Der Text ist aus der Perspektive einer übermannt werdenden Frau geschrieben. Die Penetration findet auf verschiedenen Ebenen statt. Die Rollen sind physisch klar verteilt: Er ist schwer, stark und aggressiv. Sie versucht erst gar nicht, sich körperlich zu wehren, sondern sabotiert sein Vergnügen, indem sie vor ihm ihr Leiden versteckt. Das ist gut gedacht und bringt ihn tatsächlich kurzzeitig aus dem souveränen Konzept. Als er sie ins Gesicht schlägt und mit seinem Gürtel Kontrolle über ihre Atmung erlangt, ist der Weg allerdings frei. Sie wird weich.
So nüchtern hört sich eine Vergewaltigung an. So nüchtern hört sich eine Vergewaltigungsphantasie an. So nüchtern und ähnlich könnte man viele BDSM-Machtspiele beschreiben. Ohne „Kontext“ bleibt es offen, um was es sich handelt. Im Text gibt es einen Hinweis, dass sie den Mann nicht kennt.
Als Story fehlt mir an diesem Text gewiss nicht der »Kontext«. Ich hätte ein wenig mehr über die Personen erfahren.
Was mich wundert, ist, dass er auf den Schattenzeilen zu finden ist. Das war sicher eine überlegte Entscheidung. Mit der Veröffentlichung im Umfeld des Zulässigen entsteht ein Kontext. Auf den Schattenzeilen stehen keine gewaltverherrlichenden Geschichten.
Die Stärke des Textes ist, dass er selbst die Antwort schuldig bleibt. Das ist gar nicht so einfach. Machtspiele sind mit und ohne BDSM ein Spiel mit dem Feuer. Beschrieben ist allein das Feuer, nicht das Spiel.
Ich hörte vor einigen Tagen ein Feature im DLF um eine Strafrechtsreform. Erst 1997 wurde Vergewaltigung in der Ehe zur Straftat. 1966 noch formulierte eine Kammer des Bundesgerichtshofs, was zu den ehelichen Pflichten einer Frau gehört. Man mag es kaum glauben: LINK***
Warum lesen wir überhaupt Texte? Die Antwort ist: weil wir keine Gedanken lesen können. Solange die Gedanken frei sind, wird es Fiktion und Literatur geben. Ein Autor camoufliert: Er schlüpft in Rollen. Niemand weiß, ob und was dem Autor wirklich nah ist. Ein Text IST nicht ein Körperteil eines Schreibers, sondern eine Prothese, oder eine geschnitzte Waffe, oder eine Besänftigung, … Als Leser MUSS ich mich im vorliegenden Fall entscheiden, wie ich ihn lese: als ungewöhnliches Liebesspiel oder traumatisches Erlebnis. Ich muss also den Arsch hochkriegen, und das ist ja mal was im Lesesessel! *g
Ich wünsche mir keine Welt, in der jeder Text erscheinen kann. Es muss aber nicht alles geschrieben werden. Ich wünsche mir eine Welt, in der Schreiber die Perversion BDSM fiktional ehrlich ausleuchten. Das ist zwar aussichtslos, das Verstehen, aber immer_immer wieder soll es diese Versuche geben. Was, verdammt noch mal, bringt Menschen dazu, etwas zu mögen, wovor man sich unter anderen Umständen abwendet? Wird das Böse gut, wenn es einvernehmlich ist? Gott bewahre! Insofern ist der vorliegende Text wie ein „Arbeitsblatt“ zu einer Diskussionseröffnung. Er ist knapp, knackig und behält die Antwort für sich. Man kann ihm weder das eine vorwerfen, noch das andere anrechnen.
Ausbleibende Antworten an sich sind kein Qualitätsmerkmal von Texten. Manchmal sind offene Enden einfach Denk- und Schreibfaulheit auf Autorenseite, oder literarischer Sadismus, oder die Aussicht auf die nächste Staffel. Wenn eine Geschichte grundlos ein offenes Ende hat, ist das mies, finde ich. Offenheit oder Ambivalenz sollte als Form zum Inhalt passen. Im vorliegenden Text passt das 100 Prozent: Es gibt Vergewaltigungsphantasien, sogar Schlimmeres. Und wenn sich ein Text daran wagt, ist es ein realistischer Text, der auf Messers Schneide entlang rutscht.