Sie hatte schon lange Träume von Szenen devoter Unterwerfung, die eine starke sexuelle Empfindung in ihr auslösten. Aber dass sie mit rasendem Puls ein unschuldiges Päckchen zu einem Wendepunkt ihres Lebens hochstilisierte, das öffnete ihr ein besseres Verständnis, wie tief diese Sehnsüchte in ihr verwurzelt sein mussten.
Als sie heim kam, fand sie im Briefkasten eine Mitteilung der Post.
Hastig überflog sie die Zeilen: »Unsere Zustellerin konnte Sie ... leider nicht antreffen. ... versuchen, Ihre Sendung ... morgen erneut ...«
Sendung? Ich erwarte doch gar keine Sendung, dachte sie, oder sollte wirklich der Typ letzte Woche in Kufstein sein Versprechen, ja fast seine Drohung ernst ... ?!
Erst am Abend des vorletzten Urlaubstags hatten sie sich kennengelernt. Nein, hatte er sich bekannt gemacht mit einer frechen, unverblümten Anmache: »Mir ist grade aufgefalln, gnä Frau, dass Ihre Augenfarbe genau zu dem Curacao-Cocktail passt, zu dem ich Sie gern einladen mecht!«
Ohne den Charme des österreichischen Tonfalls, der ihn als aus der Wiener Gegend stammenden Mann, etwa Mitte vierzig, verriet, hätte sie diese Aufdringlichkeit schulterzuckend und kommentarlos abblitzen lassen. Aber der feste, ja verbindliche Klang seiner Stimme mit der leicht singenden Melodie erregte dann doch ihre Aufmerksamkeit. Nach kurzem, witzigen Wortwechsel landete sie schließlich, neugierig geworden, neben ihm in der Bar der Ferienanlage. Der Drink war tatsächlich blau wie ihre Augen und schmeckte vorzüglich. Er hatte es in sich, und so endete der Abend entgegen all ihren sonstigen Überzeugungen in seinem luxuriösen Zimmer. Aber wenn sie, angesäuselt von drei blauen Cocktails, erwartet hatte, er würde sie möglichst schnell in sein Bett lotsen, sah sie sich enttäuscht. Er drückte sie in einen tiefen Sessel, zog sich einen lederbezogenen Hocker heran, schob mit eisernem Griff ihre Knie auseinander und setzte sich mit dem Hocker dazwischen. Sagte erst lange kein Wort.
»Wie fühlt sich das für dich an, von mir hier so fixiert zu sein?«, hatte er plötzlich gefragt.
Sie hatte erst einmal tief Luft geholt. Tatsächlich hatte sie sich im Augenblick gefühlt wie ein Schmetterling aufgepinnt auf einer Insektentafel.
»Ich vertraue dir, dass du mich nicht zu einem aufgespießten Schmetterling machst!«, war ihre Antwort gewesen.
Er hatte sie amüsiert angesehen und gefragt: »Wofür sollte ich das tun?«
»Für deine Schmetterlingssammlung?«
Nach kurzer Pause hatte er gesagt: »Meine Versuche.«
Auch wenn die Geschichte ganz laut "Fiktion!" schreit, so ist ihr Kern in meinen Augen doch herbe Realität. Vorschnell reagiert, dann weggeschaut und verdrängt, um zu schlechter Letzt die eigenen Träume und Sehnsüchte zerplatzen zu fühlen, wegen einer blöden Unaufmerksamkeit.
Verpasste Chancen sind herber als ein Chateau Neuf du Pape, dafür aber billiger zu haben.
Sehr schön geschriebene Geschichte mit einer wirklich unerwarteten Wendung am Ende.
unglaublich gut die empfindungen der heldin in eine spannende geschichte gegossen. großartig, wie nur über andeutungen und tagträumerei die tiefer liegenden sehnsüchte an die oberfläche schwappen. runum gelungen!
Ich habe einen stilistisch sehr guten Text gelesen. Deine Protagonistin konnte ich nicht nur nachvollziehn, sondern auch nachfühlen. Ihre Wünsche, ihre Sehnsucht und besonders das Zerplatzen der Hoffnung am Ende begleiten mich nach dem Lesen deiner Geschichte weiter.
Du nimmst mich mit und lässt mich die Sehnsüchte erleben und während ich mich die ganze Zeit frage, ob dieser Wecker vielleicht doch etwas mit den interessanten Herrn zu tun hat, ist bereits alles zu spät.
Ist es wieder einmal eine verpasste Gelegenheit im Leben, oder wird sie kämpfen und versuchen zu erklären, versuchen den Mann zu finden, oder wird sie einfach nur darüber sinnieren, was hätte sein können? Wird sie ..ach Du ahnst nicht, was gerade in meinem Kopf los ist
ich danke Dir sehr für diese Geschichte, die mich so vieles in meinem Kopf weiter spinnen lässt..ich mag solche Geschichten mit offenem Ende
Was lernen wir daraus? Immer erstmal die gesamte Post sichten. 😉
Vielleicht schenkst Du uns Lesenden ja doch eine kleine Fortsetzung der Geschichte? Wäre doch zu schade, wenn die beiden nicht zusammen gefunden hätten…
Das ist so ein Text, bei dem man panisch beim Weiterscrollen aufs Seitenende schaut, ob er es nicht vielleicht schon wieder tut... er, dieser Poet... das Kopfkino in Gang bringen und einen dann via unerwarteter Wende mit seiner wilden Phantasie zurücklassen... eine Spezialität dieses Poeten. Kurz war ich erleichtert, als sie den Brief gefunden hat und habe mich in Sicherheit gewogen. Nein, diesmal geht es doch noch weiter- habe also einmal nicht panisch gespickelt - und dann eben doch! Arrrrrrgh!