Das Böse lockt. Das ist ja die Crux am ganzen Sein, und seine Süße.
Die Frau in dieser stylischen Geschichte findet ihren Frieden in der Gefangenschaft. Den Mann treibt ein verstummter Kummer dazu ein Kerkermeister zu werden. Im „tragischen Unfall“ einer Gattin blitzt das Verderben schon auf.
Das alles hat Campanula in verführerisch glänzendes Papier eingewickelt, das in seiner Ruhe stiftenden Anmutung in mir eine Unruhe auslöste.
Ich lese die Geschichte als Pseudo-Romanze, die ein langsam wirkendes Gift transportiert. Eine Reißzwecke im süßen Haferbrei ist dieser tragische Unfall. Wobei ich voraussetze, dass niemandem ein Dachziegel auf den Kopf fiel oder dem Auto ein Baum im Wege stand, sondern mit dem Inhalt der Geschichte verwoben ist. Weil die ganze Geschichte mit dünnem Faden gewebt ist. Wie Wetterleuchten, zunächst lautlos, sorgfältig in die Vergangenheit verschoben, scheint die Tragik auf.
Und so stellte sich mir die Frage: Ist die namenlose, erzählende Frau in der Geschichte gar die „Gattin“? Ist das, was in der Vergangenheit geschah die Andeutung ihres eigenen Schicksals? Die Geschichte kann auch zirkulär gelesen werden: Als eine einzige Frau, oder eine Abfolge, in der eine in die Fußstapfen der nächsten tritt, und immer so weiter. Bei den beschriebenen Quälereien und der Isolation liegt ein Missgriff doch in der Luft.
Campanula hat eine ganze Reihe formaler Lesehilfen mitgegeben. Bei soviel inhaltlicher Offenheit (keine Namen etc.) suchte ich also im formalen Aufbau den Schlüssel. Es kann ja kein Zufall sein, dass die Geschichte zwei Zeitformen benutzt, zwei Erzählperspektiven (allwissend gegenüber Ich-), und dann sich dann noch typografischer Wechsel bedient (normal, kursiv), und dann noch Gliederungshilfen (die „***“), womit Unterkapitel voneinander abgrenzt werden. Ich habe also farbig markiert, Skizzen angefertigt und … ja, mit dem Messer alles schön klein zerschnitten und versucht das Puzzle zusammenzusetzen. In der Hoffnung, darin des Rätsels Lösung zu finden.
Das ist mir nicht gelungen.
Entweder bin ich zu doof, oder die ganze Geschichte ist in dieser Hinsicht völlig unnötig überstrukturiert worden. Jedenfalls für den kleinen Raum von 10 Seiten etwa. Irrlichter sozusagen, die in den Sumpf locken? Warum der ganze Formalzirkus also?
Soviel aufwändige Schönheit für eine so deprimierende Botschaft, dass sich Menschen „etwas antun“. Der Mann hält sie im Kerker, um sie nicht zu verlieren, und sie findet in der Gefangenschaft ihre Erfüllung. Und doch geschieht beides ja, so steht es im Text, aus der Not heraus. Er im Kummer und sie im Schmerz.
Ist das Erfüllung?
Was teilen sie denn? Teilen sie sich überhaupt mit? In der Vergangenheit gab es noch Worte. Inzwischen Stille. Reicht das Ahnen der Gedanken im Gegenüber?
Sie teilen nicht ein einziges Atom miteinander. Aber so ist das im Sex: Die eine Seite penetriert, die andere wird penetriert. Und daran ist überhaupt nichts Gemeinsames. Es ist das Komplementäre, das über das Einzelne hinauswächst. So wie Licht Welle und Teilchen sein kann, so wie süß-sauer lecker schmecken kann.
Ich kann den beiden in der Geschichte nur wünschen, dass sie darum wissen, was sie „verbindet“. Auch unausgesprochen. Tragisch ist es allemal. Sowieso. Ob Unfall oder gewollt, von außen betrachtet findet es sein Ende. Diese Geschichte ist so trauer-umhüllt und dabei wunderschön. Und das ist ja die Aufgabe jeden Tuns: Ästhetik. Das ist die einzige Kraft, mit der Menschen sich befreien, indem sie sich ihr unterwerfen.