Jo rief gegen Mittag in der Bank an. Ich war gerade dabei, Belegdaten einzutippen. Jo ist Medizinstudent. Ich kannte ihn von einem Begleitservice, bei dem ich seit beinah einem Jahr gelistet war. Ich stand auf.
»Warte«, sagte ich auf dem Weg aus dem Schalterraum.
Draußen war es kalt. Leichter Schnee fiel. Wir hatten einen dieser Wintertage, an denen man sich wünschte, bis zum Frühjahr durchzuschlafen.
»Was ist, Jo«, fragte ich.
»Gestern war einer da«, fing er an. »Guter Typ! Er hat sich für dich entschieden! Der Haken? Gleich heute! Kannst du um fünf?«
Jo war immer so einsilbig. Und manchmal dachte ich darüber nach, wie er wohl später als Arzt mit seinen Patienten reden würde. Ich überlegte. Meine Bürokleidung wirkte nicht allzu bieder, meine Haare hatte ich in der Früh gewaschen.
»Kein Problem, Jo«, sagte ich also.
»Gut, dann ...« Man hörte Jo die Erleichterung darüber an, eine Anfrage weniger auf dem Tisch zu haben. »Treffpunkt wie immer«, wies er mich noch an, bevor er auflegte.
Viertel vor fünf machte ich mich auf ins »Violini«. Dienstags war das Lokal nicht allzu voll. Mein angestammter Tisch war frei. Ein Zweiertisch am Fenster. Von hier besaß man den besten Überblick. Dennoch sah ich ihn nicht eintreten. Auf einmal stand er neben mir und zog den Mantel aus, während er mich begrüßte. Die silbernen Fäden in seinem Haar fielen mir als Erstes auf. Anscheinend war er um einiges älter als ich. Er nahm mir gegenüber Platz. Nicht, wie manche, die gleich ihren Stuhl neben einen ziehen. Wir unterhielten uns vielleicht eine Viertelstunde. Nichts Besonderes. Small-Talk! Irgendwann fragte er, ob ich Lust auf einen Spaziergang hätte.
»Natürlich«, sagte ich und dachte kurz an meine hohen Schuhe.
Er half mir in die Jacke. Und selbst jetzt schien ihm nicht aufzufallen, dass ich für einen winterlichen Spaziergang nicht gerade ideal gekleidet war. Wir gingen in den nahegelegenen Park. Dort stellte er eine Frage nach der anderen: wo ich herkomme, was meine Eltern von Beruf sind, oder was ich beruflich mache. Ich erzählte von meiner Arbeit bei der Bank. Und dass ich eigentlich aus Bielefeld stamme. Er witzelte über Bielefeld. Als Nächstes fragte ich ihn nach seinem Beruf.
»Arzt«, antwortete er knapp.
»Und was für ein Arzt?«
»Gynäkologe!«
Er blieb stehen und zog mich an sich. Unumwunden küsste er mich. Seltsam. Ich presste meine Lippen nicht wie sonst aufeinander. Schließlich fragte er, ob mir ein Ort in der Nähe einfiele, wo wir ungestört wären. Überrascht und mittlerweile zitternd sah ich ihn an. Eigentlich war das der Zeitpunkt, ins Restaurant, Theater, Kino, oder ins Hotel zu gehen. Ich überlegte. Der Botanische Garten war nicht weit. Ich nahm seine Hand und ging voraus. Wir betraten das große Gewächshaus. Diese Atmosphäre, die exotischen Pflanzen, die feucht geschwängerte Luft mochte ich schon immer, wegen der kalten Füße aber an diesen Tag ganz besonders. Glücklicherweise gab es kaum noch Leute. Hinter dem großen Glashaus lag eine Werkstatt. Das wusste ich von früheren Besuchen. Und auch, dass die Angestellten um diese Zeit bereits Feierabend hatten. Also zog ich ihn hinter die Palmwedel zum Eingang des Anbaus.
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