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Sexuelle Präferenz

Sucht ein Mensch die Ursachen seiner sexuellen Präferenz, so muss er in die Vergangenheit reisen. Meine sexuellen Neigungen führe ich auf meine Kindheit zurück. Ich sehe mich noch heute auf dem Pausenhof stehen: ein Jungpionier, sieben Jahre alt, weißes Pionierhemd, blaues Käppi auf meinem Kopf.

Ein Blogbeitrag von Gregor.

  • Info: Veröffentlicht am 14.05.2019 in der Rubrik Gedacht.

  • Urheberrecht: Veröffentlichung, Vervielfältigung oder Verwendung sind nicht erlaubt. Mehr.

  • Inhalt: Blogbeiträge bilden die Meinung der Autorin oder des Autors ab.

Sucht ein Mensch die Ursachen seiner sexuellen Präferenz, so muss er in die Vergangenheit reisen. Meine sexuellen Neigungen führe ich auf meine Kindheit zurück.

Jeden Montag begann die Schule mit einem Fahnenappell. Ich sehe mich noch heute auf dem Pausenhof stehen. Ein Jungpionier, sieben Jahre alt, weißes Pionierhemd, blaues Käppi auf meinem Kopf. Der Wind zerrte an meinem ebenfalls blauen Halstuch. Die Zipfel wehten und ich stand in der zweiten Reihe meiner Klasse.

»Pioniere und FDJler stillgestanden!«, rief der GOL-Sekretär.

Ich fuhr zusammen. Der Schüler war immerhin Leiter der Grundorganisation der Freien Deutschen Jugend an unserer Dorfschule. Er leitete die Gruppenratsvorsitzenden. Ich selbst war nicht einmal im Gruppenrat. So stand der große Junge sagenhafte drei Stufen über mir.

»Zur Meldung die Augen links!«

Das durfte man nicht zu ernst nehmen, denn die Klassen standen im Karree um Direktor, Lehrer und andere Autoritäten. Also fuhren alle Blicke zackig zu einer Frauengestalt, die direkt neben dem Direktor stand, ernst, ihrer Aufgabe verpflichtet, korrekt gekleidet. Neben einem schwarzen Rock trug sie Blauhemd und ein Halstuch aus roter und blauer Farbe.

»Genossin Pionierleiterin, die Pioniere und FDJler der sechzehnten polytechnischen Oberschule Ernst Thälmann sind zum Appell angetreten.«

Jetzt antwortete die Pionierleiterin. Ich hörte ihre Stimme, warm, klar und ruhig.

»Jung- und Thälmannpioniere! Für Frieden und Sozialismus seid bereit«!

»Immer bereit!«, rief ich laut und mit mir alle anderen Pioniere.

»Mitglieder der Freien Deutschen Jugend! Freundschaft!«

»Freundschaft!«, brauste der Chor der Großen, schon mit tieferen Stimmen.

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Kommentare von Leserinnen und Lesern

Gelöscht.

21.03.2021 um 15:22 Uhr

Auch ein Erklärungsansatz. Gut beobachtet und für "Insider" treffend beschrieben. Die Nichtinsider werden sich in ihren Vorurteilen bestätigt finden. Ich kann die Gefühle des Siebenjährigen ganz gut nachvollziehen, die des Erwachsenen nur zum Teil. Wer kann schon immer ganz genau sagen, was ist Ursache und was ist Wirkung?

Also doch erst das Ei und dann die Henne? Ich weiß es auch nicht, aber es fordert: Hausaufgaben machen! Sehr schön kontroverse Geschichte. Volle Sternzahl!

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poet

Autor. Förderer.

26.06.2019 um 23:04 Uhr

Der erste Text, der den Ursprung einer SM-Pägung in den Gegebenheiten des DDR-Lebens auszumachen versucht. Interessant!

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Gregor

Autor.

15.06.2019 um 19:55 Uhr

Dank für eure Kommentare. hanne lotte: Ein Anbinden beim Mittagsschlaf ist sicher ein Erlebnis, dass ich als prägend werten möchte. Doch sind Prägungen immer vom Material abhängig, auf dem geprägt wird. Beim Einen zeigt eine versuchte Prägung keine Spur, beim Anderen ist sie deutlich sichtbar.

Gruß, : Die Sache mit dem Wiederfinden ist ein interessanter Ansatz. Negative Erlebnisse möchte sicher Niemand wiederfinden, wohl aber Gefühle, die triggern, die auf solche Erlebnisse zurückzuführen sind. Basis späterer Beziehungen ist ein Wiederfinden sicher nicht, im glücklichen Fall vielleicht Teilbereich einer gelungenen Beziehung. Wenn es um das reine Wiederfinden geht, sehe ich die dominante Dienstleistung als geeignet.

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Gelöscht.

15.06.2019 um 11:18 Uhr

feiner Bericht - Dankeschön für deine offenen und tiefen Einblicke

also Jugendliche die sich mal einnässen gibt’s überall, aus Angst oder Scham

 

Du klingst auch ziemlich abgeklärt wenn so darüber schreibst & wenn man sich hier anmeldet bei Schattenzeilen ist man sich ja seiner Präferenzen auch bewusst ..

 

auf der Ebene der Bindung ist es natürlich interessant, diese FRAU mit ihrem schwarzen ROCK, ihrer Stimme und dem ernsten [öffentlichen] Tadel ... "über allem stand meine Pionierleiterin, ..."

 

mit dem hast Du im Erwachsenen Alter diese Frau ersetzt, strenge Ehefrau, Domina oder sonst wo deine Göttin wiedergefunden?

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hanne lotte

Autorin. Förderer.

03.06.2019 um 22:58 Uhr

Das hat zwei Ebenen, die erste ist schnell abgearbeitet.

Meine Kindheit im real existierenden Sozialismus war eine glückliche und meine Jugendzeit verlief angemessen aufregend. Kein Trauma, jedenfalls keines, das sich dem System zurechnen ließe.

Jetzt lebe ich nicht mehr unter der Diktatur des Proletariats, sondern unter der für mich fast noch schlimmeren Diktatur der Dummheit. Über erstere konnte man wenigstens noch lachen, letztere lässt sich an manchen Tagen nur mit Zynismus ertragen.

 

Und nein, ich will den Sozialismus, so wie er 89 zu Grabe getragen wurde, nicht wieder haben, aber das ist ein ander Ding.

 

Meine sexuelle Neigung, tja, da hat offenbar die Verbringung in der Krippe die Saat gelegt, als die konsequente Verweigerung von Mittagsschlaf (Querulantin schon als Kleinkind) die Erzieher zu drastischen Maßnahmen greifen ließ. Die kleine hanne wurde, wenn sie den Berichten ihrer Mutter glauben kann, im Bett angebunden!

Ich kann mich leider nicht daran erinnern, sonst wüsste ich, wie es sich anfühlt, gefesselt zu schlafen.

 

Ist das wirklich so, dass ein solches Ereignis über mein Verhältnis zu Lust und Erregung entscheidet? Oder ist es eher so, dass die Summer des Erlebten Dinge/Vorlieben zu Tage fördert? Einen Keimling ans Licht lockt? Da bin ich mir nicht sicher.

Ich kann mir gut vorstellen, dass die Fixierung etwas geweckt, ein Gefühl begünstigt, eine Spur hinterlassen hat. In einer anderen Seele hätte die selbe Behandlung vielleicht unbändige Wut erzeugt.

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Gelöscht.

03.06.2019 um 11:02 Uhr

Pioniergeist hin oder her, aber kennnen wir das nicht alle auf eine gewisse andere Weise..

Jeder von uns wird doch irgendwie im Alltag geführt, geleitet und auch herum kommandiert, sei es vom Chef, Vorarbeiter oder wie hier von der Leiterin der Schule.

 

Dein Text, auch wenn er kurz ist, regt mich an und auch etwas auf, denn heut zu tage gibt es immer mehr Kapitalismus als wie Offensives Denken.

 

Danke für deine kleine Erinnerung and damalige Zeiten und deren Folgen die daraus entstehen können.

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Nachtasou

Autor. Korrektor.

03.06.2019 um 00:38 Uhr

Bester Gregor,

Du kannst das. Wunden und Menschen verbinden.

Dein nüchterner Stil erscheint mir als das Fehlen jeglicher Lügen; und milde.

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Meister Y

Autor. Förderer.

16.05.2019 um 13:40 Uhr

Lieber Gregor:, Danke. Die Menschen die Du meinst kenne ich zur Genüge. Es gibt sie, die die keine Vergangenheit vor dem dritten Oktober 1990 hatten. Natürlich auch die, die, wie Du sagst, schon immer alles wussten und immer gegen alles waren. Ich für meinen Teil habe kein Problem damit, offen damit umzugehen, dass ich in diesem System aufgewachsen bin und Teil des Systems war. Zumindest als Kind, Jugendlicher und junger Erwachsener. 

Auch wenn auch ich dabei bleibende Narben abbekommen habe, es ist gut so, dass dieses System zusammengebrochen ist. Vieles von dem was ich heute leben darf, hätte ich sonst nie erleben können.

Dennoch, auch da gebe ich Dir recht, das "richtige" System ist es auch heute nicht.

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Gelöscht.

16.05.2019 um 09:40 Uhr

Hallo Gregor,

 

Chapeau, Du schreibst wirklich super! Ich selbst bin im anderen Teil Deutschlands aufgewachsen und habe durch Deinen Beitrag einen eindringlichen Einblick mehr bekommen, wie so ein Tag "drüben" wohl ablaufen konnte.

 

Ein weiteres Mosaikstück ge- und erlebter Geschichte, dass sich zu den vielen einzelnen Geschichten gesellt, die ich von hier lebenden Menschen, die einstmals hinter der Mauer lebten, gehört habe. Diese Erzählungen sind so wertvoll für mich. So viel interessanter, als die Informationen aus Medien. Vielen Dank Dir dafür.

 

Du scheinst den Moment gefunden zu haben, in dem für Dich der Grundstein für Deine Neigung gelegt wurde.

 

Vielleicht sollte ich mich auch einmal auf die Suche machen bei mir? Bislang kann ich mich nicht an so einen einschneidenden Moment erinnern.

 

Und darf ich Dir noch ein paar Fragen zu Deinem Beitrag stellen? Beantworte sie bitte nur wenn Du magst. Oder auch gerne per PN:

 

War der Moment des Tadels in irgendeiner Form erotisch für Dich in dem Moment? Oder hast Du das nachträglich erotisiert?

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15.05.2019 um 23:11 Uhr

Jona Mondlicht

Ich merke das nur ungern an, aber: Die, die es zuhauf haben, können davon wunderbar essen und trinken.

Viele Grüße

Jona

Ich meinte das Geld, Aktien, Gold .... höchstselbst. 

Nicht das, was man damit erwerben.....bzw irgendwann nicht mehr erwerben kann.

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