Das Schummelgeschenk
Hamburg. Vier Tage mit und auf Kosten meiner Tante in dieser wunderbaren Stadt. Seit ich das letzte Mal hier war, hatte sich so viel verändert. Auch in meinem Liebesleben. Meine Tante war gutlaunig und so trug ich mein Anliegen vor, an der Reeperbahn die Stadtrundfahrt zu unterbrechen - dort wolle ich in einen ganz bestimmten Sexshop. Was dann kam, hatte ich mir in meinen schlimmsten Träumen nicht vorgestellt.
Eine BDSM-Geschichte von Schattenwölfin.
Info: Veröffentlicht am 24.12.2012 in der Rubrik BDSM.
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War das der Dank? Dass ich schummelte? Der Dank dafür, dass ich vier Tage mit und auf Kosten meiner Tante hier in dieser wunderbaren Stadt sein durfte, bei schönstem Altweibersommerwetter. Sonne satt mit ein paar malerischen Wolken am Himmel, dessen Blau die Nähe der See verriet. Dazu ein beständiger Wind. Ein Hotel vom Feinsten, das ich mir selbst nicht hätte leisten können. Ein Zimmer mit Blick auf die Binnenalster. Ich genoss das XXL-Bett. Wäre ich mit meinem Mann hier gewesen, würde ich es sicherlich noch mehr genossen haben. Das Frühstück war sagenhaft, um mich herum wuselten unauffällig und aufmerksam die dienstbaren Geister des Hauses. Die anderen Gäste, die mit uns in dem prachtvollen Saal gefrühstückt haben am Morgen, kannten uns bald alle. Meine Tante ging auf die Mitte siebzig zu, ihr Hörvermögen war gut und gerne ein Jahrzehnt älter. Wie alle Menschen mit Hörproblemen, versuchte sie gegen dieses anzubrüllen. Ihr Hörgerät war teuer - und kompliziert. Das alles machte es ein bisschen anstrengend und auch ein bisschen peinlich, aber ich beschloss, es sei kein zu hoher Preis für den Luxus, der mir hier zu Teil wurde.
Stadtrundfahrt, Hafenrundfahrt. Seit ich das letzte Mal in Hamburg war, hatte sich so viel verändert; auch in meinem Liebesleben, aber das ist ein anderes Thema. Am Hafen entstand ein komplett neuer Stadtteil. Ich fand es schon speziell, dass es Leute geben mochte, die mit Blick auf eine Raffinerie leben wollten. Noch spezieller fand ich, dass es Leute geben mochte, die dafür auch noch ein Vermögen auszugeben bereit waren. Am speziellsten war, dass es Leute gab, die sich das leisten konnten. Aber auch das ist ein anderes Thema.
Meine Tante war gerade gutlaunig und so trug ich mein Anliegen vor, an der Reeperbahn die Stadtrundfahrt zu unterbrechen, dort wolle ich in einen ganz bestimmten Sexshop.
»WIESO MUSST DU DENN IN EINEN SEXSHOP?« fragte sie mich nicht nur mit hochgezogener Augenbraue, sondern auch in der ihrem Hör(un)vermögen angepassten Lautstärke. Sie brüllte ihre Frage geradezu heraus. Die Männergruppe, die die ersten beiden Platzreihen im Bus besetzte, verstummte augenblicklich. Neugierig drehte sich ein Kerl nach dem anderen zu uns um. Meine Tante wurde nicht rot. Meine Tante nicht.
Auch der Stadtführer unterbrach seinen Vortrag darüber, dass früher auf dem Fischmarkt alles besser war. Offensichtlich schien mein Vorhaben sie alle miteinander zu verblüffen oder zu belustigen, jedenfalls zu interessieren.
»Ja weißt Du, ich habe Dir doch schon einmal von meinen Damen erzählt, mit denen ich mich jeden ersten Mittwoch im Monat treffe. Und zu Weihnachten beschenken wir uns immer. Und ich bin nun von ein paar der Mädels beauftragt worden, etwas aus dem Sexshop zu besorgen, wo ich doch nach Hamburg fahre«, erklärte ich. »Meine Einwände, dass es doch auch bei uns solche Läden gäbe, wurden mit fadenscheinigen Begründungen abgelehnt. Ich nehme an, die anderen trauen sich nicht in den Sexshop und sind froh, mich mit dem Hamburg-Argument nun schicken zu können.«
»WAS SIND DAS FÜR DAMEN?«, fragte meine Tante, und wie sie das Wort Damen betonte und schon wieder die eine Augenbraue hochzog, beantwortete die Frage irgendwie auch schon. Nein, nicht irgendwie, recht eindeutig. Nein, nicht eindeutig, eher zweideutig. Ich versuchte mich ins Unverfängliche zu retten und zählte sechs ehrbare Berufe auf.
»Wo trefft Ihr Euch?«, war die nächste Frage und ähnlich ging das Verhör weiter, wobei meine Tante die Fragen zunehmend leiser stellte. Offensichtlich hatte sich ihr sündhaft teures Hörgerät den Umgebungsgeräuschen angepasst. »UND DORT REDET IHR ÜBER SEX?« Das Hörgerät war wechsellaunig, und die Kerle in der ersten Reihe waren augenblicklich wieder bei uns. Und sie blieben es. »IST DEINE FREUNDIN, FÜR DIE DAS GESCHENK IST, VERHEIRATET?«
»Nein, Anna ist geschieden, hat aber seit einem guten halben Jahr wieder einen festen Freund«, erklärte ich.
»WAS? NACH EINEM HALBEN JAHR BRAUCHEN DIE HEUTE SCHON SEXSPIELKRAM?«
Ich betete zu allen verfügbaren Göttern, dass sie den Satz nicht um die bei ihr beliebte Floskel »Die Jugend ist auch nicht mehr das, was sie mal war!«, erweiterte. Mit ihren 74 Jahren fiel es ihr nicht schwer, Über-40-jährige mit der Eigenschaft jugendlich zu versehen.
Haltestelle Davidswache, wir stiegen aus, ich orientierte mich an den Hausnummern und bog, meine Tante im Schlepptau, nach rechts ab.
Immer wieder versuchte sie, mich in einen der Läden zu locken, an denen wir vorbei kamen. »SEXSHOP IST SEXSHOP!« meinte sie, und ich fragte mich schon für einen Moment, woher sie dieses Wissen wohl hatte.
»Nein, liebe Tante, ich soll das Geschenk für Anna in einer ganz bestimmten Boutique besorgen«, erklärte ich ihr und lief zielstrebig weiter. Meine Aufmerksamkeit galt mehr den kleiner werdenden Hausnummern als den Schaufensterauslagen und Leuchtreklamen.
Da war es endlich, Haus Nummer 35. Ganz schön schwarz.
Ein Blick auf meine Tante genügte. Offensichtlich hatte sie nicht vor, hier draußen auf mich zu warten. Wir betraten den Laden und ich staunte nicht schlecht: Viele DVDs, die Abteilung Gummipuppe, Unmengen von Vibratoren und Dildos, die einfachen Varianten auf dem Wühltisch, die edlen Ausführungen beleuchtet in Glasvitrinen ausgestellt. Schon ärgerte ich mich, dass ich den mir zu Verfügung stehenden Betrag vorhin mit nur rund fünfzig Euro angegeben hatte.
Mir quasi »Kauf mich!« zuraunend blickte mir aus einer Vitrine ein Glasdildo entgegen, der gut und gerne das Dreifache kostete. Ich stellte mir vor, wie er eingebettet in das schwarzglänzende Satinfutter seiner Verpackung im Kerzenschein des Weihnachtsbaumes leuchtet. Ich stellte mir vor, wie ich vor Dir knien und ihn Dir reichen würde. »Selbst dran schuld!«, fuhr mich ein gehässiges zweites Ich an und riss mich aus meinen erotischen Phantasien, »du hättest ja nichts von nur 50 Euromäusen sagen müssen!«
Meine Tante zerrte mich am Ärmel: »DU WILLST DOCH DEINER FREUNDIN WOHL KEINEN DILDO SCHENKEN. DEN BEKOMMT SIE DOCH AUF JEDER VON DIESEN PARTYS NACHGESCHMISSEN!« So leistete sie ihren Beitrag dazu, dass ich in der Wirklichkeit landete. Weit weg von weihnachtlichem Kerzenschein und in einem Hamburger Erotikladen.
Wirklichkeit? Was wusste meine Tante von Dildopartys? Ich kam nicht weiter zum Nachdenken. Eine Gruppe jüngerer Männer drängte sich gerade an uns vorbei. Einer davon, er hätte mein Sohn sein können, raunte mir feixend ins Ohr: »So, so, muss mal wieder das Geschenk für eine Freundin als Ausrede herhalten.« Ich fühlte mich ertappt.
Einen letzten Blick warf ich dem leicht gebogenen Prachtexemplar - es verdiente diesen Namen wirklich - in seiner Vitrine zu und folgte meiner Tante. Gleich hinter den venezianischen Masken führte eine Treppe in das Untergeschoss. Die Schaufensterpuppe auf dem Treppenabsatz ließ ahnen, dass wir auf dem Weg in die richtige Abteilung waren. Sie kauerte an Händen und Füßen gefesselt in einem Käfig aus matt glänzendem Edelstahl.
»NAJA, WER SOWAS BRAUCHT!«, die Augenbraue meiner Tante schnellte in Richtung Haaransatz.
»Oh ja, meine liebe Tante, wer sowas braucht«, dachte ich.
Der Mann hinter der Verkaufstheke sah mich mit einem Blick an, der mir verriet, dass er wusste, dass ich hier diejenige war, die brauchte.
Wir schlenderten durch die Regalreihen, vorbei an hochhackigen Schuhen, Sandalen und Stiefeln, Pantoffeln und Stiefeletten aus Leder und Lack. Meine Tante blickte skeptisch, dachte wohl an Knochenbrüche und Bänderrisse. Da waren wir auch schon in der medizinischen Abteilung angelangt.
Vor den gynäkologischen Instrumenten schien sogar diese stets gefasste Dame beinahe die Contenance zu verlieren. Deutlich sah ich, wie sie schluckte. Schnell fing sie sich, blieb vor den Fächern mit Stöpseln aller Art stehen und fragte mich: »WAS IST DENN DAS?« Sie hielt mir einen großen schwarzen Plug vor die Nase.
»Das ist ein Analplug, liebe Tante«, antwortete ich.
»WAS FÜR EIN GESCHMACK?«, sie sah mich verständnislos an.
Ich blickte hilflos zurück. »Du hast recht, liebe Tante, sie sind Geschmackssache. Ich weiß nicht, ob Anna so etwas mögen würde, lass uns doch weiter gucken.«
Wir kamen an einer großen Auswahl aus Peitschen, Paddles und dergleichen vorbei, wieder drohten meine Augen sich zu verlieren. Die von meiner Tante taten es schon, versonnen befühlte sie eine lederne Bullenpeitsche und legte sie beinahe zärtlich wieder zurück an ihren Platz. Jetzt schluckte ich.
Vergnügt sah sie zu mir: »HAST DU JETZT ETWAS PASSENDES GEFUNDEN? ICH BIN HUNGRIG GEWORDEN!«
Gefühlt alle anderen Ladenbesucher drehten sich zu uns um. Ich zog meine Tante weiter zu der Wand mit Handschellen und Manschetten, murmelte etwas von harmlosen Fesselspielen und nestelte nervös an einem Paar gut gepolsterter Manschetten herum. Schwarz und rot. Aus weichem Leder, dessen Duft mir verführerisch in die Nase stieg. Mit dem Hinweis, dass Anna ähnlich schmale Handgelenke habe, versuchte ich sie anzuprobieren. Gar nicht so einfach war das, vielleicht machte meine Tante mich nervös. Jedenfalls wurde sie ungeduldig, nahm mir die Manschetten ab und legte sie mir ziemlich geschwind an. Das Pärchen, das neben uns stand, beobachte uns ungeniert und ich verdrängte, was die beiden sich denken mochten. Die Manschetten passten perfekt. »Die nehme ich, die gefallen Anna bestimmt.«
Wir gingen zur Kasse, ich schnappte mir noch die aktuelle Ausgabe eines SM-Magazins und bat den netten jungen Mann, der mich vorhin so wissend angesehen hatte, beide als Geschenk einzupacken, möglichst in Weihnachtspapier. Weihnachtspapier im September, einen Verkäufer in einem BDSM-Laden konnte das nicht wirklich aus der Fassung bringen.
Schließlich bezahlte ich. Meine Tante und ich gingen noch einmal an dem Edelstahlkäfig vorbei, ich blinzelte der darin fixierten Puppe zu. Geschafft.
***
Weihnachten: Mein Mann ist fertig mit dem Lesen meiner Hamburger Reisenotizen und lässt die Blätter aus seiner Hand gleiten. Beim Lesen hat er immer mal geschmunzelt, mir ab und an einen tadelnden Blick zugeworfen. Nun widmet er sich dem dazugehörigen Päckchen und macht sich mit neugierig-verschmitztem Gesicht ans Auspacken.
Natürlich habe ich ihm dieses Geschenk nicht beim offiziellen Teil der Bescherung im Familienkreis überreicht. Die Gäste sind längstens verschwunden, die Kinder schlafen. Im Schein der Lichterkette und einiger Kerzen sitzen wir auf dem Bett. Hätte er es vorhin schon ausgepackt, die Kinder würden verdutzt dreingeschaut haben. Und meine Tante erst? Sie hätte es augenblicklich wieder erkannt.
Als mein Mann die Manschetten in den Händen hält, mein Weihnachtsgeschenk für ihn aus Hamburg, sieht er mich fragend an: »Sollst Du schummeln?«
Soll ich natürlich nicht, das weiß ich. Ich senke meinen Blick und hoffe auf eine weihnachtlich gnädige Maßregelung, und tatsächlich:
Nur ein liebevolles Klatschen durchbricht die stille Nacht.