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Gelb-goldene Sonnenstrahlen fielen auf Rebeccas Kissen, brachten ihr schwarzes Haar zum Glänzen und weckten sie langsam auf. Erst als sie die Augen ganz öffnete, wurde ihr bewusst, sie lag nicht in ihrem eigenen Bett. Sie war nicht einmal mehr in Berlin, ihr altes Kinderzimmer mit den rosa gestrichenen Wänden umgab sie und sie war zu Hause. Etwas, das man als Zwanzigjährige wohl noch so sagte, wenn man erst für ein Jahr ausgezogen war und für Weihnachten zu den Eltern fuhr.
Der Schnellzug hatte sie gestern Abend in die kleine Stadt am Niederrhein gebracht und Rick, Rebeccas Stiefvater, hatte sie vom Bahnhof abgeholt. Fast ununterbrochen hatte er von ihrer Mutter gesprochen, wie gut es ihr während der Schwangerschaft ginge oder wie sehr sich Ben, ihr kleiner Halbbruder, auf sie freute. Rebeccas Kopf hatte bereits nach den ersten Sätzen gedröhnt und sie war froh um die kalte Seitenscheibe des Wagens gewesen, die ihre Stirn kühlte.
Außer einem netten „hm ja“ brachte sie nichts Vernünftiges zustande, zu erschöpft war sie. Von der Zugfahrt, von einem Jahr intensivem Studium und teilweise auch von der Vorweihnachtszeit und ihrem Nebenjob auf dem Weihnachtsmarkt.
„Und es gibt noch eine Überraschung, Becky“, erklärte Rick begeistert und klopfte ihr väterlich auf den Oberschenkel, „mein kleiner Bruder Chris besucht uns zu Weihnachten. Er wird seine Semesterferien nicht in London verbringen. Toll, oder? Dann sind wir endlich mal wieder vollzählig.“
„Ooohh, toll“, rutschte es Rebecca mit wenig Begeisterung über die Lippen und sie verfluchte die Worte sofort, da Rick so glücklich strahlte.
„Was ist eigentlich zwischen euch beiden in diesem einem Sommer vor vier Jahren vorgefallen? Ihr ward drei Wochen unzertrennlich und dann ...?“
„Nichts weiter, wir verstehen uns vielleicht einfach nur nicht so gut“, wiegelte Rebecca ab.
Auf keinen Fall wollte sie dieses Thema mit Rick, ihrem gefühlten echten Vater, vertiefen.
Immerhin war Chris sein Bruder und sie hatte sich Hals über Kopf in den fünf Jahre älteren, damals einundzwanzigjährigen Jungen, verliebt gehabt. Dass sich dieser Arsch nach den Ferien nicht mehr bei ihr gemeldet hatte, war für sie mehr als schlimm gewesen. Seither verglich sie jeden verdammten Mann und jeden einzelnen One-Night-Stand, mit ihm. Als wäre Chris das Nonplusultra.
Die Erinnerungen schlug Rebecca zusammen mit ihrer Bettdecke energisch zur Seite. Sie wollte jetzt nicht an ihr gebrochenes Herz denken. Nein sie wollte nach vorne sehen. Und so griff sie entschlossen in ihre dahingeworfene Sporttasche, zog ihre Wäsche und das Schminketui heraus, um dann dem schwarzen Samtkleid, das am Kleiderschrank hing, Aufmerksamkeit zu schenken.
„Du wirst mir helfen, dass diesem Kerl das Hören und Sehen vergeht, stimmts?“
Auf nackten Füßen tapste sie über den Flur zum Badezimmer. Einige Schönheitsmaßnahmen und sie wäre die perfekte Rebecca, die, die jeden haben könnte und nur einen wollte.
Aber diesmal werde ich dich abblitzen lassen, mein lieber Chris.
Enthusiastisch riss sie die Tür zum Bad auf, blieb aber wie angewurzelt im Rahmen stehen. Ein anbetungswürdiger und dazu noch splitterfasernackter Mann türmte sich vor ihr auf. Ihr Blick streifte über die breiten Schultern, die schmalen Hüften und die strammen Beine. Er könnte glatt aus einem Magazin stammen, und vor Schreck schrie Rebecca kurz auf.
„Wow, scheiße.“
Der Mann, der ausgerechnet Chris‘ Gesicht trug, grinste sie dagegen nur breit an und ließ seinen Blick über ihre nackten Beine und das alte Star-Wars-Schlafshirt wandern, unter welchem sie wahrscheinlich noch wie eine flachbrüstige Sechzehnjährige aussah. Mit zwei Schritten und einem lauten Ruf in den Flur, „Mum, in deinem Bad steht ein nackter Mann. Soll ich die Polizei rufen?“, trat Rebecca den Rückzug an.
Natürlich erhielt sie keine Antwort, niemand hatte ihren Ruf wirklich mitbekommen. Außer Chris, und dieser grinste nur noch breiter und selbstsicherer.
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