Vom Einengen und Befreien - Ein Mann und seine Hassliebe zu Latex
Seine Hände glitten behutsam über den Latexstoff. Verschließen, verstecken und geheim halten, er hatte es so satt! Doch er musste behutsam vorgehen, denn keiner durfte von seiner geheimen Leidenschaft erfahren. Nicht einmal seine eigene Frau.
Eine Fetisch-Geschichte von Chezjulia.
Info: Veröffentlicht am 24.07.2021 in der Rubrik Fetisch.
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Die heruntergelassene Jalousie erlaubte es nur wenigen Sonnenstrahlen, in das Schlafzimmer des Einfamilienhauses vorzudringen und das dämmrige Licht zu durchbrechen. Dennoch herrschte in diesem Raum vornehmlich Dunkelheit, jedoch in einem überschaubaren Maße, welches es noch erlaubte, die Umgebung einigermaßen klar zu erkennen. Eine gewisse Schwüle waberte durch die Luft und ließ den leicht untersetzten Mann merklich schwitzen, der auf dem großen Bett saß. Ein grünes Handtuch war um seine Hüften gewickelt, ein paar letzte Wassertropfen glitzerten auf seinen kantigen Schultern. Er musste wohl gerade geduscht haben, denn Kondenswasser bildete sich am Badfenster. Der Mann musste in den Fünfzigern sein. Mit einer Hand fuhr er sich durch die graumelierten Schläfen, mit der anderen Hand griff er nach einem größeren Gegenstand, der neben ihm auf dem Bett lag.
Nun wandte er auch seinen glatt rasierten Oberkörper diesem größeren Gegenstand zu - einem Karton, dessen Klebeband schon entfernt worden war. Es musste nur der rechteckige Deckel angehoben werden, dann war der Inhalt dieser Kiste offenbart. Doch noch schien der geduldige Mann kein Interesse am Auspacken zu haben, denn er nahm die Kiste auf seinen Schoß und streichelte den Deckel zärtlich und liebevoll, so als würde er einen menschlichen Körper streicheln. In keiner Weise schien er es eilig zu haben, sondern zelebrierte stattdessen das Auspacken des Inhalts dieses braunen Kartons. Irgendetwas Besonderes musste wohl darin verborgen sein, denn mit einer gehaltvollen Inbrunst schien der fast nackte Mann diesem entgegenzufiebern. Scheinbar schienen seine Finger ein wenig vor freudvoller Erwartung zu zittern, als er den Deckel behände anhob. Überraschenderweise nahm er den gesichteten Inhalt nicht sofort aus dem Karton, sondern beugte sich mit seinem Kopf darüber und tätigte ein paar tiefe Atemzüge.
Die zuvor angespannten und hart wirkenden Gesichtszüge des Mannes entspannten sich augenblicklich.
Seine Schultern fielen sodann herab und gaben ihm sofort einen gelösteren Gesamteindruck. Der Geruch, welcher ihm aus dem Karton entgegen strömte, musste ihm wohl sehr gefallen. Ein wenig verweilte er noch in diesem sinnesstarken Vorgang, dann griff er mit seinen großen Händen hinein und ein leises Rascheln war zu hören. Kurz darauf wurde der in Karton befindliche Inhalt angehoben und entblößt. Zum Vorschein kam ein schwarzer Heavy-Rubber-Catsuit.
Beinahe zärtlich drückten die groben Hände des Mannes den festen Latexstoff gegen seine Wangen, um diesen im Anschluss an die schmalen Lippen zu führen und zu küssen. Als wäre er in einem Zwiegespräch mit einem Gegenüber, glitten die Hände des Mannes behutsam über den Latex und streichelten diesen wie die warme, weiche Haut eines geliebten Menschen.
Langsam ließ der Mann seinen stämmigen Oberkörper nach hinten gleiten, bis dieser auf der rotgemusterten Bettdecke zum Liegen kam. Genießerisch führten die sanften Bewegungen des Mannes den Latexstoff wohlig über seinen gesamten Körper, um auf dem Bauch letztendlich zum Stillstand zu kommen. Fest drückten die haarigen Hände des Mannes den schwarzen Heavy-Rubber-Catsuit an seine Körpermitte und entlockten ihm ein glückseliges Lächeln.
»Bald ... Bald darf er wieder sein, mein Besuch der Gartenlaube«, erfüllte das kehlige Flüstern den spärlich beleuchteten Raum. Nach einer kurzen Pause ergänzte er: »Sehr bald ...« Daraufhin breitete sich ein glückliches Grinsen auf dem stoppeligen Gesicht des Mannes aus.
***
Die schweren, grauen Wolken des Morgens hatten es dem aufmerksamen Beobachter bereits angekündigt. Nun setzte der Landregen in stetig steigender Frequenz ein. Doch das schlechte Wetter störte den Mann kein bisschen. Im Gegenteil, er war bestens gelaunt. Heute war ein besonderer Tag - heute durfte es wieder geschehen. Fast schon hatte er ein schlechtes Gewissen. Er liebte seine Frau wirklich. Sie war eine gute Frau und gleichsam seine Freundin und Beraterin, ein Coach und eine Managerin des Alltags. Und doch hatte er ihr nie von seinen tiefsten Sehnsüchten und Bedürfnissen erzählt, nie von seinen inneren Dämonen und Gelüsten, ihr nie seine wahrhaftige Seele preisgegeben. Sie war weder devot noch dominant und konnte seines Erachtens nichts mit der Submission anfangen, geschweige denn mit den Ausartungen einer Fetischliebe.
Ja, sie pflegten noch Sexualität miteinander, auch regelmäßig. Der Sex war durchaus in Ordnung und sie war immer noch eine schöne und begehrenswerte Frau, trotz dass sie ihre Blütezeit schon länger überschritten hatte. Es machte durchaus Spaß, mit ihr zusammen zu sein und Zeit zu verbringen. Doch ...
Und da waren auch noch die Kinder, zwei an der Zahl. Unglaublich dankbar war er seiner Frau für ihren unermüdlichen Einsatz und für ihr nimmermüdes Schaffen und Gestalten ihres Heimes, der Erziehung der Kinder und der Aufrechterhaltung ihres gesellschaftlichen Wirkens. Seine Frau hatte ihm stets diese Alltagssorgen vom Leib gehalten und ihn nicht mit unnützen Fragen genervt, die sie alleine entscheiden konnte. Ja, in der Tat, was hatte er doch für eine wundervolle Frau und zwei gesunde, talentierte Kinder.
Verdammt!
In seiner Magengegend zog es sich unangenehm zusammen, der Klumpen darin drückte ihm schwer auf das Gemüt. Verdammt! Sein schlechtes Gewissen meldete sich erneut zurück und ließ seinen Puls ansteigen. Warum haderte er mit seinem Dasein, wo er doch alles hatte, was sich jeder wünschte? Warum war er verdammt nochmal ein solcher Versager und verrückter Freak? Warum musste ausgerechnet er ein Spinner sein und nicht sein Nachbar? Die Welt des BDSM, warum hatte er nicht den Mut, sich zu dieser zu bekennen?
Heftige Schamgefühle breiteten sich in seinem Denken aus, schwappten über und bahnten sich ihren toxischen Weg durch sein gesamtes Sein. Wenn er nur ein richtiger Mann wäre, wenn er nur etwas mehr Courage besäße, dann könnte er seine Wirklichkeit genießen und diese inneren, besonderen Regungen unterdrücken.
Auf einmal bekam er etwas schlechter Luft. Eingeschnürt war er von gesellschaftlichen Verpflichtungen. Zu erfüllende Konventionen fühlten sich wie ein Korsett an, dass sich immer enger um seinen Leib schlang. Wo es nur ging, passte er sich den Umständen an und tat, was von ihm erwartet wurde. Dem ungerechten und selbstherrlichen Vorgesetzten gegenüber, dem er liebend gerne einmal die Fresse polieren würde! Seiner Familie und seinen Verwandten gegenüber und ja, sogar seinem ganzen sozialen Umfeld bis hin zu seinen Freunden war er in dieser Hinsicht absolut verlässlich. Niemand wusste von seinem Geheimnis. Er hatte dieses vermaledeite Versteckspiel so dermaßen satt! Diese immer drückende Demütigung begleitete ihn schon so lange und hing wie ein Damoklesschwert über seinem Haupt. Nie konnte er sicher sein, dass sich irgendwann dieses Schwert herabsenkte und ihn traf, ihn zerstörte und ihm seine Würde nahm, ihn bloßstellte als verrückten Freak - wenn sein Geheimnis entdeckt würde.
Was hatte er für eine andere Wahl, als sich zu verstecken wie ein Geächteter?
Gab es denn überhaupt eine Alternative?
Wie konnte er sein Glück und seine geheimsten Wünsche leben, und dennoch nicht alles Ansehen und allen Status zu verlieren? Schlicht gesagt, nicht sein Gesicht zu verlieren?
Die Stimme seiner Frau riss ihn aus seinen Gedanken. Gerade stand er mit ihr am Familienauto. »Liebling, alles ist verstaut und erledigt. Ich fahre dann mit den Kindern los zu meinen Eltern in das verlängerte Wochenende, ein bisschen Erholung finden. Möchtest du wirklich nicht mit? Etwas Entspannung würde dir, glaube ich, auch ganz guttun!«
Mit diesen Worten schloss sie den Kofferraum und näherte sich ihm schwungvoll, den Regentropfen verzweifelnd ausweichend. Er nahm sie in seine Arme und gab ihr einen schnellen Kuss auf die duftende Stirn. Ihr Parfum war wieder einmal hinreißend. Was für eine attraktive Frau sie doch noch immer war.
»Mach dir um mich bitte keine Gedanken Schatz, ich bleibe hier und nutze den Feiertag, um den Garten ein wenig auf Vordermann zu bringen. Habe viel Spaß und grüß bitte Horst und Inge von mir!«
Der blaue Van setzte sich geräuschvoll in Gang, passierte eine große Pfütze und bog in die angrenzende Straße. Der Wagen war noch nicht aus seinem Blickfeld entschwunden, da flüsterte er schon gedankenverloren zu sich selbst: »Ich werde Entspannung finden, Schatz, mehr als du erahnen kannst.« Dass er dabei nicht vorhatte den hauseigenen Garten zu bewirtschaften, tat in diesem Moment nichts zur Sache.
***
In seiner Gartenlaube tat sich ihm eine vollkommen andere Welt auf. Diese war sein Zufluchtsort, seine sichere Insel in dem tobenden Gewässer des Alltags. Hier war sein Herz zu Hause, hier wohnte seine Seele, hier lebte er seinen tiefsten, inneren Spirit. Hier in dieser heimeligen Gartenlaube war er, schlichtweg gesagt, einfach er selbst. Nicht oft konnte er diesen Ort aufsuchen, es bedurfte immer ausreichend an Vorbereitung. Seine Frau wusste nichts von dieser Lokalität, warum auch. Sie sollte nicht unnötig beunruhigt werden. Das war seine Privatsphäre, hier schirmte er sich von der kompletten Außenwelt ab. Innerhalb dieser kleinen Welt gab es keine Richter und auch keine Henker, kein gesellschaftliches Diktat und keine rigiden und energieraubenden Verpflichtungen. Nicht einmal seine Freunde aus der BDSM-Szene wussten von dieser Hütte.
Er hatte sich nicht viel Mühe gegeben, eine wundervolle Atmosphäre zu schaffen, denn er hatte ein wenig Bedenken, jemand Unbefugtes könnte den Unterschlupf einmal überraschenderweise betreten. Vorsicht war hier auf jeden Fall besser als Nachsicht, und seine geheime Passion durfte nicht entdeckt werden. Royalblaue, schwere Vorhänge schirmten neugierige Blicke ab. Ein schlichter Schrank, ein Holztisch, ein bequemer, aber einfacher Stuhl und eine recht große, graue Couch bildeten das gesamte Möbelinterieur. Den Raum zierend wirkte ein großer auf dem Boden stehender Spiegel, dessen Mattigkeit wieder einmal wegpoliert werden müsste. Zudem hatte sich der Mann einen Wasseranschluss gebaut, welcher ein karges Spülbecken mit einem Wasserkanister verband, damit er sich nach der Anstrengung waschen konnte. Eine unauffällige Campingtoilette erlaubte eine ungestörte Notdurft.
Einzig in das Auge fallend, und gar nicht an diesen Ort passend, war ein weiblicher Torso, welcher in einer Ecke stand, umschlungen von einem extravaganten, roten Latex-BH. Er hatte diesen vor einigen Jahren als Geschenk für seine Frau gekauft, als er noch unbedarfter war und dachte, er könne sich ohne Weiteres offenbaren. Doch die Angst vor Ablehnung und »Verlassen-werden« hatte gesiegt und eine Scheidung wollte er auf keinen Fall heraufbeschwören. Die vermeintliche Unvergänglichkeit des Materials gewährte Gnade und zeigte nicht, wie lange dieser Latex-BH bereits von der Puppe getragen wurde und nicht von seiner Frau.
Ein leicht-süßlicher Geruch von Gummi hing in der Luft und verriet sein geheimes Laster - er war ein Latex-Liebhaber, ein Material-Fetischist.
Dieser geschmeidige, sinnliche Gummistoff hatte es ihm rettungslos angetan. Schon als Teenager fand er Bilder von Damen und auch Herren reizvoll, die in Latexmode gekleidet waren. Damals kam er noch recht schwer an diese Bilder heran, er musste sich an Etablissements wenden, um diese zu erhalten. Seitdem bezahlte er auch regelmäßig Frauen dafür, dass sie sich nach seinen Wünschen in Latex hüllten und ihm davon Bilder zukommen ließen. Eine dieser käuflichen Frauen aufzusuchen und seine Materialliebe real mit einem anderen Menschen auszuleben, das hatte er sich bisher nicht getraut. Zu groß wäre sein Schuldempfinden gegenüber seiner Frau. Das stand für ihn jedoch auch nicht zwingend im Mittelpunkt. Herzstück seines Fetischs war das Tragen von Heavy-Rubber-Fashion.
Dieses Gefühl des »Umschlossen-Seins« liebte er, diese vollkommene Enge, welche unaufhörlich an seinem Körper arbeitete, bis er allmählich seine Arme und Beine nicht mehr spürte. Dieses »Loslassen« des Körpers, dieses »Kontrolle-abgeben«, dieses »Sich-intensiv-spüren«, das starke und unaufhörliche Schwitzen. Eng umfasst seinen Körper mental verlassen zu können und zu fliegen in weite Ferne, hin zu geilen Welten - das war es, was ihn antrieb, was ihn immer wieder in diese Gartenlaube trieb, in der er seinem Materialfetisch frönen durfte.
Seinen Fetisch auszuleben bedurfte immer einer gewissen Vorbereitung. Mal schnell nebenbei ging das auf keinen Fall, das schnelle Konsumieren barg für ihn nicht seine Erfüllung. Hier in dieser karg eingerichteten Gartenlaube zelebrierte er seine Heavy-Rubber-Latexliebe und das oftmals stundenlang. Noch war er jung genug und hatte die Konstitution dazu. Das Treibenlassen und Abtauchen in diese dunkle, geheime Lust war äußerst kräftezehrend und beanspruchte seinen Kreislauf immer sehr. Das eindringliche und starke Schwitzen unter dem nicht atmungsaktiven Material tat sein Übriges. Gott sei Dank hatte er keine Vorerkrankungen, hatte weder Diabetes noch eine Herzinsuffizienz. Stets ausreichend während einer Heavy-Latex-Session zu trinken, das war im Grunde das Einzige, auf das er gesundheitlich achten musste, denn schließlich war er hier vollkommen alleine. Wer sollte sich um ihn kümmern, falls er kreislaufbedingt einfach das Bewusstsein verlor? Trotz aller Latexliebe, solch ein Risiko wollte er nicht eingehen. Er beugte stets vor und hatte immer ausreichend Wasser im Geräteschuppen hinter der Gartenlaube deponiert. Unvernünftig sollte keiner seinen Fetisch ausleben.
Für einen kurzen Moment schloss er die Augen und atmete einige Male hörbar ein und aus. Ruhe erfasste ihn. Ruhe - und ein erhabenes Gefühl der Zufriedenheit, welches sich wie eine warme Flüssigkeit in seinem gesamten Körper ausbreitete.
Es begann.
Als würde er über eine unsichtbare Schwelle schreiten, straffte er seine Schultern und wirkte auf einmal wie ein anderer Mensch. Ein innerer Drang ließ in ihm den Wunsch aufkommen, seine Haut abzustreifen und sich eine andere Haut überzustreifen. Eine Haut, die seiner wahren Bestimmung entsprach - eine Latexhaut.
Festen Schrittes ging er auf den Schrank zu. Dort angekommen öffnete er die etwas schwere Holztür, welche sich hörbar knarrend den Anweisungen fügte. Im Schrank offenbarte sich ihm eine beträchtliche Fülle an allerlei Latex-Fashion-Teilen, die fein säuberlich, akkurat und farblich sortiert an der Kleiderstange angeordnet waren. Ein süßlich-schwerer Duft erfüllte sogleich den kleinen Raum der Gartenlaube und lud ein zu einer Sinnesreise der besonderen Art.
All das, auch das Hinkommen dorthin, bildete die Grundlage für seinen vollkommenen Genuss. Behutsam nahm er den schwarzen Catsuit aus dem obersten Fach, welchen er sich damals schicken ließ. Der Anzug besaß eine Materialdichte von 0,8 und gehörte der Kategorie Heavy-Rubber an. Der schwarze Catsuit wog schwer in seinen Armen, so dass diese Anstrengung ihn das erste Mal seinen Körper bewusst spüren ließ. Behutsam trug er den Catsuit hin zum breiten Sofa und bereitete ihn darauf aus. Voller Vorfreude ging er erneut zum Schrank und nahm noch ein Paar schwarze Latexsocken sowie schwarze Latexhandschuhe heraus, die eine Länge bis zu den Ellbogen aufwiesen.
Wie in einem feierlichen Zeremoniell begann er, alle Latexkleidungsstücke auf links zu drehen und diese fein säuberlich mit einem speziell für diese Anlässe gefertigten Silikonöl einzureiben. Da er seinen Materialfetisch schon lange praktizierte, war ihm durchaus bewusst, dass er nicht zwei unterschiedliche Farben gleichzeitig verwenden durfte, sonst drohte eine Verfärbung, welche seine Kostbarkeiten für immer und unwiderruflich ruinieren würde. Auch legte er zuvor seinen Ehering ab, denn er wollte auf keinen Fall eine Schädigung der Struktur des Materials riskieren, welche Metall auf Latex grundsätzlich hervorrufen konnte. Das Silikonöl war geruchsneutral und ließ seine großen Hände sämig über den glatten Stoff gleiten. Wie die sinnlichen Berührungen eines Liebhabers vollzogen sich seine Bewegungen, untermalt vom liebevollen Blick seiner blauen Augen. Ab diesem Moment an verlor er jegliches Zeitgefühl und tauchte widerstandslos ein in diese wunderschöne Welt und trat eine aufregende Reise in sein Innerstes an.
Das Anziehen dieser außergewöhnlichen Kleidung erforderte all seine männliche Kraft. Das Silikonöl half zwar dabei, doch diese zweite Haut dem eigenen Körper zu schenken, diesen Vorgang fürchtete und genoss er jedes Mal gleichermaßen. Als er es endlich erreicht hatte, strich er sich mit stolzgeschwellter Brust über diese, erfüllt von unsagbarer Freude und Glückseligkeit. Fast augenblicklich reagierte sein eigener Körper auf den festen Griff des dicken Latexmaterials. Dieser biologische Vorgang verhalf ihm dabei, sich zu spüren. So oft musste er im mühsamen Alltag bestehen, funktionieren und agieren im Sinne der anderen, nie wirklich in seinem Sinne. Diese Erdung, dieses »Sich-Spüren«, diese Wonne schenkte ihm seine zweite Latexhaut, in deren konsequenter Umarmung er sich komplett fallen lassen konnte.
Konnte ihn ein Mensch überhaupt so halten wie diese Latexhaut?
Das Schwitzen setzte ein - unaufhörlich rannen die Schweißperlen über seine Haut, denn Latex ist atmungsinaktiv. So paradox dies für einen Außenstehenden klingen mag, auch das genoss er über alle Maßen. Mit jedem Tropfen dieses Schweißes entwich auch ein wenig seiner Beklemmung und seines Unwohlseins. Das fast zu Boden drückende Heavy-Rubber Material ließ ihn Stunde um Stunde leichter werden und hob ihn gleichzeitig in den Himmel. Er flog. Je schwerer und dicker der Latex war, desto schneller und wahrscheinlicher trat dieser psychologische Effekt bei ihm ein. Dünner Latex vermochte dies in der Tat für ihn persönlich eher nicht.
Mühsam bückend streifte er sich die Socken über die Beinenden des schwarzen Catsuits, darauf bedacht, dass der Schweiß nicht hinauslief. Bereits jetzt schon schränkte der Heavy-Rubber seinen gesamten Bewegungsapparat extrem ein und ließ seine Bewegungen holprig und seinen Gang staksig werden. Die ellenbogenlangen ebenfalls schwarzen Handschuhe hob er sich dabei bis zum Schluss auf, um es ein wenig leichter beim Anziehen der restlichen Kleidung zu haben.
Nun stand er fast komplett in dicken Latex gekleidet da. In langsamen Bewegungen suchte er den großen Spiegel auf, in welchem er sich eingehend betrachtete. Wie schön er sich selbst in diesen Augenblicken fand - wie perfekt. Diese gnadenbringende Perfektion, glatt und ohne Schnörkel, eben ohne Ecken und Kanten - warum vermochte es im Alltag nicht immer so sein? So leicht, so friedvoll, so ohne Probleme, die einen beinahe innerlich zerfraßen wie Salpetersäure?
Sein Blick im Spiegel richtete sich erneut auf das Innenleben des Schrankes. Im untersten Fach befand sich gewöhnliche Alltagskleidung. Karierte Hemden, Pullover, Jeanshosen, Socken, Unterhemden, Unterhosen. Er würde sein Werk vollenden und Alltagskleidung über seine Latexmontur überziehen, um sich wieder vermeintlich der Norm anzupassen. Doch insgeheim lachte er im Stillen über diese Spießbürger, wussten diese doch kein bisschen um sein prickelndes Geheimnis, welches er auf der Haut unter der Kleidung und im Herzen mit sich trug.
»Diese verdammten Idioten!«, lachte er in den Raum hinein und überlegte sich schon einmal gedanklich, an welcher Stelle er zuerst das Unkraut jäten würde. Der Landregen hatte mittlerweile aufgehört und der Boden duftete dadurch herrlich und urtümlich. Dank des Regens würde ihm diese eher unangenehme Arbeit ein wenig erleichtert sein. Die Hecke musste gestutzt werden und der angrenzende Geräteschuppen wartete auch auf ein wenig Aufräumen. Viel war zu tun, er würde vollends auf seine Kosten kommen.
Immer mehr würden dabei seine Gliedmaßen bei der körperlich fordernden Arbeit anfangen zu kribbeln, so als würden diese einschlafen. Immer mehr würde er gegen diese unsagbare Schwere des dicken Latex ankämpfen müssen, um Contenance zu wahren. Vielleicht würde er einen dieser blöden Spießer an der Nase herumführen, einen Plausch mit dem Parzellennachbar am Zaun halten?
Ein diebisches Grinsen breitete sich auf seinen herben Gesichtszügen aus. Ja, heute würde er allen den Mittelfinger zeigen.
Heute würde er wieder frei sein - und fliegen.
Seiner Seele würde Erdung widerfahren und seinem Geist würde Ruhe geschenkt. An diesem Tag würde er seine Batterien gänzlich wieder neu aufladen und sich vollends entspannen können.
Im Zugehen auf den Kleiderschrank passierte er den Frauentorso mit dieser atemberaubend schönen, roten Latexschönheit. Wehmut kam sogleich in ihm auf und ließ ihn bedächtig über die feinen Kurven der Figur streichen.
»Schatz, hoffentlich geht es dir gerade gut und du bist glücklich!«, kam es ihm gedankenverloren in den Sinn.
Dieser rote Latex-BH würde ihr so wundervoll stehen und sie glanz- und stilvoll einkleiden. Würde sie so geschmückt einen Raum betreten, wären ihr alle bewundernden Blicke gewiss. Jede andere Frau würde in ihrem Schatten stehen und sie neidvoll anblicken. Könnte er seine Frau nur ein einziges Mal seinen BDSM-Gleichgesinnten vorstellen oder gar bei einer Vorführung präsentieren, er wäre der glücklichste Mann auf Erden.
Unbeholfen wirkenden Schrittes setzte er seinen Gang und sein Vorhaben fort. Wie schade, dass diese bezaubernde Vorstellung seiner Frau, geziert mit dem rotem Latex-BH, wohl für immer eine Fantasie bleiben würde.