Nach einem Jahr Beziehung kennt er die Vorstellungen der K. und kann sich vor seinem inneren Auge dennoch nur eine vage Vorstellung dessen machen, was hinter den großen Pforten seines Anwesens mit der Hausnummer 13 wohl in diesem Moment geschieht.
Dorian ist sehr wohlhabend. Nicht sein eigener Antrieb, Opferbereitschaft oder Geschäftstüchtigkeit brachten ihn in diese privilegierte Lage, vielmehr waren seine Eltern und Großeltern dankenswerterweise mit diesen Talenten, in Kombination mit unbedingter Disziplin und Arbeitswillen, gesegnet. Unmittelbar damit einhergehend waren Zeitmangel und eine gering ausgeprägte Libido, wohl ebenfalls Eigenschaften, mit denen sie in ausreichender Menge bedacht worden waren, sodass er als alleiniger Erbe eines beträchtlichen Familienvermögens schon seit Jahren genießen kann, was ihm von seinen Vorfahren mit so viel Eifer und Weitblick zur Verfügung gestellt worden war.
Er führte in der Vergangenheit ein Leben von Stande, verkehrte in den besten gesellschaftlichen Kreisen, war gern gesehener Gast und natürlich immer auch schmückender Zierrat seiner Gastgeber. Seine jungenhaft-androgynen Gesichtszüge, die hochgewachsene und schlanke Statur und eine ihm standesgemäß anerzogene aristokratische Bewegungseleganz verliehen ihm ein äußerst attraktives Erscheinungsbild.
Sein Äußeres zog in Gesellschaft zwar die Blicke auf ihn, dass diese sich allerdings nur schwer wieder lösten, lag an seinem charismatischen und selbstbewussten Auftreten. Ob belangloser Small Talk oder argumentative Debatten zu meinungsstarken Themen - er verstand es, seine Gesprächspartner an seinen Lippen kleben zu lassen. Dies tat er grenzenlos selbstbewusst und in ungemein eloquenter Weise, erlernt in den besten Schulen des Landes, zudem befeuert von der frühen und befreienden Erkenntnis, für immer sorgenfrei und unabhängig von der Gunst Dritter leben zu können.
Einmal sagte er bei einer der vielen austauschbaren Gelegenheiten zu einer austauschbaren Person, er wisse eben wie man lebt. Er führe ein Dasein ohne Wünsche und Sehnsüchte, denn alles, was er wolle, bekäme er auf die ein oder andere Weise. Ein Leben im Überfluss und so ereignisreich wie es sich die meisten Menschen ohne seine Mittel nicht einmal würden vorstellen können.
Wie ich doch irrte, dachte er innerlich lächelnd. Im Grunde begann es überhaupt erst, als die K. in sein Leben trat.
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Kommentare von Leserinnen und Lesern
Heinz Stori
Gelöscht.
28.01.2024 um 18:45 Uhr
... es mutet ein wenig an wie eine Aufzählung von gedachten Szenen und wiederholt dachte ich, den Faden verloren zu haben (war mir beim Fadensuchen aber nicht mehr sicher, dass ich ihn je gefunden hatte). Es ist so, dass man vielleicht manchmal nicht hineinkommt in die Gedanken - mir ist es nicht so recht gelungen. Ich werde in ein paar Tagen noch mal lesen.
Als Betrachter stehe ich draußen, schaue hinein in bunte Szenen, die sich vor mir ausbreiten und getragen werden von märchenhaften Elementen. Ich habe einen Erzähler, der mir den Dorian und sein Leben zeigt. Unmittelbar hineingezogen werde ich häufig durch die Ich-Erzählung. Die ist hier nicht gewollt, vermute ich. Als literarische Vorbilder denke ich teilweise an die Figur des Dorian Gray, aber mehr an szenische Betrachtungen Poes, die häufig von außen eine Geschichte erzählen, wie bei der Maske des roten Todes. Was schreibe ich? Genug vom Laberrhabarber.
Schöne Sprache, gut gearbeitete Sätze, ein Stück über scheinbar festgefügte Ansichten und wie die sich plötzlich im Wechselspiel unterschiedlicher Kräfte verändern können. Die aussagekräftige Geschichte hat mir auch handwerklich sehr gefallen.
Sehr schön und wortgewand geschrieben. Das Lesen hat Spaß gemacht. 😊
Trotzdem bin ich leider nicht warm geworden mit der Geschichte. Ich fühlte mich immer auf Abstand gehalten, wie bei einem Film in den man nicht richtig reinkommt. Vielleicht ging alles zu schnell und zu durchgeplant, bevor ich irgendwie Sympathie mit einer der Figuren empfinden konnte.