Wird wenigstens nicht langweilig, wenn man unglücklich ist
Valentin verehrt Djuna bis zur Selbstaufgabe. Nachdem er ihr einen Gefallen getan hat, wagt er es, sich ihr gegenüber zu öffnen. Weiteren Treffen stimmt sie aber nur dann zu, wenn er speziellen Anweisungen folgt. Die lässt sie ihm in einem Päckchen zukommen.
Gerne wäre ich glücklich; ich bin es nicht. So viel Zurückweisung habe ich mir inzwischen geholt, konservativ geschätzt sollte es für ein paar Leben reichen. Unsere Existenz ist aber nun mal kein Nullsummenspiel, bei dem jeder Regentropfen, den man abbekommt, von einem Sonnenstrahl eilfertig kompensiert wird; jeder lernt es, sogar ich beginne es zu begreifen.
Vor mir liegt ein Päckchen. Ohne Adresse, ohne Absender, einfach nur grobes Packpapier, das eine kleine Kiste umhüllt. War auch gar nicht nötig zu schreiben, von wem es kommt. Ich habe keine Ahnung, was sich darin befindet, doch ich weiß mit absoluter Sicherheit, sein Inhalt wird mein Leben verändern. Nur, wie ich das finden soll, darüber bin ich mir nicht im Klaren, denn ich will zwar diese Veränderung, habe aber Angst vor meinen Gefühlen und vor dem Leben und vor eigentlich allem; kein Wunder also, wenn ich etwas unentspannt bin. Schon blöd, feige zu sein, was alles Neue betrifft. Natürlich werde ich trotzdem zur Schere greifen, am besten in Julies Gegenwart. Der Inhalt des Päckchens, auch das weiß ich schon, ohne ihn zu kennen, betrifft nämlich nicht nur mich, sondern auch sie; ist also fair, wenn sie dabei ist, wenn ich ihn enthülle, ich schätze, ich bin ihr diese Geste schuldig. Schließlich habe ich sie immer belogen, wenigstens einmal möchte ich ehrlich zu ihr sein.
Ich kann Julie gut leiden, auch wenn ich nicht in sie verliebt bin. Sie ist still, sie ist schüchtern und sie hat ein unglaublich süßes Lächeln; außerdem halte ich sie für ein bisschen dumm. Klingt jetzt vielleicht gemein, ist aber nicht so gemeint. Ich habe zu wenige Schwierigkeiten mit dem Unistoff, um in seiner Bewältigung eine anspruchsvolle Aufgabe zu sehen. Darauf bilde ich mir nichts ein. In all den Dingen, die tatsächlich von Bedeutung sind - Freunde zu finden, zu lachen und glücklich zu sein -, bin ich so viel schlechter als alle, die ich kenne (ich kenne natürlich nicht sehr viele), es steht mir mit Sicherheit nicht zu, mich abfällig über andere zu äußern, nur weil sie Schwierigkeiten damit haben, verquaste Theorien mit solcher Verve wiederzugeben, dass sie selbst an die Bedeutung ihrer Worte zu glauben beginnen. Julie mag an der Universität kämpfen, allerdings ist sie smart genug, um sich nicht übermäßig mit diesem Problem zu beschäftigen. Unsere Beziehung, fürchte ich, beschäftigt sie auch nicht wirklich. Vielleicht ist sie nur aus Bequemlichkeit bei mir, und weil sie keine Lust hat, darüber nachzusinnen, was alles anders würde, wenn es anders würde. Möglicherweise interpretiere ich auch einfach zu viel in ihre beharrliche Weigerung, mit mir zu schlafen. Sie erklärt dies mit Reinheit und Unschuld und so, und irgendwie bedaure ich, nicht genügend Interesse für unsere Beziehung aufzubringen, um empört oder verletzt zu sein. Stattdessen beruhigt der Gedanke, sie liebe mich nicht, mein Gewissen. Zwar bin ich es gewohnt, mich wertlos zu fühlen, aber es fällt leichter, die Schuld daran, dass es nicht so läuft, wie man es nach Lektüre rosaummantelter Kitschbücher erwarten dürfte, nicht bei mir allein zu suchen. Immerhin mag ich, wenn sie mich anlächelt. Der andere Benefit, den ich aus unserer Beziehung ziehe, ist, mir einreden zu dürfen, ich sei ein normal veranlagter Mensch mit normalen Neigungen und Wünschen. Aber stimmt natürlich nicht. Es liegt nicht an meinem ungeschickten Umgang mit anderen. Es liegt auch nicht daran, dass ich zu selten lächle. (Lächeln stört mich eben beim Ausleben meiner Depressionen.) Vielmehr hat es damit zu tun, was ich mir wünsche, ganz egal, welch wichtige Aktivität ich gerade zu verfolgen vorgebe, obgleich ich nichts sehnlicher will, als meine geheimen Sehnsüchte zu vergessen ... nein, falsch, obgleich mir mein Verstand befiehlt, ich sollte mir nichts sehnlicher wünschen, als sie zu vergessen, aber wer hört schon auf sein Hirn, wenn es um Liebe geht? Egal, wahrscheinlich sollte man nicht bereuen, wer man ist, ansonsten wird das Leben noch schwieriger. Allerdings wäre es fairer, Julie zu gestehen, wovon ich fantasiere, trotzdem verspüre ich keine zu großen Gewissensbisse, meine Freundin nicht mit Storys über meine heimlichen Wünsche zu behelligen; ohnehin sprechen wir inzwischen so selten miteinander, dass sich für die wenigen Gelegenheiten, wenn wir vorgeben, aufeinander einzugehen, andere Themen anbieten.
Lieber Robert S, ich habe mich gerade durch Dein „Feldmanns Päckchen“ durchgelacht (((-: – und wachse jetzt sehr an Deinem tollen Kompliment! Ganz vielen lieben Dank – das bedeutet mir wirklich sehr viel!
# Wodin
Lieber Wodin, danke für Dein Urteil. Dass ich zu Schachtelsätzen neige, ist ja leider (fürchte ich) kein Stilmittel, sondern einfach meine Art zu schreiben, aber danke, dass Du sie so nett erklärst! (-:
Eine darart gut ausformulierte, durchdachte, in Konzentration und Ruhe geschriebene Innenansicht eines submissiven Mannes in dieser Ausführlichkeit und Schonungslosigkeit habe ich noch nicht gelesen. Aus meiner Sicht ist dein Text ein Lehrstück, das mir zeigt, welches Ergebnis man mit schriftstellerischer Sorgfalt erreichen kann.
Kompliment, ein eher heikles Thema über die "Innenansichten" mancher submissiver Männer. Wenn das Verlangen aus dem Innersten auf gesellschaftliche Normvorstellungen trifft und deswegen die Gedanken Karussell fahren. Ich denke, der Eine oder Andere hier mit der gleichen Neigung - und davon tummeln sich hier auf den Schattenzeilen nicht wenige - können Ähnliches aus ihrem Leben berichten.
Beim Lesen bin ich oft sehr ungeduldig und daher stören mich normalerweise sehr lange Schachtelsätze, und hier finden sich viele davon. Doch ich denke, in dieser Geschichte unterstreichen sie geradezu die innere Zerrissenheit des Protagonisten.
So ein tolles Lob, das freut mich aber ganz besonders!
Ja, ich hab schon ein großes Glück mit meiner Donna, das wird mir jeden Tag mehr bewusst. Aber ich kenne auch den Selbstbetrug, die Selbstverleugnung und die Selbsttäuschung zur all zu gut. Auch wenn ich noch jung an Jahren bin.
Schön, dass du da bist. Fühl dich umarmt und liebgehabt!
Liebe Noras Marie, ganz vielen lieben Dank für Dein sehr nettes Urteil! Das bedeutet mir gleich aus drei Gründen richtig viel:
1) Weil ich Deine Geschichten beide geliebt habe - über Deinen Siegertext muss man ja gar nicht mehr viel sagen, der ist sowieso schon völlig zu Recht in den Himmel gelobt worden, aber Deine erste Story fand ich auf keinen Fall schlechter und konnte mich gleich so gut in Dich hineinversetzen, dass ich Dich wie plastisch vor mir hatte... von daher natürlich wunderschön, wenn Du den Text lobst. (-:
2) Ich finde es toll, dass Du die Geschichte mochtest, weil Du ja genau wie ich eben gerade nicht dominant bist - ich hab manchmal den Eindruck, ich sei so völlig allein mit meinen Wünschen, Vorstellungen und Fantasien, dass ich dann tatsächlich am liebsten heulen könnte (ich versage es mir allerdings, weil das wohl doch ein bisschen zu peinlich würde (((-; , na ja, egal...), jedenfalls, bei Dir glaube ich tatsächlich, Du verstehst mich, weil Du (behaupte ich einfach mal) in manchen Punkten sehr ähnlich tickst wie ich.
3) Es hat mich sehr gefreut, dass Du in der Geschichte die Aufforderung siehst, sich nicht "selbst zu belügen"..., und vielleicht sollte ich das zukünftig auch mal als Lebensmantra für mein eigenes Leben ernst nehmen, wenn ich auch irgendwie fürchte, ich schaffe es nicht. Du hingegen lebst ja Deinen Traum (hoffe und lese ich) und schaffst es, Deine Leidenschaft offen zu leben, etwas, das ich bislang noch nie gewagt habe und das zu tun ich möglicherweise auch nie den Mut finden werde... aber irgendwie lassen mich Deine Worte hoffen, dass ich vielleicht tatsächlich irgendwann mal den Sprung wagen kann. (-:
# Leo Me :
Liebe Leo Me, vielen lieben Dank für Deine sehr freundliche Kritik. (-:
Persönlich habe ich (klingt vielleicht pervers, okay) es zuweilen ganz gern, wenn ich traurig bin; das erinnert mich daran, dass es noch Sachen gibt, die mir was bedeuten…
# bladin:
Lieber bladin, vielen Dank für Deinen Kommentar. Zu Deiner sehr interessanten Assoziation fällt mir ein Theaterstück von Camus ein, „Die Gerechten“, wo der Mörder des russischen Großfürsten die mögliche Begnadigung ablehnt, weil er nur dadurch, dass er selbst gerichtet (und damit quasi zum Märtyrer) wird, anstatt öffentlich zu bereuen, seine Tat vor sich selbst rechtfertigen kann. Diese Idee eines „Gerechten“ wurde – so gewagt, wenn auch unrealistisch es noch zum Zeitpunkt scheinen mochte, als das Stück geschrieben wurde -, später durch Selbstmordattentäter tatsächlich ja völlig pervertiert. Von daher kann ich verstehen, wenn Dir die Gedankenverbindung einen kalten Schauer beschert.
Allerdings bin ich von Deiner Assoziation solch verrückter Terrorideen gerade etwas kalt erwischt worden, ich hatte überhaupt nicht an so etwas gedacht (die Vorstellung, andere aus welchen Gründen auch immer zu verletzen, ist mir ohnehin eher fremd ((-: ), und ich stelle mir persönlich einen „Märtyrer“ auch eher als passiven, duldsamen Menschen vor.
ich möchte aus deinem gesamten Text eine Stelle hervorheben, die mich persönlich stark beeindruckt hat :
"....obwohl mir klar ist, dass aus der Sicht irgendwelcher Normalos meine augenblickliche Beschäftigung abgrundtief falsch erscheinen muss. Aber ich habe die innere Gewissheit, es ist das Sinnvollste, was ich je getan habe, das erste Mal, dass ich mich nicht dafür schäme, ich zu sein ... Ist ganz einfach, peinlich zu sein, man muss sich nur ein wenig Mühe geben, und ich genieße es. Wenn man jemanden anbetet, kann man es bis zum Märtyrer bringen; ich weiß, ich bin lächerlich, aber es ist der größte Moment meines Lebens. Als Ungeliebter sucht man sich bekanntlich jede Genugtuung, die man kriegen kann...."
denn als ich diese Zeilen las, hatte ich spontan die Assoziation, dass es womöglich den Selbstmordattentätern der Dschihadisten nicht wesentlich anders ergehen könnte und ist insofern alles andere als lächerlich. Sicher ist dies eine gewagte , vermutlich eher verstörende These dies hier in diesem Rahmen als Meinung und Kommentar abzugeben und wenn die Admin der Meinung ist, es zensieren zu müssen, hab ich volles Verständnis. Mir ist bei dem Gedanken jedenfalls das Blut in den Adern gefroren.
Ich finde es sehr gelungen, wie du seine Innenansichten und Gefühle beschreibt. Der Humor, mit dem er sich selbst betrachtet, macht es für mich so unendlich traurig…
Super! Tolles Psychogramm und strenge Empfehlung, zu seinen Gefühlen und Neigungen zu stehen und sich nicht selbst zu belügen.
Gleichzeitig mit viel Humor geschrieben, ohne sich über irgendwem lustig zu machen oder langweilig zu werden. Und ein Hoffnungsschimmer leuchtet auch am Ende noch dazu.
(Ich mag auch die Stiefel meiner Donna sehr, daher kann ich Valentin gut verstehen )
Liebe Gasandra, vielen Dank für Deine sehr nette Kritik! Ich finde es sehr schön, dass Du „fast lächeln“ musstest – weil die Geschichte (hoffte ich zumindest) ja auch tatsächlich eine komische Seite hat…
# Tek Wolf:
Lieber Tek Wolf, Ich bin mir zwar sicher, Du betrachtest eine Beziehung quasi von der genau anderen Seite als ich, aber dass sich dann verschiedene Denkmuster offenbar doch ähneln, finde ich gerade echt faszinierend.
Davon abgesehen habe ich zwar bisher von Dir jetzt erst Deine „Große Erwartungen“ gelesen, aber das reicht schon völlig aus, dass ich mich über Dein Lob ganz besonders freue, denn diese Geschichte ist so witzig (und gemein (-; ), da wachse ich echt, wenn Dir mein Text gefällt.
# Meister Y:
Lieber Meister Y, vielen Dank für Deine Kritik. Ehrlich gesagt hatte ich eigentlich gar keinen depressiven Text schreiben wollen, sondern hatte mir echt eingebildet, die Geschichte lese sich amüsant (vielleicht sollte ich das mit Selbst- und Fremdbild noch einmal überprüfen), auch wenn ich sicher in der Realität manchmal daran verzweifle, mich für meine Wünsche und Gedanken zu schämen, also mag schon sein, dass da etwas (viel) Grau unbeabsichtigt reingeflossen ist. Immerhin, mein Argument dafür, dass es keine sooo trübsinnige Story ist: Wenigstens bekommt Valentin doch ein wenig von dem, was er sich ersehnt! Obwohl es natürlich stimmt, dass er sich selbst ständig im Weg steht, dieses Gefühl kenne ich in der Tat gut; ist auch nicht so einfach, finde ich, wenn man nicht den Mut hat, das zu tun, wonach man eigentlich strebt.
Aber auch, wenn ich den Helden anders sehe als Du, bin ich Dir sehr dafür dankbar, dass Du mir gezeigt hast, wie man ihn offenbar sonst noch lesen kann – und für Deine sehr freundlichen, ermutigenden Worte.
# Nora:
Liebe Nora! Wahnsinn – ich hab Deine Geschichten alle so unglaublich lebendig und witzig und wahr gefunden, dass ich mich unglaublich freue, dass gerade Dir die Erzählung gefallen hat und vor allem, dass Du sie lustig fandst (denn diese Wirkung war auch die zumindest mitintendierte). Merci mille fois, ma chère (an der Grenze zu Belgien nehme ich mir einfach mal heraus, auch französisch zu antworten (-; ).