Als sie sich im Café aus Langeweile mithilfe ihrer halterlosen Strümpfe über Passanten amüsiert, ahnt sie nicht im geringsten, in welcher nachhaltigen Form ihr lächelnder Begleiter sie lehren wird. Übermut tut selten gut!
Ich bleibe stehen, und bis du das bemerkst, bist du schon ein gutes Stück weiter gegangen. Ich runzle die Stirn. Mir ist nicht langweilig. Ich gehe gern spazieren, mit dir, so wie jetzt. Ein schöner Frühlingsnachmittag, überall in der Fußgängerzone haben sie die Stühle rausgestellt, du bist bei mir, es ist eine der seltenen Gelegenheiten, dass wir beide gemeinsam einen Tag frei haben. Jetzt bleibst du auch stehen, drehst dich um und fixierst mich.
»Was ist langweilig?«, frage ich dich.
»Das da«, antwortest du und machst eine Geste an dir runter. Sehr schön siehst du aus in Deinem knielangen Sommermantel. Dass du darunter außer einem Strumpfgürtel, Strümpfen und Pumps nichts trägst, weiß nur ich, und das gefällt mir.
»Wir gehen erst einmal einen Kaffee trinken«, entscheide ich. Wir setzen uns vor ein spießiges kleines Café unter den Arkaden, das nur eine Reihe Tische auf dem schmalen Gehweg stehen hat, sitzen uns gegenüber und bestellen Kaffee. Du ziehst die Nase kraus, das sicherste Zeichen, dass du unzufrieden bist.
»Ich finde, du sitzt da viel zu sittsam und verkrampft«, lache ich dich an und rühre in meiner Tasse.
»Meinst du?« Du lehnst dich ganz langsam in Deinem Stuhl zurück, so dass der Mantel über deine Schenkel rutscht und schlägst die Beine übereinander. Die Spitzenabschlüsse deiner Strümpfe werden sichtbar, es sieht umwerfend aus. »Oder meinst du so?«
Deine Stimme klingt sehr arrogant, als du dich noch ein ganzes Stück im Stuhl drehst und dich zum Bürgersteig hin ausrichtest. Du nimmst Deine Tasse und nippst an ihr, beginnst, die vorbeilaufenden Fußgänger zu fixieren. Das kannst du sehr gut.
Ich lehne mich auch zurück und warte ab, was geschieht. Ich schaue nicht dich an, denn was du jetzt machst, kenne ich zur Genüge. Ich schaue mir die Gesichter der vorbeilaufenden Männer an, die du ins Auge fasst, die dir zuerst ins Gesicht schauen, dann an dir hinunter, wie sich ihre Augen weiten, die Münder öffnen, manchmal gucken sie dann etwas fassungslos zu mir, aber meine Miene sagt nichts.
So ähnlich muss es bei König Drosselbart gewesen sein, die Brüdrr Grimm haben da nur eine kinderfreundliche Variante draus gemacht. Diese hier gefällt mir aber viel besser.
Welch schöne Erziehung, welch subtiles Spiel, wunderbar genial und ein bisschen gemein.
Zeilen, die einen tief in die Situation mitnehmen, in denen man mehr und mehr spürt, wie sie mit dem, mit dem sie keinesfalls gerechnet hat, kämpft. Wie sie rebelliert, schließlich merkt, dass sie tatsächlich ihren Meister gefunden hat.
Zeilen, die schon deswegen auch wirklich unterhaltsam daherkommen. Eigentlich ist man die ganze Zeit dabei, geht mit den Beiden mit. Ins Cafe, über die Einkaufsmeile, in den Herrenausstatter... Immer so, dass man beide genau im Blick hat, je nach Position Macht oder Leid geniesst.
Danke für diese klasse Zeilen, für ein wahrlich herrliches Lesevergnügen.