Apfel
Statt sich auszuziehen, setzte sie sich zunächst auf den Stuhl und betrachtete das Szenario vor sich. Nein, das war nichts, das sie nicht irgendwo schon einmal gesehen oder gelesen hatte. Sie hatte es selbst noch nicht erlebt, aber die Idee war nicht neu. Dennoch war sie schön.
Eine BDSM-Geschichte von Devana.
Info: Veröffentlicht am 24.12.2014 in der Rubrik BDSM.
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Tapfer kämpfte sich der Rollkoffer seinen Weg durch den frisch gefallenen Schnee. Das nervige Geräusch, das die Rollen normalerweise von sich gaben, wurde angenehm gedämpft. Lange würde es aber nicht mehr angenehm sein, den Koffer hinter sich her zu ziehen, denn es schneite unaufhörlich. Noch genoss Lilly aber den Weg durch die einsamen Straßen, die in frisches Weiß gehüllt waren. Obwohl ihr kalt war und obwohl sie eine gewisse Enttäuschung in sich spürte. Die Fahrt mit dem Zug war ihr leichter gefallen, als sie befürchtet hatte. Doch er hatte sie nicht abgeholt. Damit hatte sie rechnen müssen, er hatte ihr gesagt, dass dies geschehen könnte. Trotzdem war sie davon ausgegangen, er würde es irgendwie möglich machen. Für sie.
Lilly schluckte ihre Enttäuschung runter. Nein, sie konnte ihm das wirklich nicht vorwerfen. Er war kein Zauberer. Und der Weg, den sie jetzt zurücklegte, war nicht unzumutbar. In der Luft lag dieser typische Geruch von Schnee. Manche Leute sagen, man könne Schnee nicht riechen. Lilly konnte es.
Er hatte ihr gesagt, wie sie zu ihm ins Haus kommen konnte. »Suche in dem Grün des Türkranzes und du wirst den Schlüssel finden«, hatte er ihr geraten. Noch viele andere Dinge hatte er ihr gesagt. Was sie ihm bedeuten würde, was sie von ihm erwarten könne. Viel.
Sie bog in seine Straße ab. Auch hier lag auf den Straßen noch der Schnee. Es gab kaum Spuren und diese wurden sogleich erneut von einer feinen weißen Schicht bedeckt. Sie mochte diese Straße, die so gar nicht typisch deutsch anmutete. Sie bestand aus Reihenhäusern, die direkt an den Gehweg gebaut waren. Zu jeder Tür führte eine kleine Treppe und die ganze Straße hätte man auch einfach in eine englische Stadt versetzen können.
Die meisten Häuser waren weihnachtlich dekoriert. Hier eine Lichterkette an den Fenstern, einige Laternen mit brennenden Kerzen auf dem kleinen Absatz vor der Eingangstür. An seiner Tür, wie an vielen anderen, ein Kranz. Tannengrün, rot umwickelt und mit Kugeln dekoriert. Klassisch. Musste sie es seltsam finden, wenn ein allein lebender Mann so etwas an seiner Tür anbrachte? Aber sie wusste, dass er Sinn für solche Details hatte. Einen Sinn für Ästhetik. Das mochte sie an ihm. Das und noch viel mehr.
Sie fand den Schlüssel im Kranz. Er hatte ihn hinter dem roten Band verborgen. Sie steckte den Schlüssel ins Schloss und machte sich darauf gefasst, gleich alleine in seinem Haus zu sein. Ohne ihn. Ohne seine Umarmung.
Sanftes Licht umarmte sie als schwacher Trost an seiner statt. Er hatte die kleine Tischleuchte auf der Kommode im Flur brennen lassen. Ein Zettel lag daneben. Zusammen mit einem Feuerzeug. Nur eine kurze Nachricht an sie.
Gehe ins Wohnzimmer und benutze das Feuerzeug.
Keine Anrede, kein Gruß.
Lilly ließ ihren Koffer und ihre Stiefel im Eingangsbereich stehen. Der schmelzende Schnee sollte nicht den Boden verderben. Sie nahm das Feuerzeug und ging ins Wohnzimmer. Auch hier brannte eine kleine Lampe, die den Raum in ein diffuses Licht tauchte. Die Rollläden waren heruntergelassen, was im Anbetracht einer weiteren Notiz an sie auch gut so war.
Für Deine Kleidung.
Der Zettel lag auf einem Stuhl gleich neben der Tür. Lilly kämpfte ein kurzes Gefühl des Aufbegehrens nieder. Normalerweise gab er ihr Zeit, bei ihm anzukommen, sich bei ihm wohl zu fühlen, sich auf ihn einzustellen. Allein die erste Umarmung von ihm gab ihr immer die Gelegenheit, die restliche Welt zu vergessen, ganz in seine Welt einzutauchen. Jetzt aber fühlte sie sich alleine, jetzt musste sie es selbst schaffen, sich auf ihn einzustellen. War ihm das bewusst, was er da von ihr verlangte?
Statt sich auszuziehen, setzte sie sich zunächst auf den Stuhl und betrachtete das Szenario vor sich. Nein, das war nichts, dass sie nicht irgendwo schon einmal gesehen oder gelesen hatte. Sie hatte es selbst noch nicht erlebt, aber die Idee war nicht neu. Dennoch war sie schön. Überall im Raum standen Kerzen. Große, kleine, dicke, dünne. Der wesentliche Teil aber war der Kreis aus Teelichten vor ihr auf dem Parkett.
Langsam begann sie sich auszuziehen. Sie hätte auch zuerst die Kerzen entzünden können, aber sie wusste, dass ihm das nicht gefallen würde. Sie wusste, wie gerne er ihr zugesehen hätte, während sie nackt all die Kerzen im Raum entzündete. Genau das tat sie, als sie schließlich entkleidet war. Sie hatte mit dem Feuerzeug nur die erste Kerze entzündet, die sie nun zu all den anderen trug und die Flamme an sie weitergab. Der Raum füllte sich mit dem sanften Licht der Kerzen. Zwischendrin knipste Lilly entschlossen die Lampe aus. Sie wurde nicht mehr gebraucht.
Sie tat alles mit Bedacht. Fast meditativ. Hatte er geahnt, dass sie durch diese Aufgabe ebenfalls etwas innerliche Ruhe finden konnte? Als letztes entzündete sie die Teelichter in der Raummitte. Langsam ging sie in die Knie, fühlte dabei auch dieses innerliche Niedersinken, das ihr und ihm so viel bedeutete. Das die Grundlage ihrer Beziehung war. Licht für Licht vollendete sie den Kreis. Sie erhob sich wieder und stellte die Kerze, mit der sie das Licht weitergegeben hatte, auf den Tisch. Ihr Blick richtete sich auf den Kreis. In dessen Mitte wollte er sie haben. Sie wusste auch genau wie. Wieder mit Bedacht überschritt sie die Außenlinie des Kreises und sank in dessen Mitte abermals auf die Knie. Nichts anderes wäre möglich gewesen. Der Sog nach unten war zu stark und sie fühlte erstaunt in sich, dass er da war, obwohl er nicht da war.
Sie öffnete leicht die Beine - er würde das so wollen - senkte den Kopf und schloss die Augen. Das durfte sie nicht oft tun, denn er wollte sie sehen, wollte in sie hinein sehen. Aber gerade durfte sie es, gerade musste sie es, denn sie wollte selbst in sich schauen. Sich selbst ansehen. Diesen Teil von ihr, der so unbedingt zu ihr gehörte und den sie ihm geschenkt hatte. Ihm, der dieses Geschenk angenommen hatte und so sehr zu würdigen wusste.
Wie lange sie in dieser Stellung schon verharrte, wusste sie nicht. Nur ganz leicht zuckte sie zusammen, als eine Hand über ihren Kopf streichelte. Seine Hand. Sie hatte ihn nicht kommen hören. Diese Erkenntnis sickerte nur langsam zu ihr durch. Er musste die ganze Zeit über da gewesen sein, sonst wäre das nicht möglich gewesen. Hatte er sie beobachtet? Wo war er gewesen? Hatte er sie sehen können?
Sie schmiegte ihren Kopf in seine Hand. Ein kleiner Ersatz für die Umarmung.
Ein Finger legte sich erst auf ihre Lippen, dann auf ihre Augen. Sie verstand. Sie sollte schweigen und die Augen weiterhin geschlossen halten. Sie nickte leicht.
Er ließ den Körperkontakt nicht abreißen, fuhr mit seinen Händen über ihre Schultern hinab, den Arm entlang und ergriff ihre linke Hand, die locker auf ihrem Oberschenkel gelegen hatte. Er führte sie sanft nach hinten bis zu ihrem linken Fußknöchel. Sie fühlte Leder an ihrer Haut. Leder, das er so liebte und das er oft den Seilen vorzog. Und auch jetzt verwendete er einen Lederriemen, um ihre Hand am Fußgelenk zu fixieren. Mit ihrer rechten Hand vollzog er anschließend das gleiche am rechten Fußgelenk. Lilly musste ihr Gleichgewicht ein wenig austarieren, aber die Lage war noch erträglich. Erträglich, doch nun erzwungen offen.
Wieder spürte sie Leder auf ihrer Haut und Lilly wusste sofort, um was es sich dabei handelte. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie es endlich wieder an ihrem Hals spüren durfte. Sie senkte ihren Kopf noch weiter, damit er gut an ihren Nacken kam, um die Schnalle ihres Halsbandes zu schließen. Für sie beide immer ein bedeutungsvoller Akt. Jetzt war sie voll und ganz Seins.
Er gab ihr ein paar Momente, ihre Gefühle in den Griff zu bekommen. Vielleicht auch die seinen. Ein Finger hob ihr Kinn an.
»Sieh mich an«, durchbrach er flüsternd die Stille.
Sie öffnete die Augen und wusste, dass er bis in ihr Innerstes sehen konnte, als sich ihr Blick in seinem versank. Kurz stand die Welt still.
»Hast Du mir etwas mitgebracht?«, fragte er weiterhin flüsternd.
Lilly nickte.
Er griff hinter sich und holte einen weißen Teller hervor, den er zwischen ihre Beine stellte.
»Gib es mir bitte jetzt«, forderte er sie auf.
Lilly kam dieser Aufforderung nach. Es war nicht einfach gewesen, das Gewünschte mitzunehmen. Sie hatte lange dafür gebraucht, ihn aufzunehmen, wäre beinahe daran gescheitert. Im Zug hatte sie ihn anfangs gespürt und irgendwann hatte sie sich beinahe an ihn gewöhnt. Nur ihr Kopf hatte sie weiterhin beschäftigt.
Lilly strengte sich an. Nach der langen Reise hatte sie erneut Schwierigkeiten, sich so weit zu öffnen. Schmerz durchfuhr sie, als sie ihren Muskeln befahl, das gewünschte Objekt wieder preiszugeben. Aber es war nur ein kurzer Schmerz.
Mit einem dumpfen Laut landete der Apfel auf dem Teller.