Salz? Tante Agathe prüfte den halbgetauten Blattspinat im Topf. Dunkelgrün, giftig, etwas schmierig sah er aus. Gekonnte Zubereitung würde es richten. Ein wenig Wasser dazu, auf zwanzig Grad erwärmen. Kein Salz. Keine Zwiebel, keine Butter, kein Muskat.
Tante Agathe nahm drei große Kartoffeln aus dem Vorteilsnetz, schnitt die angefaulten Stellen heraus. Sie dachte einen Moment darüber nach, ob sie die Kartoffeln schälen sollte, entschied sich für Pellkartoffeln. Das machte etwas her. In guten Restaurants bekam man eine große, ungeschälte Kartoffel mit ein wenig Quark als Backkartoffel schon ab neun Euro.
Aus dem Kühlschrank nahm Tante Agathe vier Eier, tat sie in einen Topf mit Wasser, gab die drei Kartoffeln dazu. Während sich das Wasser erwärmte, legte sie in der guten Stube eine weiße Tischdecke auf, deckte mit Messer und Gabel für zwei Personen, stellte einen Serviettenhalter auf den Tisch, legte Stoffservietten mit aufgedruckten Weihnachtsbäumen ein.
Das Wasser kochte. Nach vier Minuten nahm Tante Agathe die Kartoffeln heraus, legte sie auf einen großen Teller, tat den getauten Spinat dazu. Auf die Kartoffeln goss sie ein wenig warmes Spinatwasser. In der Einfachheit lag das Geheimnis einer edlen Sauce. Die Eier mussten weiter kochen. Tante Agathe ging in ihr Ankleidezimmer. Sie zog ein dunkelgraues Wollkleid an, richtete den Kragen der weißen Bluse, befestigte die Brosche mit dem braunen Stein kurz unter ihrem Hals. Im Bad legte sie ihre Haare zu einem Dutt, gab ihm mit schwarzen metallenen Spangen Halt. Sie schlüpfte in ein paar bequeme, schwarze Halbschuhe mit flachen Sohlen, nahm vom Fensterbrett einen großen, gut gewachsenen Weihnachtsstern, stellte ihn auf den Tisch. Sie sah zur Uhr. Die Eier kochten fast eine Stunde.
Aus dem Tiefkühlschrank wählte sie einen der wirklich guten Flammkuchen, stellte den Backofen auf Pizzastufe. Sie schaute zur Uhr, nahm die Eier vom Herd, legte sie in kaltes Wasser.
Wladimir betrat den Jugendstilbau. Er sah Schwäne und Pflanzen, blaue, rote und grüne Ornamente. Die Fliesen an den Wänden und auf dem Boden glänzten. Eine gerahmte Tafel zeigte als stummer Portier die Bewohner des Hauses an. Wer hier wohnte, achtete gute Dinge, legte Wert auf Beständigkeit, althergebrachten Stil, ausgesuchte Gesellschaft und feste Regeln. Wladimir stieg die Treppe nach oben. Gebohnertes Linoleum, die Stufen an den Kanten mit matt glänzenden Metallschienen gegen Abrieb geschützt. Ein Geländer aus dicken, gedrechselten Pfosten, mit braunem Lack gestrichen, der geschwungene Lauf schwarz abgesetzt. Er bekam Lust, auf dem Geländer nach unten zu rutschen. Was für ein Unfug, fort damit. Tante Agathe wartete sicher schon. Wladimir zog seine Hose zurecht, prüfte den korrekten Sitz seines Schlipses, wedelte einen Hauch Staub von seinen glänzenden Halbschuhen. Tante Agathe legte Wert auf gepflegtes Aussehen. Das Seidenpapier um den Weihnachtsstern lag ebenfalls korrekt. Der Blumenhändler verstand sein Handwerk.
Es klingelte. Tante Agathe ging zur hohen Holztür, sah durch den Spion, öffnete.
»Zwei Minuten zu spät, Wladimir«, tadelte sie. »Du weißt, dass ich es mit der Pünktlichkeit genau nehme. Gibt es einen Grund für deine Verspätung?«
»Schwierigkeiten mit dem Parkplatz. Bitte entschuldige.« Wladimir griff mit seiner freien Hand in die Jackettasche, nahm ein kleines Päckchen heraus.
»Eine kleine Aufmerksamkeit, auch wenn noch kein Weihnachten ist, Tante Agathe.«
Sie nahm ihm Pflanze und Päckchen ab.
»Zieh deine Schuhe aus, komm herein.«
Wladimir ging auf Strümpfen in die Wohnung. An beiden Seiten des Flures hatte Tante Agathe Vitrinen aufgestellt, in denen hunderte kleine Eulen standen. Porzellan, Silber, kein Plastik. Einige der Nachtvögel schienen ihn direkt anzustarren. Sein Geschenk würde sicher gefallen. Tante Agathe stand am Ende des Flures, wartete, schien ein wenig ungeduldig. Schnell nahm ihr Wladimir den Topf mit der Pflanze ab, entfernte das Seidenpapier.
»Ein außerordentlich gut gewachsener Weihnachtsstern«, sagte Tante Agathe, ohne Freude in Stimme oder Gesicht zu zeigen. »Stell ihn auf das Fensterbrett in der guten Stube zu den Anderen und setz dich an den Tisch.« Sie ging in ihr Ankleidezimmer, legte das Päckchen auf die Kommode.
Wladimir betrat die gute Stube, ging zum Fenster, zählte sieben Weihnachtssterne, schob sie so zurecht, dass seine Pflanze ihren Platz fand. Eine Orchidee hätte er kaufen sollen, eine Amaryllis oder Stechpalme, nicht immer wieder einen dieser langweiligen Weihnachtssterne. Er ging zum Tisch, sah die weiße Decke, einen Weihnachtsstern in handbemaltem Übertopf als Tischschmuck. Messer und Gabel hatte Tante Agathe so gelegt, dass sie ihm gegenüber sitzen würde. Wladimir setzte sich auf den ungepolsterten Holzstuhl, lauschte auf die Geräusche, die aus der Küche kamen.
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