Vivians virtuelle Vita - Belästigungen
Vivian fühlt sich wie ein Sonnenkind auf einer Schattenseite. Eines Tages schieben sich jedoch erste Wolken zwischen sie und die Sonne. In ihrem Postfach findet sie eine merkwürdige Nachricht.
Ein Blogbeitrag von Schattenwölfin.
Info: Veröffentlicht am 05.11.2013 in der Rubrik Gedacht.
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Vivian ist BDSM-lerin. Vivian liest gerne. Vivian surft gerne im Internet. Über kurz oder lang musste Vivian auf den Schattenzeilen landen.
Sie hat einfach die Suchmaschine mit »BDSM« und »Geschichten« gefüttert und sieht sich die Treffer etwas genauer an.
Von der Frage, ob sie auch ein kleiner perverser und abnormaler Typ sei, fühlt sich Vivian in verschiedener Hinsicht nicht angesprochen. Erstens ist sie kein Typ, sondern eine Typin, und zweitens findet sie es vollkommen normal, dass für sie der Spaß dort anfängt, wo er für die meisten Leute aufhört.
Eine Zentrale für Leibeigene kommt ebenfalls nicht infrage. Leibeigenschaft, Sklaventum, wo und wann leben wir denn?
Dann gibt es da noch einen Club, der Spaß verspricht, diesen aber nur im Gegenzug für ein Foto als Echtheitsnachweis gewähren will. Dafür mag Vivian sich nicht hergeben. Zumal man sich mit einem Zettel vor der Brust und darauf einem persönlichen Zahlencode ablichten lassen soll. Die Verbrecherkarteien der Welt lassen grüßen. Etliche sogenannte Premiumfunktionen, die natürlich kostenpflichtig sind, tun das Übrige, damit Vivian die Seite schnell wieder ins Weltweitnetz zurück entlässt.
Der Kavalier unter den schreibenden Doms, eine Art George Clooney mit schwingender Bullwhip - so stellt Vivian ihn sich zumindest vor - spricht sie auch nicht wirklich an. Allein das Gästebuch, in dem die Einträge der zu neunundneunzig weiblichen Nutzer dem Seitenbetreiber geradezu huldigen - nein danke.
Aber dann! Volltreffer?
BDSM-Geschichten. Kostenlos und erotisch. Texte und Erotik-Storys über BDSM, Bondage, Lack und Leder. Forum, Chat und Kurznachrichten.
Das klingt gut. Schattenzeilen.de - die erste Seite, bei deren genauerer Betrachtung Vivian nichts zu beanstanden hat und sich vorstellen kann, eine virtuelle Heimat zu finden.
Flugs meldet sie sich an - Vivian ist natürlich nicht ihr richtiger Name - und stürzt sich ins Lesevergnügen. Was Vivian neben den Geschichten auf Anhieb gefällt: Die Seite ist wie ein kleines Dorf. Man kann sehen, wer online ist. Und »Wie toll ist das denn?«, denkt sich Vivian. »Ich sehe nicht nur, welche anderen Leser die Seite gerade besuchen, sondern begegne sogar den Autorinnen und Autoren.«
Im Forum kann man nicht nur über die Geschichten, sondern auch über Gott und die Welt diskutieren. Naja, über Gott vielleicht nicht so gut, aber über weltliche Themen schon.
Vivian fühlt sich gut aufgehoben.
Es herrscht ein durchweg freundlicher und humorvoller Ton, und bald besucht sie die Schattenzeilen täglich. Nach und nach vervollständigt Vivian ihr Profil. Und eines Tages schreibt sie unter »Das bin ich« im Forum einen Beitrag, in dem sie sich den anderen Clubmitgliedern vorstellt. Kurz darauf wagt sie sich dann zum ersten Mal in ihrem Leben in einen Chat. Auch hier geht es fröhlich und beinahe familiär zu.
Vivian ist im virtuellen Glück, wie ein Sonnenkind auf einer Schattenseite fühlt sie sich.
Eines Tages schieben sich erste Wolken zwischen Vivian und die Sonne, zunächst leuchtend weiße Häufchenwolken, die den Himmel meist noch schöner strahlen lassen. Sie werden mit der Zeit jedoch dunkler und sogar ein wenig bedrohlich.
Die Wolken kommen in Form einer Nachricht. Am Abend zuvor waren Essen und Trinken das Thema im Chat. Essen und Trinken sind häufig Thema dort. Genaugenommen geht es sogar häufiger um Essen und Trinken als um BDSM-Themen, sodass schon seit geraumer Zeit die Idee eines BDSM-Kochbuchs die Runde macht.
Und um Essen und Trinken, genauer gesagt um Essen, noch genauer gesagt um einen Rinderschmorbraten geht es in der privaten Nachricht, die Vivian von einem anderen Clubmitglied bekommt. DomM, der sich am Vorabend im Chat zum Thema zurückgehalten hatte, schickt Vivian das Geheimrezept seiner verstorbenen Großmutter für den besten Rinderschmorbraten, den man sich vorstellen könne.
Vivian wundert sich, will nicht unhöflich sein und antwortet mit einem kurzen Dankesgruß. Smiley. Senden.
Eine knappe Woche später, Vivian hat den Rinderschmorbraten schon vergessen, kommt wieder eine private Nachricht. DomM fragt nach, ob Vivian das Rezept schon nachgekocht habe. Nun muss Vivian schmunzeln, will wieder nicht unhöflich sein und schreibt zurück, dass sie in der Zusendung des Rezeptes keine Anweisung zum Nachkochen gesehen habe. Zwinker-Smiley. Viele Grüße. Senden.
Die Reaktion lässt nicht lange auf sich warten. Wenn ein Dom einer Sub ein Kochrezept schicke, dann impliziere das auch ohne ausdrückliche Betonung, dass sie das nachzukochen habe. Schließlich wolle er, DomM, sich von den Qualitäten der Subs überzeugen. Und das Erkennen von - auch versteckten - Anweisungen sei nun einmal Kennzeichen einer guten Sub.
In ihrer Antwort entschuldigt sich Vivian, dass sie in seinem Vorgehen kein Qualitätsprüfungsverfahren erkannt habe. Für die Zubereitung eines solchen Rinderbratens fehle es aber in ihrem Haushalt an einem geeigneten Schmortopf. Ob sie nun virtuell auf die Knie gehen müsse? Zungeraus-Smiley. Viele Grüße. Senden.
Auf die Knie gehen akzeptiere er als angemessene Reaktion einer Sub, schreibt DomM daraufhin und fügt ein Kartoffelsalat-Rezept seiner Tante Anni bei. Natürlich der beste Kartoffelsalat überhaupt.
Vivian antwortet. Für Kartoffelsalat habe sie alle notwendigen Küchenutensilien im Haus, aber sie pflege überhaupt nicht zu kochen, nicht einmal Salatkartoffeln, sie lasse kochen und das sei auch besser so, denn sie könne es nicht. Genervt-Smiley. Senden.
DomM schreibt prompt zurück. Auf die Knie gehen genüge offensichtlich nicht, um Vivian Demut zu lehren. Eine Sub, die kochen lasse, das sei unglaublich. Sie könne doch D/s nicht auf den Kopf stellen und d/S daraus machen. Er akzeptiere nur 24/7-Unterwerfung - auch in der Küche - und verlange, dass sie sich darauf einstelle. Ihr fehle es jedoch offensichtlich an allen dafür erforderlichen Voraussetzungen. Er würde ihre Ausbildung gerne übernehmen. Hierzu lade er sie ein, in der Küche seines Mittelalter-Restaurants eine unbarmherzige Lehrzeit im Kreise seiner anderen Subs zu absolvieren. Hier würde sie nicht nur Demut, sondern auch das Kochen lernen.
Nun platzt Vivian der Kragen. Alles, aber doch nicht Kochen! Sie muss dem Einhalt gebieten. Doch wie soll sie DomM davon abhalten, sie weiterhin mit Kochrezepten und Küchensklaven-Fantasien zu belästigen?
Belästigen? Gibt es auf den Schattenzeilen nicht die Möglichkeit, private Nachrichten als Belästigung zu melden? Die gibt es. Also meldet sie seine Nachrichten als Belästigung und hat Ruhe. Nun schmort DomM zunächst einmal in seiner mittelalterlichen Suppe und kann keine Nachrichten mehr versenden.
Vivian und DomM sind natürlich frei erfunden, Ähnlichkeiten mit realen und virtuellen Personen und Handlungen rein zufällig. Belästigungen kann man dagegen wirklich melden.