Marlene ist keine Spukgestalt. Trotzdem sieht er sie in bunten Träumen, wenn der Wind heult. Sieben, sprach Marlene leise und beiläufig. Das war alles. Und doch musste das erst einmal verschmerzt werden.
Bunt durcheinander geträumt habe ich. Das ist bei mir immer so in Vollmondnächten. Jetzt ist es sieben Uhr und Sonntag. Draußen heult der Wind. Alles schläft, nur ich bin wach. Die meisten Träume sind weg, aber ein paar Blitzlichter spuken noch in meinem Kopf. Es ging um rote Ampeln, Triggerwarnungen und Jugendschutz. Dazu habe ich deutlich Marlene gesehen. Sie stand in der winzigen Erdgeschosswohnung, hat gelächelt wie Frauen in furchtbaren Filmen. Dann sah sie mich mit großen Augen an, öffnete ihren Mund und rief mit tiefer, verzerrter Stimme: „Sieben!“
Dabei ist Marlene keine Spukgestalt. Wir kennen uns seit Jahren, treffen uns jede Woche ein Mal in der kleinen Wohnung zu Spielen der härteren Gangart. Manchmal telefonieren wir, reden über die Welt, unseren Alltag, über BDSM.
Woher meine Neigung zu Masochismus und Gehorsam kommt, kann ich nicht ergründen. Marlene denkt, dass es Veranlagung ist, aber genau weiß sie es nicht. Sie steht auf Dominanz und Sadismus. Sie sagt, dass es schon immer in ihr war. Vielleicht ist es eine Prägung, die in frühen Jahren entstand. Es ist egal. Wir leben damit, jeder auf seiner Seite, jeder in seinem Leben.
Marlene bedauert, dass es nicht der Natur einer Frau entspricht, dominant zu sein. Sie begründet das mit der Evolution. Frauen haben seit Urzeiten die Höhle bewacht, während die Männer draußen jagten. Wahrscheinlich ging bei ihr einiges durcheinander und sie hat den Jagdinstinkt bekommen, der mir fehlt. Mir ist das egal. Vom männlichen Trieb, Dinge zu erobern oder andere Lebewesen zu unterwerfen, halte ich nichts. Sie schon, will jedoch nicht ständig darüber nachdenken. Es ist Fakt, ein Drang, ein Trieb. Der wirkt auf sie wie die volle Flasche auf einen Trinker. Und so, wie ein Trinker erst zufrieden ist, wenn er trinkt, findet Marlene ihren glücklichen Zustand, wenn sie ein gefangenes Tier dressiert, sich zu Willen macht.
Auch ich bin ein Trinker, süchtig nach weiblicher Dominanz und Sadismus. So passt das.
du fragst, ob es hier Teilnehmer gibt, die Interesse an komplexer Kritik zu ihren Texten haben: Gibt es. Ich zum Beispiel. Wobei es freilich schwierig ist, einen Text im Nachhinein zu analysieren, ich kann ihn ja nicht mehr ändern. Aber für‘s nächste Mal daraus lernen geht ja immer.
Gerade habe ich mit tiefer Verwunderung deinen Verriss zu „Sieben“ gelesen.
Ich habe deine Geschichte mit großer Freude gelesen und verstehe nicht im Geringsten, wieso du sie so durch den Kakao ziehst.
Ja gut, wenn ich eine klassische KG mit Handlung erwartet hätte, dann wäre ich nach der Lektüre vielleicht enttäuscht. Aber für mich hast du von Beginn an die richtige Signale gesetzt, ich habe sie als Charakterstudie aufgefasst. Ich sehe den selbstgefälligen Raisoneur, der noch immer nicht verwunden hat, dass er mit der Miete eben doch eine Dienstleistung bezahlt. Dazu gehören für mich auch die kleinen Abschweifungen, sie runden das Bild ab.
Du hast immer wieder Hinweise gestreut, die meine Vorfreude auf Schadenfreude gefüttert haben. Ich wurde nicht enttäuscht.
Ich traue mich meist nicht, alte Sachen von mir später erneut zu lesen, weil ich mir dann sage, das und das könntest du besser machen, das ist misslungen, das ist Quatsch.
Lieber Gregor,
dass ich Texte, die ich vor längerer Zeit schrieb, in vielen Fällen heute anders schreiben würde oder verbessern wollte, trifft zu. Angst habe ich deswegen nicht vor ihnen. Dann müsste ich vor so vielem im Leben Angst haben, das ich im Rückblick anders besser angestellt hätte.
Deine Frage hätte abgetrennt von hier ein schönes Thema im Schreibforum ergeben.
Doch, Sisa, ich meine das ernst und habe das von einigen Menschen, die im semiprofessionellen Bereich schreiben, auch gehört. Entsteht eine Geschichte, ist das wie ein Rausch. Schreiben, Überarbeiten, Überarbeiten, eine Woche liegen lassen, Überarbeiten, Fertigstellen.
Ich traue mich meist nicht, alte Sachen von mir später erneut zu lesen, weil ich mir dann sage, das und das könntest du besser machen, das ist misslungen, das ist Quatsch.
Mich interessiert, ob es dir und anderen Schreiberinnen und Schreibern ebenso geht.
Danke für deine anregende Kritik, Sisa. Ich habe meinen Text als Fremder gelesen, um draufzukommen, was dich stört. Ich möchte folgend meine Geschichte als Leser werten.
Ich mache das mal ernsthaft und mich interessiert, ob überhaupt jemand Interesse an komplexer Kritik zu seiner Geschichte hat. Du hattest die Frage in einem anderen Thread angesprochen.
1. Die Geschichte ist in der Ich-Form erzählt, besser ist ein beobachtender Standort, von außen. Letztlich interessiert sich ja niemand für einen Autor, sondern will eine Geschichte lesen. Die erzählende Perspektive ist besser.
2. Der Anfang beginnt alptraumartig, ist fast ein Drogenrausch. Als Einleitung einer Geschichte passt das nicht.
3. Es folgen Definitionen, ein Erklärbär erläutert Hintergründe, lässt sich über Rollenverhalten aus. Die Einleitung ist gründlich misslungen. Als Leser will ich Handlung und keine Erklärungen, auch wenn sie mit der Geschichte zu tun haben.
4. Jetzt kommt eine Frechheit. Der Autor schreibt selbst, was das abschweifende Gerede soll. Ja, was soll das? Wo ist die Geschichte?
5. Jetzt spätestens sollte die Geschichte beginnen. Sie tut es nicht. Sie lebt nicht, sondern wird vom Autor berichtet.
6. Am Ende kommt eine Wendung, eine Pointe. Das ist das einzig Interessante und Lesenswerte an der Geschichte.
Fazit: Das Kopfkino des Autors ist in seiner Berichtsform misslungen und uninteressant. Die Geschichte lebt nicht. Das geht stilistisch und inhaltlich besser und ich habe den Eindruck, dass hier zu schnell ein Text für den Adventskalender niedergeschrieben wurde. Die Pointe und relativ fehlerfreie Rechtschreibung sind achtenswert.
das ist eine geschichte von der art, die ich zweimal lesen musste, um sie richtig aufzunehmen.
anfangs hat sie mich etwas verwirrt, das abschweifen von der eigentlichen story, das sicherlich gewollt so inszeniert ist.
die pointe - und das ist die erklärung für die sieben zum schluss in meinen augen - die habe ich so nicht erwartet. sie kam überraschend, und ich muss sagen, das macht in meinen augen eine gute geschichte aus. wenn eine überraschende wendung eintritt, mit der man nicht rechnet.
trotzdem hat sie irgendwas an sich, das mich nicht vollständig abholt. ich kann das nicht definieren, es ist einfach so ein gefühl.
vielleicht ist es tatsächlich diese abschweifung zu nebensächlichem hin, die mich aus dem lesefluss gerissen hat. ich kann es nicht sagen, aber leider ist es so.
Gut geschrieben: Klare Sprache, klare Protagonisten, klare Linie, klare Meinungen. Trotzdem fehlt mir ein wenig ein Konflikt, Spannung, Handlung. Die paar Ohrfeigen ersetzen das nicht. Mit Handlung meine ich keine sogenannte "Sessionbeschreibung", sondern einfach, dass da etwas vor sich geht. Hier werden die Eckpfeiler gesetzt und dabei bleibt es dann stehen. Was mich versöhnt, ist allerdings das Ende, das bringt etwas ins Rollen. Summa summarum: Gerne gelesen, danke!
Besten Dank für deine freundlichen Worte, Meister Y. Ich freue mich darüber.
Danke, Christina Saphir. Das ist für mich ein interessanter Gedanke. Ein Nachdenken zu einer Geschichte stellt sich, meine ich, nach dem Lesen immer ein und ist unabhängig von Aussage und Qualität des Textes. Interessant wird es, wenn Texte bewegen, vielleicht zu neuen Erkenntnissen führen. Ich denke, das ist nichts Allgemeines, immer individuell. Ein Resümee geht darüber hinaus und nun denke ich darüber nach, was bezogen auf diese Geschichte dein Resümee ist.
Vielen Dank, ich habe es versucht, high time. Texte müssen meiner Meinung nach direkt sein, ich denke, bei einer Kurzgeschichte, ohne Abschweifung und immer aus einer klaren Einzelperspektive heraus.