Ein beinahe unerträglich warmer Sommertag liegt über dem Land, eine schwerdicke Hitze, die sich zwischen reifen Feldern, geduldig verharrenden Baumkronen und einem gleichmäßig hellblau bespanntem Himmel staut und nun, da sich die Sonne an Kraft verlierend dem Horizont nähert, scheinbar selbst zu glühen beginnt. Das hochsommerliche Wetter hat den August zum Stillstand gebracht und es sieht nicht danach aus, als würde sich das in den nächsten Tagen ändern. Die bevorstehende Nacht wird ausgesprochen warm werden, nicht ein Hauch kühlender Luft, der den klaren Sternenhimmel zum Flimmern bringen könnte. Und das ist auch gut so.
Mein Blick streicht über ein kleines Meer aus Tannenspitzen, die zwar weit hinauf gewachsen sind, aber die hohen Mauern der alten Burganlage, aus der ich hinab sehe, nicht erreichen können. In einiger Entfernung endet der lichte Nadelwald, auf dessen moosbewachsenem Boden die Schatten der Baumstämme immer länger werden, und ich beobachte den grau schimmernden Streifen aus Asphalt, der in einiger Entfernung über die Felder hinweg von Ost nach West zieht. Dort pulsiert der Tag noch, zahllos spiegelt sich die untergehende Sonne in den Windschutzscheiben der Fahrzeuge, die westwärts über die Autobahn eilen. Ich frage mich, ob jemand von dort aus einen Blick auf die alte Burg wirft, die zwar nicht verlassen wirkt, aber sicher belanglos sein wird für Reisende, die schnell nach Hause kommen möchten oder ungeduldig auf den nächsten Rastplatz hoffen. Und doch werden sie alle von dort kommen, denke ich, in weniger als einer Stunde, wenn sie sich an die Einladung halten und ab der Zeit des Sonnenuntergangs die Burg betreten.
Ich streiche mit der Hand über die warmen, behauenen Steine der Burgmauer, während ich mich in Bewegung setze, um das beinahe kreisrunde Areal gemächlich zu umrunden. Die letzten Wanderer, die heute hergefunden hatten, um zu verweilen und den Ausblick zu genießen, habe ich schon vor gut drei Stunden aus der Burganlage gebeten, bevor ich das große Eisentor von innen verriegelte. Ich muss einen seltsamen Eindruck bei ihnen hinterlassen haben, denn ich trage mein schneeweißes Hemd mit den Schnüren an Armen und Brustausschnitt, welches einen schönen Kontrast bildet zu der tiefschwarzen und schweren Lederhose. Ich weiß nicht, ob sie mein Halsband gesehen haben, in jedem Fall aber schien ich ihnen nicht geheuer zu sein, denn sie drehten sich auf dem staubigen Feldweg, der von der Burg weg führt, mehrmals um und beobachteten mich, wie ich ihnen versonnen nachschaute.
Ich blicke zum Hauptgebäude der Burganlage, welches sich in der Nähe des Tors befindet und von außen einen riesigen, aber verwinkelten Eindruck vermittelt. Man vermag anhand der sichtbaren Ornamentfenster, die über die Außenwände verteilt sind, nicht erkennen, wo sich Zimmer und Treppen befinden. Ich überlege, ob dies vielleicht Absicht war in einer Zeit, in der Kriege mit Steinschleudern, Feuerpfeilen und tiersehnenbespannten Bögen geführt wurden. Ich weiß, dass dieses Gebäude von innen noch riesiger und noch verwinkelter erscheint, als es von draußen zu erahnen ist. Zahlreiche Zimmer, Gänge, Treppen und letztlich ein kaum überschaubarer Keller, der beinahe die gesamte Burganlage unterhöhlt, müssen damals Platz geboten haben für ein wahrhaftes Volk an Besuchern. Für einen Moment spüre ich die Lebhaftigkeit der vergangenen Tage, hier, in der Mitte des Areals, Mensch und Vieh, durcheinander rufende, johlende Menschen, reges Handeltreiben, mehrere Lagerfeuer, um die man saß und laut erzählte. Aus den Fenstern des Hauptgebäudes schaut man heraus, die gehobenere Gesellschaft tummelt sich nicht auf dem Hauptplatz, natürlich, ebenso wenig in den Kellern, in denen diejenigen geschlagen und gepeitscht werden, deren Anwesenheit von den Wissenden verleugnet wird. Der Gedanke an die Keller schickt ein wohliges Kribbeln über meinen Rücken.
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