Ich bin jetzt schon etliche Male durch die Geschichte gegangen, und spontan reagierte ich auch positiv im Sinne von "Hach, schön...". Und nach dieser attraktiven Mahlzeit bekam ich so etwas wie 'literarisches Sodbrennen'. Die Geschichte lag schwer im Magen. Da stimmt etwas nicht mit dem Schönen.
Ich schau mir also einmal die Personen an.
Viola:
Ein Duftveilchen. Bescheiden, anspruchslos. Und in der Trauerfarbe lila. Tatsächlich, es fehlt ihr ja auch Wesentliches, sie spürt eine Sehnsucht. Und ja, es kostet immer Überwindung, Wünsche zu äußern. Mutiges Mädchen!
Peter:
Auf fällt die anfangs offen kritische Schilderung des Gatten aus der Sicht Violas. Er hat keinen Sinn für Zeremoniell und Symbolik (bspw. Weihnachten), seine Nüchternheit grenzt an Geiz; seine Geschenke sind inhaltslose Gutscheine (Geld), sogar ohne Verpackung. Viola nimmt ihn so wie er ist: das Kaminfeuer deutet auf eine schon lang währende "Gemütlichkeit".
Was bekommt Viola?
Zunächst einmal Unverständnis und Irritation.
Die Aufforderung: „Komm, lass die Wünsche ein wenig ruhen"
Einen Gutschein (kostenfreier Zugang zu einer Webseite)
Den Hinweis, ihr Passwort zu ändern, so dass nur sie Zugang hat (er nimmt sich damit raus)
Viola möge sich dort umtun, um sich klarer artikulieren zu können, was sie will.
Passt das nicht zu ihm? Er schiebt auf die lange Bank, geizt, und zieht sich erst einmal raus. Die Gutschein-Methode, bei der die Beschenkte sehen soll, was sie daraus macht. Viola ist so offen und klar in der Aussage in ihrem Brief, so groß kann ein Brett vor dem Kopf ihres Gatten gar nicht sein, außer es ist Trägheit.
Viola ist klar in ihrem Brief. Es gibt nur eine Schwachstelle: das ist ihre Rest-Unsicherheit "Ich habe die Sehnsucht nach etwas, von dem ich nicht einmal behaupten kann, ob ich das wirklich will." Diese eine unsichere Stelle nutzt er im Folgenden für seine Kunstgriffe aus. Er selbst bezieht derweil schon einmal Stellung:
„Also Viola, ich ... möchte dich behüten und beschützen, dass Dir niemals Leid geschehe. Und Du wünschst von mir, dass ich Dich quälen und demütigen soll?“
Das hört sich schmeichelnd an, ist aber im Kern eine Frustration ihrer Bedürfnisse, die sie in ihrem Brief mutig äußert. Peter heftet sich ans Quälen und Demütigen, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, was dies für Viola, oder für die Beziehung BEDEUTEN kann (z.B. existentielle Sehnsüchte). Wie gut kennt er seine Viola? Oder: wieweit WILL er sie überhaupt kennen? Bei der kleinsten Mühe weicht er aus. Weihnachten ist ihm ja schon zu viel, und er sieht nur den Aufwand, den es ihm bereitet. Geiz auf allen Ebenen.
Er ist ein faules Stück, das elegant ausweicht, wenn seine Bequemlichkeit auf dem Spiel steht. Ihm gelingt es, Viola mit schönen Worten einzulullen und zu vertrösten. Viola bleibt zurück mit dem Auftrag, sich klarer zu werden, was sie will. Sie soll ihre Bedürfnisse gefälligst so umformulieren, dass ihr Gatte damit einfacher umzugehen weiß. Sie soll es ihm bekömmlicher machen.
Das ist für mich der "Subtext".
Und keine Frage, wie es weitergeht: Viola wird lesen und sich ewig mühen, ihre Bedürfnisse herunter zu skalieren auf das Niveau der Bequemlichkeit ihres Gatten. Das kann dauern. Viola wird darüber eingehen wie eine Primel. Und er wird ihre Lebensenergie weiter mit seiner Watte aufsaugen.
Wo Bedürfnisse auf Geiz i.w.S. stoßen, ist schon verloren.
@Rote Sonne:
Da hast Du in mir ja eine Saite anklingen lassen
Vielen Dank für Deine zart-bittere Schokolade. Eine Praline mit Gräte darin.
Eine Story, die verschiedene Lesweisen zulässt. Klasse.