Es passiert manchmal, dass du auf eine Lebenslinie aufspringst wie auf einen Bus. Du hast nicht genau hingeschaut, bist in Eile gewesen und hast die Expresslinie erwischt. Plötzlich ist das Leben in einer ganz anderen Richtung unterwegs. Natürlich könntest du an der nächsten Station aussteigen, aber was, wenn sich alle Türen hinter dir schließen und ein Schild aufleuchtet: »Bus fährt durch bis zur Endstation! Kein Zwischenhalt!«?
An den Türen rütteln, den Fahrer anschreien - nichts davon hilft dir und so sitzt du hinten, in der letzten Reihe, und rast einem Ziel entgegen, das du nicht kennst. Der Fahrer bestimmt den Kurs und die Geschwindigkeit und du kannst nichts dagegen tun. Du bist die Marionette und er zieht an deinen Fäden. In einem Bus ist das nicht schlimm, früher oder später erreichst du die Endhaltestelle. Du steigst aus und rufst ein Taxi, das dich zurückbringt.
Nur im Leben funktioniert das nicht so. Wenn du in den falschen Bus gesprungen bist und jemand an deinen Schnüren zieht.
I.
Wie immer, wenn mich meine Dienstreisen nach Schwerin führten, buchte ich das InterCityHotel. Es liegt direkt am malerischen Hauptbahnhof, ist modern und der Service ist, wie bei den meisten Hotels in dieser Stadt, hervorragend.
Ich stand am Fenster meines Hotelzimmers und blickte auf den Bahnhofsvorplatz. Der Herbst hielt Einzug in der Stadt, färbte die Blätter bunt und der Regen ließ die Pflastersteine im Licht der Straßenlaternen glänzen. Menschen strömten aus der Bahnhofshalle, spannten Schirme auf, schlugen die Kapuzen ihrer Jacken hoch oder riefen nach Taxis. Sie kamen von der Arbeit und freuten sich auf den Abend mit ihrer Familie. Sie hatten es gut.
Ich drehte den Kopf und schaute auf den Zierbrunnen im Zentrum des Grunthalplatzes. »Rettung aus Seenot« heißt die Skulptur darauf, Hugo Berwald schuf sie 1910.
Wer wird dich retten, Christian Svensson? Aus dem Nichts tauchte der Gedanke auf und ich sah in der Fensterscheibe die Wehmut in den Augen meines Spiegelbildes. Seit zehn Jahren reiste ich durch Deutschland und half Computern, mit den Menschen zurechtzukommen. Mein Zuhause sah mich nur an den Wochenenden und niemand wartete dort auf mich.
Das Gefühl der Einsamkeit ist in meinem Beruf ein ständiger Begleiter. Die Menschen verbrachten die Abende bei ihren Lieben und ich in Deutschlands Hotels. Mein Leben schwamm davon wie einen Korken in den Wellen des Ozeans.
Über mein Spiegelbild im Fenster rannen Regentropfen und ich drehte mich zurück ins Zimmer. Mit Schwermut überlebte man in meinem Beruf so lange wie ein Fisch in der Wüste. Ich wusste ein Mittel gegen Gefühlsduselei. Wo andere Menschen Tabletten benötigen, bevorzuge ich auch heute noch einen Laptop. Der lässt sich zwar nicht so einfach schlucken wie eine Pille, dafür gibt es ihn aber ohne Rezept. Eine Angel mit meinem Foto als Köder schwamm immer in diversen Kontaktbösen und ich schaute nach, ob ein Fisch angebissen hatte. Selbst wenn er sich nicht ins Bett ziehen ließ, würde ein netter Chat den Abend noch angenehm ausklingen lassen.
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