Emily riss mir die Augenbinde ab. Sie sah aus wie eine blutrünstige Göttin. Entsetzt sah ich sie an: Sie hatte mich in eine Maschine transformiert, auf ihre Bedürfnisse zurechtgeschnitten. Ich wollte nicht in so eine Sadomasochismus-Nummer hinein geraten, hatte aber wohl keine andere Wahl. Ich war nur für sie und durch sie ins Leben gerufen worden: Ein Mensch, ein Wesen, ein Instrument. Und so lernte ich Emilia kennen.
Ich wollte ihr nun endlich zeigen, dass da mehr war, deshalb kaufte ich kurzum Zugtickets nach Prag. Ein gemeinsamer Urlaub würde zeigen, wie ernst es mir war. Natürlich war sie bestimmt schon öfter da gewesen, aber ich dachte, es wäre eine erwachsene Geste, sie von meinem Abschlussgehalt zu etwas Besonderem einzuladen. Zusammen mit einem Strauß Rosen legte ich ihr die Tickets vor die Tür und ging freudig erregt nach Hause. Ob sie Zeit hatte? Und wenn ja - hatte sie auch Lust? Ich war der Meinung, dass sich unsere Beziehung zu mehr als einer Kette sexueller Eskapaden entwickelt hatte. Ich wusste, dass ich sie zutiefst begehrte, doch wie das immer so ist: Ich wollte nicht von Liebe sprechen, bevor sie es nicht tat.
Ich verbrachte meinen Tag mit Warten: Es war ungefähr um acht gewesen, als ich mich, unter Vorgabe, die Post zu sein, in den Hausflur der Mehrfamilienhauses geschlichen und den Blumenstrauß vor ihrer Tür platziert hatte. Aus Angst vor der Ablehnung hatte ich es nicht gewagt, persönlich und spontan vor ihrer Tür zu stehen, unangemeldet. Sie pflegte ungefähr um neun Uhr dreißig aus der Tür zu treten und zur Arbeit zu gehen. In diesen neunzig Minuten zwischen der Platzierung der Rosen und dem Austreten würde bestimmt niemand an der Tür vorbeikommen, um die Blumen zu entfernen oder sonst irgendetwas, das meinen Plan hätte im Ansatz vereiteln können. Ich wusste das, weil das die Zeit war, in der ich in den vergangenen sechs Monaten häufig ihre Wohnung verlassen hatte.
Das Warten hielt vier Stunden an und als es am Abend immer noch keine Meldung ihrerseits gab, vermischte sich meine durch Euphorie geprägte Aufregung mit dem bitteren Gefühl möglicher Zurückweisung: Kein Anruf, keine elektronische Post, keine Beachtung in irgendeiner Form. Natürlich kannte ich sie schon ein bisschen und wusste, dass dies eine Art Dominanzgehabe ihrerseits war, das sie brauchte, um sich wohl zu fühlen - aber als der Abend später und dann zur Nacht wurde und sich immer noch nichts getan hatte, wurde ich ängstlich. Waren die roten, gelben und weißen Rosen übertrieben, die Fünftagereise nach Prag zu viel, zu aufdringlich?
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