»Das ist ein hervorragender Weihnachtsstollen«, lobt er anerkennend, schiebt seinen Teller eine Serviettenbreite von sich und reibt Zeigefinger und Daumen aneinander, um beide von Puderzuckerresten zu befreien. Dann lehnt er sich zufrieden zurück. Tief atmet er ein. Inhaliert eine süßwürzige Mischung aus Tanne, dem Ruß der Kerze in der Tischmitte, aus Vanillekipferln und diesem besonderen Aroma der letzten Momente vor der Bescherung. Das kleine, niedrige Wohnzimmer bewahrt all das wie eine Schatulle.
»Ich denke«, sagt er schließlich, »es wird Zeit. »Bring mir die Wunschzettel!«
Sie nickt, lächelt verlegen, schiebt ihren Stuhl zurück und erhebt sich. Er sieht ihr nach, während sie sich dem Tannenbaum zuwendet, der direkt neben dem Tisch steht. Eigentlich, denkt er, braucht es keines Geschenkes, denn sie ist es selbst. Seitdem er ihre Seele fand und öffnete, ist sie das Wertvollste, was er besitzt.
Mit den Fingern greift sie die Schleifen aus rotem Geschenkband, an denen zwei Papierrollen in der Spitze des Baums befestigt sind. Sie muss sich recken dafür und mit erhobener Augenbraue beobachtet er, wie der Saum ihrer weißen Bluse bis in die Taille rutscht. Sie korrigiert das schnell, als sie es bemerkt, zieht den Stoff wieder nach unten, richtet den Gürtel und zupft schließlich noch den schwarzen Rock zurecht. Er besteht darauf, dass sie sich ordentlich kleidet. Das weiß sie.
»Wollen wir nicht erst den Tisch abräumen?« Sie dreht die Papierrollen unschlüssig in den Händen.
Er schüttelt energisch den Kopf. »Nein. Zuvor die Wunschzettel.«
Sie haben vereinbart, sich Wünsche zu schenken, sich statt kostspieligen lieber kostbare Erinnerungen zu geben, gegenseitig, jedes Jahr zu Weihnachten, manchmal auch an anderen Tagen.
»Zuerst du«, sagt sie mutig und hält ihm eine Papierrolle entgegen. Ihre geschminkten Lippen formen sich gespannt zu einem spitzen, blutroten Pinseltupfer zwischen ihren Wangen.
Er fixiert sie fortwährend mit den Augen, während er nach der Rolle greift, das Geschenkband sorgsam zur Seite schiebt und schließlich den Papierbogen glättet. Amüsiert nimmt er ihre zunehmende Unruhe zur Kenntnis und überlegt, welches Begehren ihr derart Aufregung beschert. Dann senkt er den Blick und liest.
»Ich wünsche mir«, steht in sauberer Schreibschrift und Tinte, »einmal ohne Zärtlichkeit.«
Nachdenklich kneift er die Augen zusammen. Betrachtet den Schriftzug, die feinen Schnörkel und ahnt die Mühe, die sie sich gab. Die Buchstaben sind nicht hastig gesetzt, sie kosteten Zeit. Und Überlegung. Sie hat das nicht im Zweifel geschrieben. »Ich wünsche mir einmal ohne Zärtlichkeit.« Er wiederholt es in Gedanken.
»Irgendwann mal«, flüstert sie, beugt sich nach vorn und drückt ihm liebevoll einen Kuss auf die Stirn.
Er merkt es ihrem heißen Atem an, dass der Wunsch ein brennender ist.
»Und jetzt zu deinem Zettel!«, erklärt sie und zupft an den Enden der roten Schleife, die das verbliebene Blatt zusammenhalten. »Ich bin gespannt!«
Er springt vom Stuhl auf. Wucht und Hüfte schleudern den Tisch nach vorn. Zwei Tassen hüpfen auf ihren Untertellern, ein Rest Kaffee schwappt. »Was«, herrscht er sie an, »meinst du?« Mit vorgebeugtem Oberkörper kommt er ihr nahe.
Sie taumelt einen Schritt rückwärts, starrt ihn an, versucht, in seinen Augen zu lesen. Die Papierrolle fällt aus ihren Händen zu Boden.
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