Engelhaft - Das weiße Seil
Die Philippinen lagen in der Vergangenheit. Ben stand wieder im Klassenraum in Frankfurt. Allein. Und doch reichte ihre Macht bis hier her. Was er zu tun gedachte, konnte er selber nicht glauben. Was hatte sie nur mit ihm gemacht?
Eine BDSM-Geschichte von Tilbake Holdenhet.
Info: Veröffentlicht am 13.11.2021 in der Rubrik BDSM.
Folge: Dieser Text ist Teil einer Reihe.
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Kleine Vorbemerkung:
Als ich begann »Engelhaft« zu schreiben, hatte ich noch keine Fortsetzung im Sinn. Die entstand erst zum Ende hin. Und als ich sie veröffentlichte, habe ich völlig aus den Augen verloren, dass Bens Wohnort der Handlungsort von »Engelhaft - Das weiße Seil« sein würde.
Die Stadt Frankfurt am Main kenne ich nämlich nur von einem Besuch auf der Buchmesse und je einem Abflug und Ankunft auf dem Frankfurter Flughafen. Das Krankenhaus und den See gibt es zwar, aber alle Eindrücke, wie die restlichen Infos zur Stadt (z.B. Musikübezellen in der Stadtbücherei) sind frei erfunden.
***
1. Teil
Die Philippinen lagen in der Vergangenheit. Ben stand wieder im Klassenraum in Frankfurt. Allein. Und doch reichte IHRE Macht bis hier her. Was er zu tun gedachte, konnte er selber nicht glauben. Was hatte SIE nur mit ihm gemacht?
Die Tage mit IHR erschienen im Rückblick wie ein Traum; mehr noch, eher der Traum von einem Traum. Tat der Abschied deshalb nicht weh? Die Erinnerung ließ keine Wehmut aufkeimen, nur Dankbarkeit. War diese Dankbarkeit die Triebfeder seines Handelns?
Er war in der Klasse nicht der Beliebteste; gerade so akzeptiert. Er zog erst vor gut zwei Jahren in die Stadt, weil er in seinem Heimatort wegen sexueller Belästigung einer Mitschülerin ins Gerede gekommen war und sich dieses Gerede hochschaukelte, bis alle in ihm einen potentiellen Vergewaltiger sahen.
Deswegen tat er alles, sich dem Gefüge der neuen Klasse anzupassen. Bloß nicht auffallen, hieß die Devise. Dafür lachte er sogar über Kevins Witze, so dumm sie ihm erschienen, aber Kevin war der angesagteste Junge der Klasse. Das Sportass. Muskeln galten auf der Beliebtheitsskala selbst in der Oberstufe des Gymnasiums noch mehr als Köpfchen.
Anpassen meinte aber auch, sich der Ansicht über »Brillenschlange« anzuschließen. Als Oberstreberin mit Geschmacksverirrungen bei Kleidung und Brillengestellen galt sie nahezu als Aussätzige. Imaginärer Sex mit ihr stand unter den Top-Drei der schlimmsten Foltermethoden. Auch Ben hatte Witze über sie gerissen, um vor den anderen gut dazustehen.
Ein stummer Fingerzeig auf ihre unscharfe Silhouette im Hintergrund eines Fotos hatte all das verändert. Wenn er diesem Fingerzeig folgte, würde er in knapp einer halben Stunde das Gespött der ganzen Klasse sein. Musste er das tun?
Gefordert hatte SIE es nicht. Der Fingerzeig und ein leichter Schlag auf den Hinterkopf waren alles, was er als Hinweise bekommen hatte. Den Nackenschlag hatte er erst als Tadel aufgefasst, weil er sie bei ihrem Schimpfnamen genannt hatte. Im Rückblick könnte es sich aber um den sprichwörtliche »Schlag auf den Hinterkopf« gehandelt haben. Sein Denkvermögen angestrengt, hatte er seit dem, doch von einer Erhöhung seiner Fähigkeiten, merkte er bis zu diesem Zeitpunkt nichts. Er hatte keine Ahnung, warum er es tun sollte. Trotzdem gab es etwas in ihm, das ihm sagte, er dürfe den Fingerzeig nicht ignorieren.
Ben schaute sich im Klassenzimmer um. Sechzehn Tische. Vier längs vor den Fenstern, vier vor der Wandseite und je vier Tische im rechten Winkel dazu zur Raummitte angeschlossen. Alles stand so, wie sie es vor den Sommerferien verlassen hatten. Alle erwarteten dieselbe Sitzordnung.
Der letzte Tisch auf der Fensterseite war unbesetzt. Herr Schantz, ein mittlerweile pensionierter Lehrer, hatte ihn einmal »Lümmelbank« getauft. Der Name hatte sich bis heute gehalten. Einige Lehrer nutzten ihn gerne, um in Klausuren potentielle Abschreiber »vor sich selbst zu schützen«. Warum konnte Brillenschlange nicht dort sitzen? Dann hätten sie den Rest der Klasse vor sich.
Er schielte zu seinem alten Platz. Der dritte Tisch an der Wandseite. Undurchdringlicher Stein hinter sich und die anderen alle im Blick. Das hatte Sicherheit vermittelt. Was Finn sagen wird, wenn er sich einfach wegsetzte? War es schlau, jetzt, im Abiturjahr, ein solches Wagnis auf sich zu nehmen?
Es gab tausend Gründe, die dagegen sprachen, und nur einen dafür. Ben folgte diesem Einen. Wenigstens saß Brillenschlange nicht direkt vor dem Lehrerpult, sondern auf der anderen Seite. Der Stuhl fühlte sich hart und kalt an, und auch wenn noch niemand anwesend war, spürte er schon jetzt, die bohrenden Blicke der anderen in seinem Rücken. Zwanzig vor acht. Wie lange ihm wohl noch blieb, bis der erste Spruch fiel?
Die Klassentür öffnete sich. Leonie, die Schönheit der Schule kam als Erstes. Sie zog ihre langen, blonden Locken, mit einer ausholenden Armbewegung über eine Schulter und hatte ihren Kopf zur Seite geneigt. Trotz des warmen Wetters trug sie hochhackige Stiefel zu ihrem Minirock. Die Kurve, die der blaue Jeansstoff um ihren knackigen Po beschrieb, entlockte Ben einen kleinen Seufzer. Wie viel einfacher wäre sein Stand in der Klasse, wenn er neben ihr säße. Ihr einziger Makel bildete die unangezündete Zigarette in ihrem Mundwinkel.
»Hi Ben. Schöne Ferien gehabt?«, grüßte sie, huschte zu ihrem Tisch, stellte ihre Tasche ab, fischte ein Feuerzeug heraus und verschwand wieder aus dem Raum. Vermutlich hatte sie sein: »Ja, und du?«, gar nicht gehört. Zumindest hatte sie es nicht für nötig gehalten, eine Antwort zu geben. Auf der anderen Seite hatte sie auch nichts über seinen neuen Platz gesagt, oder auch nur verwundert geschaut. Wenn er angesichts seines Wechseln nicht mehr zu befürchten hatte, konnte er sich glücklich schätzen.
Doch mit den ersten Klassenkameraden, die nicht rauchten, sondern sich auf ihren Tischen niederließen, oder an die lange Fensterbank lehnten, tauchten die befürchteten Blicke auf. Bald flogen Gesprächsfetzen zu ihm.
»Was ist denn mit dem los?«
»Wohl nach sechs Wochen die Orientierung verloren.«
»Oder den Geschmack.«
Ben bemühte sich, den wachsenden Kloß in seinem Hals herunterzuschlucken. Dann wurde die Tür aufgestoßen und Finns schlaksige Figur schob sich in den Klassenraum, den Schulrucksack lässig über die Schulter geworfen und einen Knopf mehr als nötig an seinem schwarzen Hemd geöffnet.
»Hi Ben«, grüßte Finn und die beiden klatschten mit den Händen ab. »Wie war’s auf den Philippinen.«
»Geil!«
Finn kniff ein Auge zu, zielte mit dem Zeigefinger wie mit einer Pistole auf Ben und hakte nach: »Nur das Segeln oder hast du auch ein heißes Filipinogirl klargemacht?«
Ben ärgerte sich. Er hätte wissen müssen, dass Finn eine solche Antwort ins Doppeldeutige ziehen würde, doch die Erlebnisse seines Urlaubs durfte er nicht entweihen, indem er sich mit ihnen brüstete. Also verneinte er mit der üblichen unglaubwürdigen Übertreibung: »Na logo. Jeden Tag mindestens fünf.«
»Fünf nur? Schlappschwanz.«
In diesem Moment betrat Brillenschlange das Klassenzimmer. Keine Lehrerin und kein Lehrer hatten die Klasse mit ihrem Erscheinen je so schnell zum Schweigen gebracht. Binnen Sekunden war es mucksmäuschenstill. Von der Situation an diesem Morgen wollte niemand etwas verpassen. Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf Ben und sie.
»Komm rum, Dicker«, meinte Finn und winkte Ben hinter sich her.
Bens Kehle verengte sich.
»Nee, ey, ich muss«, krächzte er, »also, Abi dieses Jahr und ich muss da ... besser mitkriegen ... und ... also, nimm’s mir nicht übel.«
»Hast du sie noch alle? Da sitzt«, Finn sprach den Spitznamen nicht aus, sondern fügte ihn mit einem schnellen, aber deutlichen Seitenblick hinzu.
»Nicht zu ändern«, antwortete Ben mit starr geradeaus gerichtetem Blick.
Finn fächerte seine Hand vor seinem Gesicht, für wie bescheuert er Ben hielt.
Brillenschlange stand weiter einen Schritt hinter der Tür. Ben betete, sie möge sich hinsetzen. Dann gäbe es Getuschel, aber die anderen würden die Köpfe zusammenstecken und nicht mehr alle nur auf sie und ihn starren. Sie stand jedoch da, ihren Rucksack vor die Brust gedrückt und schien nichts mit der Situation anfangen zu können. Vielleicht vermutete sie einen derben Begrüßungsscherz zum Schuljahresanfang.
Konnte er etwas sagen, um diese Vermutung zu entkräften? Ihm fiel nichts ein, was nicht augenblicklich für Spott gesorgt hätte. Ob er auf Freiersfüßen unterwegs sei oder es so dringend nötig hätte.
Seine Finger verkrampften sich unter dem Tisch zu Fäusten. Los, beweg dich, dumme Kuh, dachte er und versuchte, sie nicht anzusehen, doch seine Augen sprangen immer wieder zu ihr.
Sie trug eine beige Kordhose, die modisch aus dem letzten Jahrtausend zu stammen schien. Ihre rotkarierte Bluse passte dazu so gut wie Spaghetti zu Pommes Frites. Und über allem stülpte sich eine hellblau dunkelblau gestreifte Männerstrickjacke mit Lederflicken an den Schultern und Ellenbogen. Ihre langen, straßenköterblonden Haare hingen platt herab und schienen nur vom eckigen Metallgestell ihrer Brille wie durch einen Vorhangspreizer auseinandergehalten zu werden. Dahinter zuckten ihre Augen zwischen Fußboden und ihrem Platz hin und her. Sie sah so scheiße aus! Der Fingerzeig auf das Foto mit ihr konnte doch nur ein Scherz gewesen sein.
Okay, Schönheit war nicht alles, aber so wie sie aussah. Er machte sich lächerlich. Nein, hier konnte er nicht sitzen bleiben. Er würde zu seinem Platz gehen und laut verkünden, alles sei nur ein Scherz gewesen.
Gerade als er unter dem Tisch seinen Rucksack griff, schwang Frau Lesker mit einem heiteren Lächeln die Tür des Klassenraums auf, warf ihren langen, roten und wulstigen Zopf mit einer schnellen Kopfbewegung auf den Rücken und rief: »Morgen allerseits.« Sie ging an Brillenschlange vorbei zum Lehrertisch, wuchtete ihre prallgefüllte Lederumhängetasche darauf und ließ ihren Blick über die Gesichter schweifen.
»Alle heil und munter wieder da zum letzten großen Akt?«
Nun bemerkte sie Brillenschlange.
»Ist etwas, Fiona?«
Brillenschlange schüttelte den Kopf mit winzigen Bewegungen, fast so als fröstele sie.
»Dann setz dich bitte auf deinen Platz!«
Fiona ging ein paar Schritte, dann zögerte sie noch einmal. Offenbar hatte sie bemerkt, dass Ben sich zu seinem Rucksack gebeugt hatte und im Begriff war, aufzustehen. Er kam jedoch nicht dazu, denn nun meldete sich Kevin zu Wort.
Er saß zwar auch alleine, wie Fiona, aber das hatte andere Gründe. Er kam stets zur Schule, als befände er sich im Umzug. Zur Schultasche führte er mindestens eine große Sporttasche mit sich, denn irgendein Training hatte er immer. Fußball, Karate, Apnoetauchen. Dazu kamen der Motorradhelm und der Nierengurt. Sein Tisch war nicht einfach ein Platz, wie jeder andere, sondern eine Audienzstätte. Und nun sah sich der König geneigt, seinen Untertanen etwas mitzuteilen: »Ey, Weber, bist du jetzt maso?«
Ein Spruch war überfällig gewesen, doch der selbstgerechte Ton, mit der Kevin von seinem Thron herab urteilte, und die anbiedernde Art, mit der viele in der Klasse lachten, weckten Bens Trotz. Ohne nachzudenken, antwortete er: »Lieber maso als aso.«
»Hä? Aso? Dichtest du jetzt Kinderreime?«, ätzte Kevin weiter.
»Ich vermute, ‚aso‘ soll eine Abkürzung für asozial sein«, erklärte Frau Lesker, ohne den Blick von ihrer Tasche abzuwenden, in der sie irgendwelche Unterlagen suchte, »was dein Verhalten eigentlich auch ganz gut beschreibt, Kevin.«
Erstauntes Schweigen. Noch nie hatte jemand so gegen Kevin opponiert. In die Stille platzte aber auch ein kurzes Grunzen, dass ein Lachen unterdrückte. Zumindest einer Person schien es zu gefallen, dass Kevin einmal Gegenwind bekam. Ben sah sich um. Hinter einer vorgehaltenen Hand blitzte ein freches Lächeln auf.
Leonie.
Ben fühlte sich, als pumpe jemand puren Sauerstoff in seine Lungen. Damit hatte er nicht gerechnet. Langsam ließ er seinen Rucksack wieder sinken. Vielleicht ergab sich in dieser Stunde noch eine Möglichkeit, Kevin eins reinzuwürgen. Wenn Leonie das gefiel.
Fiona bemerkte seine Bewegung und ihr wurde klar, dass er nicht gedachte, sich zu erheben. Also setzte sie sich. Sie traute sich nicht, ihn direkt anzuschauen, doch sie schielte seitlich an ihrer Brille vorbei zu ihm. Damit ihre Haare ihr nicht die Sicht versperrten, strich sie sie hinter ihr rechtes Ohr.
Wie scheu, wie verunsichert wirkte diese kleine Handbewegung; gerade so, als befürchte sie, Ben könne gleich einen Eimer Schleim über den Kopf schütten oder Ähnliches. - Ähnliches. Ben schluckte. Zum ersten Funken Mitleid, das er für sie empfand, mischte sich Unbehagen. Gehörte sie auch zu den Mädchen, die Angst vor ihm hatten?
‚Versuch‘s mal mit der Wahrheit‘, lautete der Rat, den SIE ihm gegeben hatte. Welche Wahrheit sollte er verkünden? Er hatte einen Fingerzeig bekommen, doch kein Wort der Erklärung, worauf dieser hinwies. Trotzdem forderte die Situation, dass er die Stille zwischen ihnen brach. Ihm fiel nur Smalltalk ein.
»Und? Wie waren deine Ferien?«
Sie starrte auf die Tischplatte.
»Lang.«
Ben seufzte. Das klang nicht, als sei sie an seiner Gesellschaft interessiert.
»Wenn’s dich stört, dass ich mich hergesetzt habe, musst du es sagen.«
Ihr Kopf zuckte zweimal. Wohl ihre Version eines Kopfschüttelns. Fast schien es Ben, als hielte sie das Gespräch mit ihm so unauffällig, weil sie wusste, was es für ihn bedeutete, vor den anderen mit ihr zu sprechen.
Sie flüsterte: »Und deine Ferien?«
Die Gegenfrage zerstreute Bens Sorge ein wenig. Er antwortete bereitwillig: »Cool. Ich war auf den Philippinen. Segeln.«
Ein gequältes bis abfälliges Lächeln huschte über ihre Lippen. Nun wandte sie nicht nur ihren Kopf ab, sondern drehte sich demonstrativ von ihm weg und widmete all ihre Aufmerksamkeit Frau Lesker.
Kostspielige Fernreiseziele und Wassersport schienen nicht ihre Lieblingsthemen zu sein. Hätte er sich bei ihrem Outfit denken können. Um mit ihr zu sprechen, musste er sich vermutlich über Batiken oder burmesische Autorenfilme informieren. Blöde Streberin.
Ben ließ seinen Blick an Brillenschlange vorbei durch die Klasse schweifen. Standen sie immer noch im Mittelpunkt des Interesses oder konnte Frau Lesker mit ihren Ausführungen über das, was im letzten Schuljahr auf die Schüler zukam, einige Aufmerksamkeit auf ihre Person ziehen? Er fing nur einen Blick auf. Der, der schönsten, smaragdgrünen Augen, die es in der Klasse, nein, in der ganzen Schule gab: Leonie.
Sie lächelte ihn an. War das ein Ausdruck von Wohlwollen in ihrem Gesicht? Bens Herz schlug einen Schlag schneller und ein warmer Funken entzündete sich in seinem Bauch.
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