Normalerweise beginnen Märchen mit: »Es war einmal ...« und enden mit »... und wenn sie nicht gestorben sind, dann ...«. Das schien uns aber bei dieser Begegnung nicht wirklich passend. Denn ob es ein Märchen oder eine Phantasie oder gar nur ein Traum ist, entscheide jede(r) für sich selbst.
Vorsichtig schaute sich Karla um, zweifelte, kämpfte gegen aufkommende Angst. Ein Griff an ihren Hals bestätige, was sie fühlte. Ein schweres Halseisen umschloss ihre Kehle, eine Kette führte an einen Ring, der im Fels hinter ihr verankert war.
Panik stieg in ihr auf. Was war passiert, wie war sie in diese Lage gekommen? Sie schaute sich weiter um.
Zwei Öllampen flackerten, verbreiteten ein bisschen Licht. Karlas Blicke gingen weiter. Ein paar Meter neben sich sah sie eine Tür, die Schlegel und Eisen zierte. Ein Sonnenstrahl schien hindurch, traf ihren nackten linken Fuß. Über sich erkannte sie rostige Eisenträger und alte Schläuche an nacktem Fels. Sie konnte bei dem diffusen Licht nicht erkennen, wie groß ihr felsiges, unheimliches Verlies war.
Neben ihrem rechten Fuß verliefen Gleise, ein Stück weiter stand ein verrosteter Hunt. Karla tastete, spürte, dass sie auf einer Decke saß, unter der wohl trockenes Stroh lag. Im Flackern der Lampen sah sie einen Schemel, auf dem ein Krug samt Becher und eine Metalldose standen. Ein Essgeschirr wie aus früheren Zeiten.
Wenige Meter hinter dem Hunt erkannte Karla ein schweres Gitter, ab und an kam von dort ein kühler Luftzug. Sollte sie wirklich im Berg, in einem alten Mundloch angekettet sein?
Sie versuchte es mit Rufen, doch der dicke Fels um sie herum verschluckte schnell ihre Schreie. Karla kannte einige dieser alten Stolleneingänge, alle weit abgelegen von den Wanderwegen. Wer also sollte ihre Schreie hören? Nur selten verirrte sich jemand so tief in den Wald und die Pilzsaison, die diese Chance erhöht hätte, war noch nicht angebrochen.
Angestrengt versuchte sie, sich daran zu erinnern, was geschehen war. Sie hatten gegrillt an jenem lauen Sommerabend, Britta und Peter waren zu Besuch, Uwes Eltern, die Kinder. Es war schon nach Mitternacht, als sich alle verabschiedeten. Zusammen mit Uwe hatte sie noch Gläser und Geschirr in die Küche gebracht, die Auflagen der Stühle weggeräumt. Dann saßen sie zusammen auf der Hollywoodschaukel, wollten nach einem letzten Glas Rotwein bald schlafen gehen. An der Stelle hörten die Erinnerungen auf. So sehr sich Karla mühte, wie es weitergegangen war, sie wusste es einfach nicht.
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