In nicht allzu ferner Zukunft ist SM zu einer Freizeitaktivität geworden wie jede andere auch. Eine junge Frau möchte das nicht akzeptieren und macht sich auf die Suche nach den letzten Resten von Spannung und Geheimnis der dunklen Freuden.
Info: Veröffentlicht am 16.04.2007 in der Rubrik ScienceFiction.
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Bild: Schattenzeilen, Midjourney
Cyrril van der Cloppen lehnte sich über die Brüstung und spuckte in die Tiefe. Der Wind zerzauste sein langes Haar auf der Seite, auf der es nicht abrasiert war und sein lilaner Lackmantel knisterte dazu. Er blickte seiner Körperflüssigkeit nach und stellte enttäuscht fest, dass der Wind sie zerstreut hatte, lange bevor sie auf den unteren Terrassen der Kobayashi-Arkologie auftreffen konnte. Selbst ein Geldstück hätte mehr als zwei Minuten für diesen Weg gebraucht.
»Sag mal...«, begann Mirebell gedehnt, »warst du eigentlich schon mal wo anders? Ich meine in einer ganz anderen Arkologie?«
»Hach, was du schon wieder fragst!«, antwortete Cyrril und versuchte seine gebleichte Frisur zu ordnen. »Ich war mal da drüben.« Er wedelte in Richtung der nächsten Arkologie, die sich in ein oder zwei Kilometern Entfernung erhob, wie ein bewaldeter Berg aus Glas und intelligenten Verbundstoffen. »In Urlaub. War witzig, den eigenen Wohnhügel mal zu sehen. Für ’ne Sekunde ungefähr. Nur Holländer da drüben. Echte Spießer.«
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Du entwirfst eine schreckliche Dystopie und als ob das noch nicht reichen würde, kommt da auch noch Cyrill van der Cloppen daherspaziert, eine Karikatur des angepassten reichen Besserwissers und Dom, der an Selbstüberzeugung nicht zu übertreffen ist. Eine sehr gelungenen Personendarstellung.
Deine Protagonistin mit ihrer Suche nach echtem liebevollem SM hat mir gefallen, auch wenn vor allem der letzte Satz berüht: "Dann fing sie an zu weinen."
Du hast sichtlich Spaß, an dem Ausdenken einer völlig verqueren durchtechnisierten Welt, in der alles genormt, vorgegeben, öffentlich und käuflich ist. Und wenn man denkt, es geht nicht noch schlimmer, kommt im nächsten Satz noch eine absurde Steigerung dazu. Das liest sich locker leicht und vergnügt.
Nur bleiben in dieser Welt Menschlichkeit und Liebe auf der Strecke und Mirebell nach dem innigen Erlebnis verlassen und unglücklich zurück.
Was mir an dem Text gefällt, ist der Punkt an dem es von der vergnügten Spielerei in die schreckliche Dystopie kippt, wo aus Spiel bitterer Ernst wird.
Mit dem Fehlen von zwischenmenschlichen Beziehungen, thematisierst Du diese. In dem Du den Dom der Zukunft und eine unglückliche Sub zeigst, fragst Du nach denen heute. Das ist ein Text, der zum Weiterdenken anregt.
Danke für diese schöne sprachlich gelungene Geschichte.
Super geschrieben. Ungewöhnlich. Frage mich aber gleichzeitig wie viele Menschen noch wie Cyrill sind. Das käuflischer Sex Normalität wäre, kam ja nur von ihm aus. Sie hat dies nicht wirklich bestätigt. Sie sagte gar nichts dazu. Wenn nicht fast jede Sexuelle auslebung auf kaufen hinausläuft, wenn es immer noch die gleichen Chancen gab wie heute, könnte man auch nur von einer sehr offenen Welt sprechen. Ausserdem muss ich mich fragen, ist das Wochenende verlängert worden oder die Arbeitszeit und wie sieht es mit dem Lohn zu dieser Zeit aus.
Ich danke fürs Schreiben. Schnelle Welt. Kaum neu erfunden, schon überholt. Was soll da sein, an Werten? Was ist beständig? Der Hype ist einzige Konstante. Auch bei den Emotionen. Das ist nicht irgendwann. Das ist jetzt. Vor zehn Jahren geschrieben. Da war es auch schon da. Ich denke, es wird schneller. Was nehme ich mit? Mich. Eigenes Denken, eigene Werte.
Scharf gezeichnete Geschichte, Herr Wolf. Krasser Kontrast. Reale Utopie. Mein Dank für die Erinnerung.
Diese Erzählung hat mich von allen hier gelesenen Beschreibungen, am tiefsten und härtesten getroffen.
Zunächst die gelungene Einleitung einer konsumorientierten, oberflächlichen Zukunftsgesellschaft, geschickt unter einem bunten Deckmäntelchen von Freundlichkeit verborgen. Gelebte trügerische Sicherheit, bar jeglicher emotionalen Authentizität.
Illusionen von Perfektionismus, darin eine kurzweilig auftauchende 'Utopieblase'...von echter Tiefe, gelebte
Verbundenheit von Herz und Seele.
Um einen Atemzug später, diesen just neugeborenen Schatz herausgerissen zu bekommen aus seinem tiefsten Innern.
Schmerz! welch grausamer, brutaler Schmerz!
Kein noch so ausartender, brutaler Hieb vermag diesen zu übertreffen.
Meinen tiefen Dank, Tek Wolf, für diese Berührung.
Mein Gott, ist das traurig! Sie träumte von Liebe... war kurze Zeit auch gefangen im Rausch der Sinne, bis es schlagartig von einer Sekunde zur anderen vorbei war...
Geiler Sex, ein wenig Zärtlichkeit dabei und... aus, die Maus... zieh dich an, du kannst gehen...
Erst eine Satire, die aber wahrscheinlich eher früher als später auf uns zukommen wird und dann ein wunderschönes Dahingleiten in Gedanken und Gefühlen. Sehr schön!
Ich habe diese 'Utopie' mit Vergnügen gelesen, allein der Satzteil 'X ist das neue Y' zeigt das manches schon fast real ist, auch wenn die 15 Stunden Woche noch nicht erreicht ist. Auch laufen wir auf eine Welt ohne Gefühle und Leidenschaft zu und das schon bald mit kalorienlosen Crepes in lila Umgebung.
Zwar schon 'alt', aber immer noch 'Barbarella'haft schön.
09.06.2021 um 13:43 Uhr
Hat mir gefallen, weil die Geschichte sehr unterhaltsam ist. "Mein unwürdiges Nichts" fand ich lustig als Bezeichnung.
"Lilanes Kleid", sagt man das so? Ich musste dreimal überlegen, was gemeint war.
Viele Grüße
Mia
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