meisten lieber ist, wenn ihr privates Umfeld nichts davon weiß, ist ein anderes Thema. Es ist eben leider trotz aller Aufklärung noch nicht „normal“. Und auch innerhalb der BDSM’ler gibt es solche und solche. Tolerante, die auch die anderen Spielarten akzeptieren und als gleichberechtigt gelten lassen. Und welche, die abseits ihrer eigenen, selbst gelebten, ich sag' mal provokativ "Mainstream-MaleDom/FemSub“-Neigung alles andere auch als abartig verurteilen, Malesubs als unmännlich herabwürdigen und als Weicheier beschimpfen und bei gleichgeschlechtlichen BDSM-Beziehungen die selben homophonen Äußerungen von sich geben wie Vanillas.
Dritter und letzter Punkt (voll mit Allgemeinplätzen und wissenschaftlichen Erkenntnissen):
Triebgesteuerte Zwanzigjährige sind auf andere Dinge fixiert als auf stundenlange Sessions. Und „darüber“ reden, wer tut das mit Mitte Zwanzig schon? Nicht umsonst sind viele der BDSM-Stammtische und Foren erst ab Mindestalter 25 oder sogar 30+, wenn die Persönlichkeitsentwicklung einigermaßen gesichert abgeschlossen ist. Da Kommunikation bei BDSM aber unabdingbar ist, treffen in diesem Alter hierbei zwei Welten aufeinander.
Dann kommt noch dazu, dass die meisten Frauen ihre sexuelle Erfüllung auch erst später finden und normalerweise nicht schon als Teenager. Erst mit ausreichend Erfahrung und daraus - hoffentlich - resultierender Selbstsicherheit kann man/frau sagen, was gefällt, was vielleicht ausprobiert werden könnte und auch ein selbstbewusstes „Nein!“ traut man sich eher mit zunehmendem Alter aussprechen.