Lost Place
Der Geruch des Leders steigt mir in die Nase und mit ihm Erinnerungen an den Tag, als du mir diesen Reif das erste Mal angelegt hast. Ich bin ganz auf den Geruch konzentriert, bis ich meine Aufmerksamkeit wieder auf uns richte. Was du wohl vorhast? Bist du bei mir stehen geblieben? Hast du dich entfernt? Ich weiß, dass du da bist. Du würdest nie - ich bin ganz sicher. Sehr sicher. Sicher. Sicher?
Eine BDSM-Geschichte von Schattenwölfin.
Info: Veröffentlicht am 26.09.2014 in der Rubrik BDSM.
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Hier ist es immer kühl. Sogar in einem Spätsommer wie diesem, an einem ungewöhnlich heißen Septembertag wie diesem. Die Sonne scheint ununterbrochen kraftvoll, seit sie heute Morgen aufgegangen ist. Wenn man aber das Dunkle sucht, findet man es. Der alte Baumbestand und die efeubewachsenen Mauern bieten viele Schattenplätze.
Der Park gehört zu einem alten Sanatorium. Zwei große Flügel sind miteinander verbunden durch einen gebogen verlaufenden, langen Mittelteil, innen die Wandelhallen über drei Stockwerke, außen die Liegehallen auf der dem Park zugewandten Seite. Alles ist seit Jahren dem Verfall preisgegeben. Ein Schmuckstück noch für Fotografen, die ihre Models in Szene setzen. Ein Ort, den wir auf andere Weise nutzen. Die Spiele, die wir hier spielen, sind keine Inszenierungen.
Bröselnder Putz, herausgebrochene Treppengeländer, abgeplatzte Fliesen und glaslose Fensterrahmen verbreiten einen morbiden Charme, wie ich ihn aus Thomas Manns Zauberberg kenne. Das Sanatorium thront am Hang, beinahe so prachtvoll wie in Davos. Vom Park aus führt eine schmale, ansteigende Allee aus Linden hinauf. Die Baumkronen bilden ein geschlossenes grünes Dach. Wer mag hier einst entlang gekommen sein? Von welchen Hoffnungen getrieben? Wie lange dauerte ein Aufenthalt? Wie viele konnten den Weg geheilt zurück nach unten nehmen und den Ort verlassen? Und wie viele mögen für immer geblieben sein?
Längst hast du gemerkt, dass ich mich in Gedanken verliere, die nichts mit dem zu tun haben, weswegen wir hergekommen sind. Du räusperst dich ganz leise und holst mich zurück auf die gegenwärtige Zufahrt. Unter das Blätterdach. Hier stehe ich.
Ich trage einen leichten, schwarzen Gehrock und darunter den Strumpfgürtel, den du so liebst. Breite Strapse halten die Strümpfe, die nur knapp herausschauen aus den langen, schwarzen Lederstiefeln. Deren Absätze sind mit ihren neun Zentimetern Höhe keine wirkliche Herausforderung für mich, jedenfalls nicht unter normalen Umständen.
Der Weg ist gepflastert, er ist so alt wie der Park. Man muss genau hinsehen, um nicht an einem einzeln hervorstehenden Stein hängenzubleiben. Man muss genau hinsehen, um nicht in einer Absenkung mit dem Absatz stecken zu bleiben. Man muss genau hinsehen, um nicht auf einer der Kanten umzuknicken.
Wenn man hinsehen kann. Ich trage eine Augenmaske, auch sie aus schwarzem, weichen Leder.
Ich kann nichts sehen und bin nicht nur eines Sinnes beraubt. Meine Füße sind gleichermaßen gefesselt auf diesem Weg. Ich kann mich nicht bewegen, ohne einen Sturz zu riskieren. Auch meine Hände sind gebunden. Du hießest mich, sie vor meinem Bauch ineinander zu legen und versperrtest das Schloss mit deinen Worten. »Bleib so!«
»Darf ich sprechen?«, frage ich. Meine Stimme ist belegt, ein Zeichen für meine Anspannung. Ich kenne die Antwort.
»Nein!«, kommt sie ruhig und klar. »Jedes Wort aus deinem Mund ist das Safeword und wir brechen sofort ab. Verstanden?«
Ich nicke. Geknebelt.
»Einverstanden?«, fragst du weiter.
Ich liebe dich für diese Frage und nicke noch einmal.
Du teilst meinen Gehrock so weit, dass ich die frische Luft auf meinen Brüsten spüren kann. Hältst mein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und drückst meinen Kopf ein klein wenig nach oben. Wirklich nur ein winziges Stück. Kaum merkbar. Ich verstehe und richte mich im Ganzen auf. So willst du mich. Haltung bewahrend in der Demut. Du lässt mein Kinn los, deine Hand wandert um meinen Hals und packt mich für einen Augenblick im Nacken. Du entlässt mich mit einer kurzen Massage wieder aus deinem festen Griff und legst mir den ledernen Halsreif an, den du vorne mit dem Edelstahlring verschließt. Auch hier bedarf es keines Schlosses. Ich gehöre dir.
Der Geruch des Leders steigt mir in die Nase und mit ihm Erinnerungen an den Tag, als du mir diesen Reif das erste Mal angelegt hast. Eingebettet in Holzwolle lag er zusammen mit den dazu passenden Handfesseln in einem schlichten Karton, der die Accessoires unserer besonderen Leidenschaft in den Mittelpunkt stellte. Keine Verpackung, die dem Geschenk seinen großen Auftritt streitig gemacht hätte. Seidenschwarz glänzte das gewachste Leder und verströmte einen intensiven, die Sinne raubenden Duft, der zwar mit den Jahren verblasst, aber trotzdem noch wahrnehmbar ist.
Ich bin ganz auf den Geruch konzentriert, bis er sich in seiner Umgebung verloren hat und ich meine Aufmerksamkeit wieder auf uns richte. Was du wohl vorhast?
Bist du bei mir stehen geblieben? Hast du dich entfernt? Einen Meter? Zwei? Zehn?
Die einzigen Geräusche, die an mein Ohr dringen, sind - gedämpft - die Zurufe ballspielender Kinder, die vom anderen Ende des Parks herkommen, und - glasklar - das Zwitschern der Vögel.
Ich weiß zwar nicht, wo genau du bist, aber ich weiß, dass du da bist. Du würdest nie - ich bin mich ganz sicher.
Sehr sicher.
Sicher.
Sicher?
Ein nanopartikelkleiner Rest bleibt, mit dem du spielst, indem du meinen Aufruhr genießt. Er entspringt der bangen Frage, ob du nicht doch vielleicht - nur ganz vielleicht - nicht da bist. Wie wäre es, mir selbst überlassen zu sein, so wie das Sanatorium und der Park sich überlassen wurden? Nicht gemauert und gepflastert zwar, sondern aus Fleisch und Blut, durch das immer mehr Erregung fließt.
Und ich ahne, dass du lächelst. Ein dommiges, gespielt selbstgefälliges Lächeln, mit dem du mich klein hältst. Mich, dein Kleinod, das du wie ein solches beschützt. Weswegen dein Lächeln ein gütiges ist und nicht selbstgefällig.
Ich weiß, dass du lächelst.
Was du denken magst?
Machst du dir Gedanken darüber, wie lange du mich hier so stehen lassen willst? Welche Strafe du mir für den Fall androhst, dass ich nicht stillhalte, wie du es mir, ohne ein Wort zu sagen, geboten hast? Was du fühlen magst?
Sicher bist auch du erregt. Wie so oft wüsste ich es gerne genauer. Woraus resultiert deine Erregung? Was genau macht dich an? Vor allem aber: wie hältst du es aus, dich nicht fallen lassen zu dürfen in diese Erregung, immer ein Auge haben zu müssen auf mich?
»Du bist nicht bei dir!«, unterbrichst du die Stille. In deiner ruhigen Stimme liegt Strenge. Woher weißt du? Ich schwenke meine Gedanken um, richte sie auf mich.
Noch stehe ich hier aufrecht und tapfer. Mich nicht bewegen zu dürfen, ist kein Problem, wird es auch nicht, denn ich spüre eine ganz andere Verzweiflung in mir anwachsen. Ich fühle mich einsam in meiner Anspannung. Nicht, dass ich hier stehe, nichts sehen und mich nicht bewegen kann, löst das Gefühl der Einsamkeit aus. Dass ich nicht weiß, wohin mit meiner Erregung. Dass ich nicht weiß, ob du noch Dinge tun wirst, die sie weiter in schmerzhafte Höhen treiben. Dass ich nicht weiß, wie lange ich so ausharren muss. Dass ich dich nicht anflehen, nicht einmal bitten kann, mich aus dieser Anspannung zu befreien. Die Ungewissheit und meine Machtlosigkeit ihr gegenüber erschienen mir unerträglich - und gleichzeitig die Erregung zu vervielfachen. Längst hat mein Puls sich beschleunigt. Es rauscht in meinem Kopf.
Bin ich verlassen oder ist es die Welt um mich herum?
Du berührst meinen Hals, den ledernen Reif, den Ring aus Edelstahl, und ich höre Metall auf Metall klingen. Vielleicht eine Kette? Hin und wieder verwendest du eine Kette, um den Halsreif mit den Handfesseln zu verbinden. Die trage ich heute nicht. Was also hast du vor? Immerhin passiert etwas. Die Frage, wann meine Gier befriedigt werden wird, die Frage, die mich eben so einsam hat fühlen lassen, rückt in den Hintergrund, weil ich mich nun konzentriere auf das, was du tust. Vielleicht bringt es mich meinem Ziel näher? Das Rauschen in meinem Kopf verebbt. Ich bin wieder bei dir, keine Spur von Einsamkeit.
Du hängst etwas in den Ring ein, aber ich höre kein noch so leises Klimpern, wie es die Glieder einer Kette erzeugen würden. Ledergeruch steigt in meine Nase. Ein sehr vertrauter, intensiver Ledergeruch, den ich vorhin in dieser Deutlichkeit erinnerte und verloren glaubte. Du löst meine Hände voneinander, küsst sie, öffnest sie und legst etwas auf ihre Innenflächen.
»Fühle!«, flüsterst du mir ins Ohr.
Vorsichtig ertaste ich einen flachen Riemen, recht kurz. Eine Schlaufe. An deren Ende eine kleine metallene Kugel. Ich taste mich weiter. Noch ein Riemen, nicht flach, sondern rund. Und lang. Viel länger als die Schlaufe. Ich lasse ihn prüfend durch meine Hände gleiten, bis ich wieder an ein Metallstück gelange. Jetzt weiß ich, was ich in den Händen halte. Einen Führriemen mit passender Handschlaufe, wie wir ihn vor geraumer Zeit im Katalog einer Manufaktur entdeckt haben.
»Du weißt, warum du die Schlaufe hältst?«
Ich nicke.
Die Entscheidung liegt bei mir, ob und wann ich mich deiner Führung überlasse. Dir die Schlaufe zu geben, mit der ich über die Leine verbunden bin, ist der Akt, mit dem ich mich dir, deinem Willen und deinen Entscheidungen unterwerfe. Dir meine Folgsamkeit verspreche.
Mein Geschenk für dich.