Er beobachtete sie, wie sie durch den Raum ging, wie ein Schatten glitt sie in einiger Entfernung an ihm vorbei. Völlig selbstvergessen ihrer Umgebung gegenüber, bewegte sie sich scheinbar schwebend durch den Raum. Auch ihr Gesichtsausdruck schien seltsam entrückt. Aufgefallen war sie ihm in dem Moment, in dem sie den Raum betrat.
Er saß - wie häufig - in der hintersten Ecke, halb versteckt hinter dem Garderobenständer und spielte das Spiel, mit dem er sich immer die Zeit des Wartens vertrieb. Er hatte sie alle kommen und gehen sehen, hier in der zugigen Halle des Bahnhofs: Reisende, Einheimische, Heimatlose; Kinder, Erwachsene, Greise; Huren und Heilige. Sein Spiel bestand darin, sich Szenen aus ihrem Leben auszumalen, zu erahnen, mitzuerleben. Für kurze Momente tauchte er in ihre Seele ein, erlebte intensiv das Schicksal jedes dieser Menschen, der in seinem Gesichtskreis auftauchte, teilte seine Hoffnungen und Träume, so als sei er einem Zwilling nach langen Jahren der Trennung wieder begegnet. Minuten konnten so vergehen, dann bewegte er sich vorsichtig, dehnte seine Arme nach beiden Seiten, öffnete den Mund zu einem Gähnen und schüttelte das fremde Leben wieder ab, ähnlich einer Schlange, die ihre Haut hinter sich lässt.
Sie war weitergegangen, reglos lehnte sie an der Wand, unmittelbar ihm gegenüber. Hinter halb geschlossenen Lidern beobachtete sie wie durch einen Vorhang die Szene, die sich vor ihr ausbreitete. Ziellos irrten ihre Pupillen zwischen den Tischen hin und her, streiften hin und wieder einen der Wartenden, verharrten kurz bei dem einen oder anderen, wie um ihn zu prüfen.
Langsam ließ er die Zeitung, hinter der er bisher seine neugierigen Blicke verborgen hatte, sinken. Angelegentlich - ohne sich sein Interesse anmerken zu lassen, nahm er ihren Anblick in sich auf. Schlank, mittelgroß; kräftig und doch seltsam zerbrechlich wirkte sie, wie sie so dastand. Ihre Formen kaschiert und gleichzeitig doch enthüllt von einem eng anliegenden, fast knöchellangen Rock mit einem langen Schlitz über der rechten Hüfte, der deren Linie detailliert nachzeichnete. Langsam glitt sein Blick an ihrem Bein hinab, verweilte auf ihren Füßen. Mit dem einen Fuß stand sie - vorsichtig balancierend ob des offensichtlich ungewohnten Schuhwerks - auf einem hohen, Stiletto-Absatz bewehrten Sandaletto, den anderen Schuh hatte sie achtlos abgestreift und stützte sich mit ihrem nackten Fuß an der schmutzigen weißen Wand ab.
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08.12.2018 um 09:07 Uhr
Hallo Belles,
vielen Dank für diese Geschichte,
Ich werde sie so lesen, wie du sie geschrieben hast, In Kapiteln. :)
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