Ein schwarzes Rentier stand in meinem Wohnzimmer und es war nicht meine Schuld.
Schuld an dieser Misere hatten meine beste Freundin und die paar Punsche, die ich mit ihr am Weihnachtsmarkt konsumiert hatte. Sie hatte die glorreiche Idee gehabt, einen Brief an den Weihnachtsmann zu schreiben. Weil ich nicht mehr ganz nüchtern gewesen war, hatte sie mich irgendwie dazu überredet, es ihr gleichzutun. Zwei Briefkästen hatten zur Auswahl gestanden. Ein roter und ein schwarzer. Vor dem roten hatte sich eine lange Schlange gebildet und auch Hanna hatte sich schön brav dort eingereiht. Selbsterklärend, in welchem Schlitz mein verfasster Wunsch verschwunden war. Als ich sie anschließend darauf angesprochen hatte, hatte sie mich ausgelacht. Felsenfest war sie davon überzeugt, dass es nur einen Briefkasten gegeben hatte. Im Nachhinein, als ich eins zusammenzählte, würde mir so einiges klar werden. Zu dieser Schlussfolgerung würde ich jedoch erst später kommen. In diesem Moment dachte ich schlicht und einfach an eine Sinnestäuschung. Ich rieb meine Augen, doch das Duo Kopfschmerzen und Rentier waren noch immer da. Auf dem Boden lag mein zersprungener Terrakotta-Übertopf. Das Rentier fraß geräuschvoll das Katzengras meines Katers. Zerstreute Erde lag daneben. Es wiederkäute gemächlich und sah gelangweilt zu meinem Felix hinunter, der fauchend, mit Katzenbuckel und gesträubtem Fell seinen Revieranspruch kundtat. Der Lärm, den die beiden verursacht hatten, hatte mich aus meinem tiefen Schlaf gerissen. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass ich völlig orientierungslos mit abstehenden Haaren aus dem Schlafzimmer gerannt kam. Im flauschigen Flanell-Pyjama meiner Oma, samt roter, gestrickter Rentier Socken - ein Zufall, ich schwöre - war ich zur Salzsäule erstarrt. Ein lautstarkes Rülpsen unterbrach mein Paralleluniversum.
»Verzeihung, wie unhöflich von mir. Ich darf mich vorstellen: Nein Name ist Norbert. Zu dieser frostigen Jahreszeit gleicht es einem Wunder, frisches Gras zu finden, da konnte ich nicht widerstehen. Meine Mägen müssen sich erst umstellen, ich bin nur mehr Trockenfutter gewohnt, deshalb das kleine Bäuerchen.«
Das Bild blieb, obwohl ich ein paar Mal blinzelte. »Ein schwarzes Rentier namens Norbert steht in meinem Wohnzimmer«, brachte ich monoton hervor. Ich hielt meinen pochenden Kopf. »Das ist ein Traum und ich habe einen Kater.« Mein Kater fauchte. »Ich meine nicht dich. Kusch jetzt!«, verjagte ich ihn, indem ich mit dem Fuß aufstampfte. Jämmerlich miauend verkroch er sich unter das Sofa.
»Im Großen und Ganzen eine gute Zusammenfassung, aber da ist noch mehr.«
Ich ließ die Hände sinken. »Noch mehr?«
Norbert nickte vehement, sodass sein schwarzes Ledergeschirr knirschte und dabei ein Pelzmantel, der über seinem Sattel hing, auf den Boden rutschte. Er hob den Mantel mit seinem Maul auf, hielt ihn mir mit gestrecktem Hals entgegen und nuschelte zwischen gefletschten Zähnen: »Schuh muhsch dasch anschien, esch isch kalsch dasch oschen.«
Damit ich ihn verstehen konnte, nahm ich den schweren Mantel entgegen.
»Du musst den Mantel anziehen, es ist kalt da oben«, wiederholte er.
Ich blinzelte wieder.
»Hast du was mit den Augen?«, fragte Norbert.
»Nein, nur mein Verstand ist hinüber oder mir hat jemand Drogen in den Punsch gegeben.«
»Weder noch. Dein Wunsch hat mich hierhergeführt.«
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