Es war einmal ein Wald, in dem es auch am Tage so finster war, dass man kaum die Hand vor den Augen sehen konnte. Mittendrin stand ein einsames Backsteinhaus. Niemand traute sich in die Nähe dieses Hauses, denn jeder wusste, dass dort eine böse Hexe wohnte. Doch manchmal verirrten sich ahnungslose Besucher im Forst. So erging es auch einem jungen Pärchen, das auf Hochzeitsreise gegangen war. Hänsel und Gretel brachen an einem sonnigen Tag zu einem Spaziergang auf. Plötzlich wurden sie von einem Gewitter überrascht; sie flüchteten Schutz suchend unter die hohen, dichten Tannen, die das wenige Licht aussperrten. Um sie herum wurde es nachtschwarz. Gretel fürchtete sich und klammerte sich an Hänsel.
»Beruhige dich, Liebste, ich werde uns einen sicheren Unterschlupf suchen«, versprach ihr Mann. Er nahm ihre Hand und führte sie über einen gewundenen Weg durch das Gehölz. Die Bäume wurden immer dichter und Hänsels Zuversicht schwand. Er fragte sich, ob sie sich verlaufen hatten, als das Backsteinhaus der Hexe vor ihnen auftauchte. Licht fiel durch die Sprossenfenster und erhellte die Lichtung. Bunte Blumen blühten im Garten und alles sah so lieblich aus, dass Gretel erleichtert seufzte: »Dort wohnt sicher jemand, der uns helfen wird!«
Sie ließ die Hand ihres Mannes los und stürmte auf das Häuschen zu. »Wie hübsch es hier ist! So pittoresk!«, rief sie ihm im Laufen zu.
Hänsel erhob keine Einwände, als Gretel an die Tür klopfte.
Die dunkelgrüne Holztür öffnete sich mit einem leisen Knarren. Eine schlanke Frau mit braunen Locken, die von einem Tuch gebändigt wurden, stand vor den beiden.
»Guten Abend. Wir haben uns verlaufen und hoffen, dass Sie uns helfen können.«
Die Unbekannte lächelte und nickte. »Natürlich, kommt herein.«
Sie öffnete die Tür so weit, dass sie mühelos eintreten konnten, und bot ihnen einen Platz an dem kleinen Holztisch in der Stube an. Ein Feuer brannte im Kamin und an der Decke hingen Kräuterbündel zum Trocknen.
»Ich habe gerade eine Suppe gekocht. Esst mit mir und erzählt mir, was es Neues in der Welt gibt. Ich komme so selten fort von meinem Häusle.«
Sie schöpfte einen dicken, bräunlichen Eintopf in drei Schalen und stellte sie auf den Tisch. Ein verführerischer Duft stieg aus ihnen auf und Hänsels Magen knurrte vernehmlich.
»Oh, da hat jemand Hunger! Greift zu!«
Ihre Gastgeberin setzte sich zu ihnen und sie begannen hungrig zu essen.
Nach dem Essen unterhielten sie sich. Es wurde spät und die Frau setzte Teewasser auf. Aus schwarzen Beeren braute sie einen roten Tee, den sie ihren Gästen anbot. Aber nur Hänsel trank, Gretel war zu müde und wärmte sich bloß die Hände an der heißen Tasse. Der Tee war sehr süß; Hänsel verzog angewidert das Gesicht, trank jedoch aus Höflichkeit die Tasse leer. Gretel fielen immer wieder die Augen zu.
Die Frau rührte ihren Tee nicht an; sie wuselte im Raum hin und her, fegte den Boden, band Kräuter zusammen und animierte ihre Gäste zum Reden und Trinken. Anschließend schlug sie vor, dass die beiden bei ihr übernachten könnten. Das Gewitter war noch nicht vorbeigezogen und die Nacht war hereingebrochen. Morgen, so versprach sie, würde sie ihnen helfen, aus dem Wald zu finden. Hänsel und Gretel waren müde und ihre Glieder bleischwer. So willigten sie ein, ihr ins Hinterzimmer zu folgen und sich in das schmale Bett zu legen. Kaum hatten ihre Köpfe das Kissen berührt, schliefen sie ein.
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