Eine Entlassung nach mehrjähriger Haft ist nicht so einfach, wie man es sich vorstellt. Denn Freiheit kann auch bedrohlich wirken. Gerade dann, wenn man am Tor erwartet wird von einem Mann, den man gar nicht richtig kennt. Und der Vorlieben hat, vor denen man im Knast gewarnt worden ist. Wie findet man Frieden, wenn man das gewohnte Umfeld verlassen hat?
Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit.
Marie von Ebner-Eschenbach
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„Frau Saalkamp! Ihre Entlassungspapiere sind fertig. Packen sie ihre Sachen und kommen sie zur Schleuse!“ Asta Berner lässt die Tür offen stehen. Die Stimme der Oberaufseherin des Frauentraktes der Justizvollzugsanstalt Lauerhof reißt mich aus meinen Gedanken.
Ich, Silvia Saalkamp, werde heute den Knast verlassen. Entlassung auf Halbstrafe wegen guter Führung und guter Sozialprognose. Was für eine Wortschöpfung. Ein letzter Blick in den Spiegel. Macht der Knast einen alt? Als ich „einflog“, wie man im Knastjargon sagt, war ich vierundzwanzig Jahre. Nun bin ich dreißig und drei Tage. Eigentlich ein schönes Geburtstagsgeschenk, das mir Vater Staat da gemacht hat. Meine Augenwinkel verlängern sich in kleinen Falten. Der Lidstrich? Ich habe nicht mehr soviel Übung, und für wen soll man sich hier auch rausputzen?
In meiner Tasche knistert es. Ich atme tief ein. Der Zettel. Ihn zu haben fühlt sich gut an.
Das rosafarbene Kostüm, das ich als einziges Kleidungsstück aus der Zeit vor meiner Verurteilung besitze, passt mir noch immer leidlich. Im Knast sind Diäten nicht so leicht durchzuhalten. Der Rock ist zu kurz und die Nylons betonen meine Beine mehr, als sie es verdienen. Draußen regnet es leicht. Ich schiebe die Koffer auf den Gang. Gundel, unsere Kalfaktorin, hat einen Rollwagen beschafft, auf den ich sie lege. Die Tasche obendrauf.
„Machs jut, Kleene! Und lass dich nicht flachlegen!“ lacht Gerda Blohm von ihrem Malergerüst aus. Ich versuche zu lächeln. Die Lebenslänglichen haben es auch nicht einfach.
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