Marie lackiert mir die Nägel und ich erzähle ihr Geschichten. Die vom traurigen Thomas, die von der zärtlichen Zoe und die von Daniela, die aus Nora eine Donna Nora machte.
Sie saß auf der Couch, den Rücken zum Fenster, die Beine langgestreckt, ihren Schminkkoffer neben sich, und feilte an ihren Fingernägeln. Gleichzeitig las sie in einem ihrer Skripten. Nächste Woche hatte sie Prüfung. Brav, dachte ich, und setzte mich ans andere Ende, ihr gegenüber.
Sie hob ihre Beine ein wenig an, das linke legte sie auf die Couchlehne, der rechte Fuß fand meinen Schritt und wippte ein bisschen auf und ab. Dann klappte sie ihr Skriptum zu und sah mich erwartungsvoll an.
»Ich will dich nicht beim Lernen stören, Marie«, sagte ich.
»Tust du nicht«, antwortete sie, »ich bin schon durch mit meinem heutigen Pensum.«
»Sehr gut«, lobte ich, streckte meine Beine zwischen ihren aus und war froh, dass sie endlich auf diese kindischen Slips verzichtete und die Unterwäsche einer erwachsenen Frau trug: weiße Jazzpants oder schwarze Hipster.
Sie zuckte zusammen, als mein Zeh sein Ziel erreichte, zog geräuschvoll die Luft ein und biss sich auf die Unterlippe. Dann legte sie die Nagelfeile weg.
»Lass nur«, sagte ich, »kannst gleich bei mir weitermachen!«
»Deine Zehen?«
»Ja bitte. Sei heute mal meine Pedikeurin!«
Sie prüfte mit dem Daumen die Nagelkanten. »Die sind eh schön glatt«!
»Ich möchte sie aber rot haben.«
»Du meinst, ich soll sie dir lackieren?«
»Genau, das!«
»Wow!«, hauchte sie und ich hörte ihr Herz auf anderthalb Meter Entfernung klopfen.
»Und welches Rot?«, fragte sie und hielt drei Fläschchen hoch. Pink, was gar nicht infrage kam, knallrot und bordeaux.
»Such du es aus. Aber nicht rosa!«
Sie wählte das knallrote. Dachte ich es mir doch.
Dann hob sie meinen linken Fuß an und leckte blitzschnell über die Sohle. Mein Reflexbogen reagierte sofort und ich zuckte zurück. Sie grinste frech, dann setzte sie meinen Fuß wieder auf ihr Knie, kramte in ihrem Schminkkoffer herum und nahm Pads, Zehenspreizer, Nagellackentferner und Wattestäbchen heraus. Ich fragte mich, ob das wirklich eine gute Idee von mir gewesen war. Aber ließ sie mal machen.
»Erzählst du mir dabei eine Geschichte?«, bat sie und gab mit einem Wattestäbchen Vaseline auf die Nagelbette.
»Was für eine Geschichte?«
»Irgendeine Geschichte. Dein Coming-In zum Beispiel.«
»Mein was?«
»Dein Coming-In! Wie du darauf gekommen bist, dass du auf Frauen stehst. Oder wie du eine Domme geworden bist.«
»Du bist ganz schön abgefeimt, meine Liebe!«, bemerkte ich, »erst bringst du mich in diese Lage, in der ich mich nicht mehr wehren kann, und dann beginnst du das Verhör?«
Wie ich Marie fand. Oder fand sie mich? Egal, das Mädchen raubte mir den Atem, den Schlaf und den Verstand. Dabei wollte ich mich gar nicht mehr verlieben. Und ich fragte mich, ob sie wusste, was der Ausdruck Mistress wirklich bedeutet.
Wie ein schüchternes Mädchen, so sanft drängte sich Marie in meine Wohnung, mein Bewusstsein, mein Leben. Vielleicht wollte sie tatsächlich nur spielen? Vielleicht wollte sie mehr? Kannte sie die Regeln? Und was wollte ich?
Coming in
Marie lackiert mir die Nägel und ich erzähle ihr Geschichten. Die vom traurigen Thomas, die von der zärtlichen Zoe und die von Daniela, die aus Nora eine Donna Nora machte.
Ich sitze nackt vor ihrem Laptop und soll schreiben. Die Leine des Halsbandes hat sie am Bürostuhl festgebunden und einen Gürtel quer über meine Brüste und die Lehne des Stuhles festgezogen. Haltung sei alles, hat sie gesagt.
Marie vergisst, Gardinen aufzuhängen. Sehr zur Freude des Nachbarn gegenüber. Kein einziges Mal bewegt er sich, steht einfach nur da und schaut zu. Beobachtet uns wie Tierchen in einem Terrarium. Mich macht das fuchsteufelswild.
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Kommentare von Leserinnen und Lesern
Gelöscht.
26.09.2023 um 12:51 Uhr
Ein interessanter Rückblick. Wieder sehr authentisch und unterhaltsam geschrieben.
Spannend die Stelle mit der Fotoassistentin und der anschließenden eigenen Orientierung.
Das Wichtigste, was ich daraus gelernt habe: man trägt es in sich, und der Rest kommt von allein. Ich bin etwas spät dran, mir meine wahren devoten Vorlieben einzugestehen, aber Deine Geschichte bringt mich dazu zu glauben, dass sich alles Übrige schon ergeben wird und sich ein Weg findet. Lieber Gruß und auf bald!
Ich gebe gern zu, dass ich die Geschichte regelrecht verschlungen habe, zumal Du uns wirklich tiefe, intime Einblicke gewährst. Besonders gefallen hat mir, dass Du das Wesentliche sozusagen nebenher erzählst. Quasi in eine Lehrstunde über das Nägellackieren verpackt.
Dass Dich Marie am Ende auch noch überraschen durfte gibt der Story am Ende den ganz besonderen Kick.
Sprachlich erwachsener geworden mag ich Deinen lockeren Stil jetzt vielleicht sogar noch ein bisschen mehr, als in den vorangegangenen Teilen.
Danke für tolle Nachmittagsunterhaltung an einem verregneten Sonntag!
mir gefällt deine erfrischend knackige Art zu schreiben.
Peng. Das hat es für mich mehrere Mal gemacht, als die lockeren Worte genau richtig trafen, wie sie kommen sollten. Der flotte Rhythmus gepaart mit eingestreuten, abrundenden Details lässt mich auf mehr hoffen.
Es ist für mich so wie andere schon geschrieben haben: Ich habe das Gefühl, als stummer Beobachter schelmisch grinsend dabei zu sein.
danke für diese intimen einblicke! ich habe die erzählungen mit angehaltenem atem verschlungen und dabei das gefühl bekommen, ich sitze hinter der couch versteckt und belausche euch heimlich
hat mir super gefallen, wie alle deine geschichten!
Die Atmosphäre, die Du erschaffen hast für diesen Einblick, ist wundervoll. Einfach ein Gespräch zwischen Partnern, die sich lieben und offen über Vergangenes und Empfindungen sprechen. Da liest sich nichts gestelzt oder geziert. Nichts wird beschönigt und auch negatives wird als gute Erfahrung sichtbar.
Irgendwie vermittelst Du mir das Gefühl, ich sitze mit im Wohnzimmer, vielleicht auf dem Sessel gegenüber der Couch und lausche gespannt Eurem Gespräch. Du nimmst mich als Leserin einfach mit hinein in Euer Leben, so, wie eine gute Freundin.
Diese Art zu schreiben, die gefällt mir so wahnsinnig gut.
Und ich bin, wie bestimmt viele hier ebenso, unheimlich gespannt mehr über Nora und Marie zu lesen.
der sich traute den Text zu veröffentlichen ohne ihn vorher durchs Mahlwerk des Lektorats zu jagen.
Liebe Nora,
jeder Text geht durchs Lektorat, aber wenn es nur Kleinigkeiten gibt, erübrigt sich ein langes Hin und Her.
Zumal der Text nicht Deine erste Veröffentlichung hier ist und wir eher bei Erstlingen tiefer einsteigen - danach sind die Anforderungen bekannt und unsere zeitlichen Möglichkeiten leider begrenzt. Ein Mahlwerk können wir nicht für jeden Text leisten.
Du hast also vom Lektorat nichts bemerkt, was für Dich und den Text spricht.