Mein Mann hat es gelesen, natürlich. Aber weniger, weil er gerne liest, sondern weil man es gelesen haben muss. So hat er es mir erklärt. „Es“, habe ich geantwortet, „habe ich im Fernsehen gesehen. Das reicht.“ Er hat den Kopf geschüttelt, gesagt: „Nein, nicht Es, nicht King, sondern das Buch, also diese drei von James. Über die redet doch alle Welt, und wenn du mitreden willst ...“
Ich habe ihn angestarrt.
„Also, natürlich ist es keine Frage des Wollens“, hat er mich zu beschwichtigen versucht. „Man muss ja schließlich nicht mitreden wollen. Auch muss man nicht können. Aber wenn man Interesse an Büchern hat, über die geredet wird, dann liest man die natürlich. Und dann gibt es ja bald auch den Film, und Filme, die magst du doch, gerade auch Filme, in denen es bei viel Romantik heftig erotisch knistert, also solltest du die Bücher gelesen haben.“
Mit Daumen und Zeigefinger sein Kinn packend, ihm dabei tief in die sich vor Erschrecken weitenden Augen starrend, habe ich ihn zum Schweigen gebracht.
Seit unserem kurzen Dialog ist eine Woche vergangen, Zeit, die er genutzt hat, um den dritten Band der Bestseller-Trilogie zu beenden. Natürlich hat er mit mir nicht mehr über die Bücher zu sprechen versucht. Nicht am Frühstückstisch, wenn er statt der Tageszeitung einen der Bände vor sich liegen hatte, erst recht nicht, wenn er in der Badewanne liegend las, umgeben von Duftkerzen und umhüllt von erstickend dichten Schwaden hoher Luftfeuchtigkeit. Zwar hat er die Bücher fortwährend mit sich herumgetragen, aber kein Wort über das verloren, was genau er gerade mit wie von Fieber geröteten Wangen las. Das liegt natürlich nicht an der kleinen Bestrafung, die er wegen der unerlaubten Benutzung der Wörtchen muss und willst und solltest hat hinnehmen müssen, sondern einzig daran, dass ich zwar weiß, dass es die die Bücher gibt - dem mit der Veröffentlichung einhergehenden medialen Dauerfeuer konnte man sich ja kaum entziehen -, mir also durchaus bekannt ist, worum es in ihnen geht, aber ich mich sonst erklärtermaßen nicht weiter für sie interessiere, geschweige denn die Werke lesen werde. Mein Mann kann sich also nicht mit mir austauschen, so er denn seinen eigenen Worten - O-Ton: „Natürlich musst du nicht und natürlich behellige ich dich mit den Büchern nicht mehr.“ - nicht widersprechen will.
Andrerseits brennt das Thema in ihm, lichterloh brennt es. Er will unbedingt mit mir über die Bücher sprechen, über das, was er gelesen hatte, weil er mich jedoch nicht direkt ansprechen darf, bleibt ihm nur die indirekte Vorgehensweise. So hat er auf fast schon inflationäre Weise die Seiten mit Post-its und diese mit kryptischen Buchstabenkürzeln versehen. Fast schon widerwärtig auffallend positioniert er die Bücher in unserer Wohnung, ein Mal sogar demonstrativ auf meinem Kopfkissen. Wie Fahnen wirken die bunten Zettelchen, sollen mich dazu verleiten, die Bücher an den markierten Stellen aufzuschlagen, um zu lesen, was ihm bemerkenswert und wichtig scheint.
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