Kate spielte Bass und Anouk die Leadguitar. Beide hatten keine Punkstimme. Xenia hatte eine. Und welche! Zweieinhalb Oktaven umfasste sie und selbst das F-Wort konnte sie in jeder Tonlage singen. Aber sie hatte eben auch fünfzehn Kilo zu viel, wie sie meinte. Als ob das irgendeine Rolle gespielt hätte.
Zehn Tage, nachdem ich die Prüfung zur Deutsch-Trainerin geschafft habe, kommt Nora mit zwei Briefumschlägen für mich an. Der eine, vom Stadtschulrat, beinhaltet die Zusage, als Begleitlehrerin in einer Grundschule in Wien-Simmering arbeiten zu können. Das sei heftig, findet meine Donna, denn die meisten Schulen dort haben einen extrem hohen Anteil von Kindern aus Migrantenfamilien, aber genau das habe ich mir ja gewünscht. Und so freue ich mich darüber, aber nicht allzu laut, um Nora nicht vor den Kopf zu stoßen, in ihrer Sorge um mich.
Beim Inhalt des zweiten Briefumschlages, den sie mir gibt - er ist unfrankiert, ohne Absender und Anschrift - ist es dann aber aus mit meiner Selbstbeherrschung. Zwei Karten für das Maid-of-Ace-Konzert nächste Woche in der Wiener Arena. Und noch dazu im Circle, also direkt vor der Bühne! Ich kreische auf, als wäre ich bereits dort, und falle meiner Donna um den Hals.
Sie lacht, als ich meine Beine um sie schlinge, packt mich am Hintern und dreht sich erst ein paarmal mit mir um die eigene Achse, ehe sie mich aufs Bett wirft und sich selbst auch gleich dazu fallen lässt. »Gute Leistung muss belohnt werden«, sagt sie und streicht mir übers Haar. Dann küssen wir uns und tun, was zwei Liebende so tun, wenn sie alleine sind.
Später suche ich im Internet den Tourplan von Maid of Ace, meiner definitiven Lieblingsband seit Teenie-Tagen, und finde ihn auch, samt der Playlist und allen anderen Konzertdaten. Und auch den Hinweis auf die Vorband, die Gruppe, die vor dem eigentlichen Konzert das Publikum erst so richtig anheizen soll: Les bien terribles
Der Name macht mich neugierig und ich suche auch nach Musikvideos dieser Band. Ich werde rasch fündig und sehe mir eines davon an. Dann bleibt mein Herz stehen.
***
»Sie hat gesagt, dass sie zu dick wäre.«
Kate sah mich an und zuckte nur mit den Schultern. Anouk schüttelte den Kopf.
»Na ja, so unrecht hat sie nicht«, meinte Kate.
»Sie ist mollig, aber nicht dick!«, fand ich
»15 Kilo zu viel«, berichtete Kate weiter »und ehe sie die nicht runter hat, würde sie sich nicht auf eine Bühne stellen.«
»Das kann ein paar Monate dauern«, sagte Anouk, »So viel Zeit haben wir nicht. Der Contest ist in vier Wochen und ohne sie brauchen wir dort erst gar nicht antreten.«
Wo sie recht hatte, hatte sie recht. Xenia war die Einzige, die so gut singen konnte, dass wir wirklich eine Chance hatten, mit unserer Band ins Finale des Contests zu kommen. Gut, ich hatte auch ein Jahr Gesangsunterricht in Lancing gehabt, aber das war lange her und wir sangen dort nur englische Volkslieder, Kirchenmusik und Songs aus den 60ern. Außerdem saß ich am Schlagzeug und dort zu singen, das bring erst mal! Sogar wenn du dich mit der Stimme gegen die Drums und Toms durchsetzen kannst, hast du noch drei verschiedene Rhythmen zu halten und acht Instrumente zu schlagen.
Kate spielte Bass und Anouk die Leadguitar. Beide hatten keine Punkstimme. Xenia hatte eine. Und welche! Zweieinhalb Oktaven umfasste sie und selbst das F-Wort konnte sie in jeder Tonlage singen, nicht bloß brüllen, wie die meisten Frontmen von Punk- und Indie-Bands. Aber sie hatte eben auch fünfzehn Kilo zu viel, wie sie meinte. Als ob das irgendeine Rolle gespielt hätte.
»Rede du doch noch mal mit ihr, Marie!« schlug Kate vor.
»Wenn sie auf euch nicht gehört hat, wird es sie auch nicht interessieren, wenn ich damit komme«, wehrte ich ab.
»Bitte!«, flehte nun auch Anouk, »probiere es wenigstens!«
»Du brauchst Fleisch auf die Rippen, Mädchen!«, sagt sie, noch immer lachend, »Sieh dich doch mal an, wenn man dir auf die Titten greift, hat man das Rückgrat in der Hand!«
Ich weiß nicht, warum manche wie Fahnenstangen aussehen müssen. Damit am Strand der Wind ordentlich drumrumpfeift? Das ist so langsam auch wieder out. Schlimm genug, was GNT und ähnliches mit einer Generation angestellt hat.
Fünfzehn Kilo zu viel sind besser als fünfzehn Kilo zu wenig. Klingt einfach, ist aber in unserer, von sozialen Medien dominierten Welt scheinbar ein Problem, so wie viele völlig unbedeutende physische Dinge eine furchtbare Überbewertung bekommen. Und nun? Man muss drüber stehen. Xenia, der eigentlichen Heldin der Geschichte gelingt das.
Liebe Noras Marie, danke, dass Du mich mal wieder in Dein/Euer Leben mitgenommen hast!
Eine Geschichte, bei der ich nicht glaube, dass es tatsächlich eine Geschichte ist. Dafür ist alles einfach zu real, ich bin geneigt zu sagen: zu wahr!
Ganz wichtig fand ich ja...
Nein, Marie, ich glaube nicht, dass BDSM Depressionen heilen kann. Aber ich bin mir sicher, dass es Liebe kann. Liebe kann nämlich alles.
Unterhalten habe ich mich gefühlt, locker, leicht, als würde ich an einem Tisch sitzen und es wird eine Geschichte erzählt, die hierhin und dorthin schwankt, manchmal springt, so dass ich mich konzentrieren muss, um zu wissen, in welcher Ebene des Plots ich bin. Die Geschichte hält mich aber in einer leichten Spannung, weil ich wissen will, was denn nun wird und wie sich der Kreis schließt. Er schließt sich, rund, schön und emotional.
eine wunderschöne Geschichte erzählst du da wieder, eine voller Liebe und Verständnis. Und das glaube ich auch, dass die Liebe das heilende Kraut gegen alles ist, was es auch sein mag.
ich musste ein wenig lachen wegen der Schnalle; dass du das Wort so gebrauchst, verrät dich als Ösi (ich hab mal eine Semester österreichisch in Wien studiert); in D hat es eine andere Bedeutung