Meine Finger waren klamm. Ich fluchte, als ich die Schneeketten um den Reifen legte. Ich blies in meine kalten Fäuste. Den Beginn unseres gemeinsamen Wochenendes hatte ich mir anders vorgestellt. Schließlich ließ ich mir den Spaß so einiges kosten. Ich stieg ins Auto und schmiss die Tür zu. Die Heizung lief auf Hochtouren. Verflucht, war ich genervt. Zwei Stunden Stau, denn wir waren nicht die einzigen, die in den Tiroler Bergen die Adventszeit verbringen wollten, und das Steckenbleiben im Schnee hatten ihr Übriges getan.
»Glaubst du, dass wir den Berg jetzt hochkommen?«, frage Elise vorsichtig.
Ihr duckmäuserischer Tonfall gab mir den Rest. »Ob ich es glaube, spielt keine Rolle, wir werden es einfach machen, basta!« Ich drehte mich zu ihr. Unbewusst, rutschte sie den Beifahrersitz runter, machte sich kleiner. Ein Überbleibsel ihrer cholerischen Ehe. Mir war bewusst, dass sich zwanzig Jahre nicht so einfach abschütteln ließen, trotzdem ärgerte mich ihr Verhalten. Ich war nicht ihr Exmann! Elise ahnte es noch nicht, doch dieses Wochenende musste sie ihre Harmoniebedürftigkeit ablegen und sich vor den Spiegel stellen. Ob sie die Wahrheit erkennen würde?
Die Ketten griffen auf dem eisigen Güterweg. In engen Serpentinen ging es immer weiter den Berg hoch. Außer verschneiter Landschaft war weit und breit nichts zu sehen. Die frequentierten Hotels hatten wir schon längst hinter uns gelassen. Genauso hatte ich mir das vorgestellt. Dann endlich, am Ende des Weges stand unsere Herberge, ein altes Holzhaus.
Ich pfiff anerkennend, als ich mit unseren Koffern über die Schwelle in die warme Stube trat. Von der Broschüre wusste ich, dass die »einsame Luxushütte mit Verpflegung« das Lieblingsprojekt eines Hoteliers war, dessen Urgroßeltern hier gelebt hatten. Das Äußere ließ nicht vermuten, welche Annehmlichkeiten innen bereitstanden. »Traditionell eingerichtet mit modernem Komfort« hatte ich gelesen und ich konnte dieser Beschreibung nur zustimmen. Frisches Brennholz lag schön gestapelt neben dem Tischherd. Das Feuer knisterte und machte die Atmosphäre noch heimeliger. Ein »Herrgottswinkel« mit gemütlicher Eckbank lud zum Verweilen ein. Auf dem wurmstichigen Holztisch stand eine Thermobox mit unserem Abendessen. Eine Flasche Rotwein daneben.
»Ist das schön hier! Hast du schon die anderen Räume gesehen? Sie haben im Wohnzimmer sogar einen Christbaum geschmückt.« Elise konnte ihre Begeisterung nicht verhehlen.
»Nein, ich habe noch eine Zigarette geraucht und dabei das Panorama genossen.«
Sie las die Menübeschreibung laut vor: »Rindsuppe mit Fritatten, Hirschgulasch mit Knödel und Blaukraut, Apfelstrudel. Wenn ich das alles esse, platze ich.«
»Keine Angst, du wirst dich derart verausgaben, dass du danach hungrig bist.«
»Oh«, war ihre einzige Antwort, während sie den Blick senkte.
Ich betete ihre Verlegenheit an, die uns beide erregte. Dass ich es nach einem Jahr noch immer schaffte, sie mit nuancierten Bemerkungen in diesen Zustand zu versetzen, bedeutete mir unendlich viel. »Was geht in deinem strukturierten Köpfchen vor, hm?«
Sie räusperte sich. »Soll ich mich jetzt gleich ganz ausziehen oder willst du mich lieber in meinem Mieder und den Strümpfen sehen, oder soll ich zuerst unsere Koffer auspacken?«
»Elise, Elise. Ein Schelm, wer Schlimmes dabei denkt. Du sollst dir noch viel mehr anziehen. Hülle dich richtig warm ein. Und meinen Koffer kann ich selber auspacken. Ich warte draußen auf dich.«
Ihre geröteten Wangen waren Belohnung und Antwort zugleich.
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