Wie ein schüchternes Mädchen, so sanft drängte sich Marie in meine Wohnung, mein Bewusstsein, mein Leben. Vielleicht wollte sie tatsächlich nur spielen? Vielleicht wollte sie mehr? Kannte sie die Regeln? Und was wollte ich?
Das Handy klingelte und schreckte mich an meinem einzigen freien Nachmittag in dieser Woche auf. Ich wollte erst gar nicht abheben, tat es dann aber doch. »Hallo?«, brummte ich harsch.
»Nora?«
»Ja, verdammt. Und wer ist dort?«
»Ich!«
»Wer ist ich?«
»Na, ich halt!«
»Ich bin ich, nicht du!«
»Ich bin es, Marie.«
»Hallo Kleine, was geht mit dir?«
»Ich ruf dich an.«
»Ja, merke ich. Und weswegen?«
»Weil du gesagt hast, dass ich anrufen soll.«
»Nein, Schätzchen, ich habe gesagt: ›Komm in einer Woche wieder.‹ Nicht: ›Ruf mich in zwei Wochen an!‹«
»Entschuldigung.«
»Also, was willst du?«
»Kann ich zu dir kommen, Nora?«
»Weiß ich doch nicht, ob du kannst.«
»Darf ich zu dir kommen?«
»Wie heißt das Zauberwort?«
»Bitte.«
»Bitte, was?«
»Bitte, darf ich heute zu dir kommen?«
»Na gut, dann um sechs.«
»Danke.«
»Geh vorher zum Supermarkt hier um die Ecke und bring eine Flasche Pinot Blanc mit. Und Salat, den du magst. Wir kochen was.«
»Ich esse aber kein Fleisch«, erinnerte sie mich.
»Mir egal, wir kochen trotzdem! Und sei pünktlich.«
Natürlich war sie nicht um sechs da, sondern verspätete sich um eine halbe Stunde. Das schien ihr aber kein bisschen bewusst zu sein, als sie vor meiner Tür stand und mich angrinste wie ein frischlackiertes Schaukelpferd, in beiden Ohren sündteure Ear-Pods.
Ich zog ihr einen der Stöpsel raus, Girlie-Punk sprang mich an, gar kein schlechter noch dazu. Ich sah ihr ernst ins Gesicht.
»Echt jetzt, Marie? Du kommst zu mir und hast dir die Ohren zugestopft? Interessiert es dich nicht, was ich zu sagen habe? Warum bist du dann gekommen? Musik hören kannst du auch alleine.«
Sie sah mich erstaunt an. War noch niemand auf die Idee gekommen, ihr etwas Benehmen beizubringen?
»Wie spät ist es jetzt?«
»Weiß ich nicht«, kam die patzige Antwort.
»Halb sieben. Ausgemacht war sechs. Kommst du nochmal zu einem Date mit mir zu spät, war es das letzte. Klar?«
Sie nickte stumm.
»Du hast ein Handy, auf dem ist eine Uhr«, erinnerte ich sie und ließ sie endlich in die Wohnung. »Und man kann damit telefonieren, wenn man sich verspätet.«
»Entschuldigung«, grummelte sie, legte ihren pinken Rucksack ab und schlüpfte aus der Jacke. Jetzt erst fiel mir auf, was sie anhatte: kurzes Röckchen, zerrissene Netzstrumpfhose, Springerstiefel und ein knallgelbes T-Shirt mit Anarcho-Stern und A.C.A.B.-Akronym.
»Und zieh dir das nächste Mal was anderes an, wenn du zu mir kommst. Du siehst aus, als kämst du von der Altkleidersammlung!«
Ihr Blick trotzig, die Augen schmal, Zornesfalten auf der Stirn, die Nasenflügel blähten sich. Hab ich dich, Mäuschen, dachte ich. Und freute mich, dass sie da war.
Ich ging ins Schlafzimmer und holte das kleinste T-Shirt, das ich fand.
»Zieh das an!«
Sie schlüpfte aus Ihrem und gab es mir. Ich warf es sofort in den Mülleimer.
»Mein großer Bruder Dragan war mal ein Cop«, erklärte ich, »mein kleiner Bruder Petar ist noch immer einer, aber ein Bastard ist keiner von den beiden.«
Sie schluckte kurz, sah ihr Shirt im Müll, wagte es aber nicht, es wieder rauszunehmen. Das hätte ich ihr auch nicht geraten.
Dann öffnete sie ihren Rucksack und holte Salat und Tomaten raus, auch den Wein. Es war ein Sauvignon Blanc.
»Ich wollte Pinot Blanc, nicht Sauvignon Blanc!«
Sie blickte erstaunt auf das Etikett und murmelte wieder eine Entschuldigung.
»Gib die Flasche in das Eisfach«, sagte ich und deutete auf den Kühlschrank, »dann ist er vielleicht trinkbar, wenn wir essen.«
Sie öffnete die Kühlschranktür, kniete sich nieder und zog alle drei Tiefkühlladen auf.
»Ist kein Platz«, bemerkte sie. Die Tür blieb offen, die Laden rausgezogen, sie kniete auf dem Küchenboden wie ein Hündchen, das auf eine Wurst wartete.
»Ja, dann schaff welchen«, empfahl ich ihr. »Schieb die Boxen mit dem Eis etwas zusammen, dann hat die Flasche auch Platz.«
»Das ist kalt«, jammerte sie
»Willst du vielleicht Handschuhe anziehen?«
Hübsch anzusehen war sie, wie sie da in ihrem Röckchen auf dem Boden vor mir hockte und zu mir aufsah.
»Und mach schneller, sonst geht der Kühlschrank kaputt.«
Schließlich schaffte sie es. Als sie aufstand, guckte sie in den Topf, in dem ich gerade Zwiebeln glasierte.
»Was kochst du?«
Ich sah mit bewusst auffälligem Blick auf ihre Füße. Sie auch. Merkte aber nicht, was ich von ihr wollte. Also machte ich es ihr klar.
»Zieh deine Schuhe aus. Und dann wäschst du dir die Hände.«
»Ich bin aber nicht schmutzig.«
»Bist du mit der U-Bahn hergekommen? Warst du gerade im Supermarkt? Hast du dort einen Einkaufswagen vor dir hergeschoben?«
Sie ging sich die Hände waschen, kam wieder und setzte sich auf die Arbeitsfläche neben dem Herd. Ich deutete wortlos mit dem Messer auf die Docs, die sie noch immer anhatte. Sie ging ins Vorzimmer. Bumm. Bumm. Die Schuhe waren von den Füßen. Lagen irgendwo. Willkommen zu Hause, Schatz, dachte ich und musste schmunzeln.
Als sie wiederkam, hielt ich ihr die Wange hin, sie hauchte mir einen Kuss drauf. Ich gab ihr Schneidebrett und Messer.
»Viertle die Tomaten und bereite den Salat zu, das Risotto ist gleich fertig. Mit Pilzen, extra für die Fleischverweigerin.«
Sie stand da mit dem Messer und starrte es an, dann mich, dann wieder das Messer.
»Wenn dir nicht gefällt, was ich trage, warum schneidest du es mir dann nicht einfach vom Leib? Oder du versohlst mir mit dem Schneidebrett hier den Hintern?«
Ich schwieg erstmal, gab den Arborio zu den Zwiebeln und hoffte, sie würde das Verlangen in meinem Blick nicht bemerken.
»Mach den Salat fertig«, forderte ich, »mit Himbeer-Aceto! Das Olivenöl steht ganz oben im Regal.«
Wie ich Marie fand. Oder fand sie mich? Egal, das Mädchen raubte mir den Atem, den Schlaf und den Verstand. Dabei wollte ich mich gar nicht mehr verlieben. Und ich fragte mich, ob sie wusste, was der Ausdruck Mistress wirklich bedeutet.
Rosa Hello-Kitty-Slip
Wie ein schüchternes Mädchen, so sanft drängte sich Marie in meine Wohnung, mein Bewusstsein, mein Leben. Vielleicht wollte sie tatsächlich nur spielen? Vielleicht wollte sie mehr? Kannte sie die Regeln? Und was wollte ich?
Marie lackiert mir die Nägel und ich erzähle ihr Geschichten. Die vom traurigen Thomas, die von der zärtlichen Zoe und die von Daniela, die aus Nora eine Donna Nora machte.
Ich sitze nackt vor ihrem Laptop und soll schreiben. Die Leine des Halsbandes hat sie am Bürostuhl festgebunden und einen Gürtel quer über meine Brüste und die Lehne des Stuhles festgezogen. Haltung sei alles, hat sie gesagt.
Marie vergisst, Gardinen aufzuhängen. Sehr zur Freude des Nachbarn gegenüber. Kein einziges Mal bewegt er sich, steht einfach nur da und schaut zu. Beobachtet uns wie Tierchen in einem Terrarium. Mich macht das fuchsteufelswild.
Deine Meinung
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ich habe gerade ein schönes Zitat von Jean Paul gelesen: Das Schöne am Frühling ist, dass er gerade immer dann kommt, wenn man ihn braucht.
Du erzählst von einem Frühling, der gerade zur rechten Zeit kam, falls ich beim Lesen nicht alles komplett falsch verstanden habe.
Ich erlebe zwei Menschen, die sich finden, sich einander in kleinen Schritten nähern, sich erforschen und erkennen. Du erklärst nicht, du zeigst. Mit wenigen Strichen zeichnest du Charaktere und Situationen. Mir gefällt, was ich gelesen habe.
Eine sehr sinnliche Geschichte, wie die Fahrt durch eine Gebirgslandschaft bei sich ständig wechselndem Wetter. Mal wolkig, mal heiter und zwischendurch sehr sexy und leidenschaftlich.
Ich mag es auch, wenn sich Gegensätze verbinden, so wie Nora und Marie.
Wie schade, beste Nora. Ich bin erst jetzt dazu gekommen, diese tolle Geschichte zu lesen. Es hat mich sehr beeindruckt, wie du die Situation langsam und ohne Hast entwickelst. Dazwischen immer wieder Informationshappen, die langsam ein immer vollständigeres Bild ergeben. Das ist wirklich gutes Schreibkönnen! (Ist das überhaupt ein Wort? Egalich!) Ich hatte das Gefühl, dass es gar nicht so sehr um BDSM geht, sondern mehr um zwei Menschen, die zusammenfinden, teils passen und teils gar nicht passen und doch einen Weg für sich finden. Manchmal ist die Story bittersüß, manchmal wirklich schön formuliert: „Was du brauchst, ist kein Dom, sondern eine Mom." (Köstlich ausgedrückt, hätte nicht besser sein können.) Oder wie sie sich meldet: "Ich - na ich halt!"; hab mich scheckig gelacht.
Eins noch möchte ich erwähnen: Die schönen, bedachtvoll gewählten, glasklaren Sätze. Wirklich angenehm zu lesen und doch nicht langweilig oder ausdrucksschwach.
eine wieder mitreißende Geschichte, die aber diesmal auch ernste und tiefe Untertöne mitbringt. Trotzdem ist das Leichte und Frische der ersten Geschichte nicht verlorengegangen.
Obwohl dies so gar nicht meine Spielart ist, bekomme ich beim Lesen der Geschichte ein Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Ich sehe den Schmollmund von Marie uns die hochgezogenen Augenbrauen und das ungläubige Kopfschütteln in meinem Kopfkino so klar, als würde ich dabeistehen.
Vielen Dank liebe Frau Nora für die Fortsetzung.
P.S.: ich bin ja so gespannt, wie das mit Marie weitergeht..und ob sie wohl je erzogen wird? Irgendwie glaube ich ja nicht so wirklich daran..wäre ja auch schlimm, denn dann würden uns bestimmt viele lustige Episoden verloren gehen...
Und mein Respekt, Brats aus der Ferne sind immer recht lustig, aber eine Brat zu Hause zu haben ist sehr sehr anstrengend. Vermutlich zu anstrengend für mich.
Es ist schön, dass dich die Geschichten von Marie und Nora berühren, traurig sie sollen dich aber nicht machen. Daher wird die nächste etwas lustiger, versprochen.