Er löst die Ketten. Endlich darf sie hinabgleiten. Endlich ist ihr Körper dort, wo ihr Geist schon lange ist. Ihr in Leder gehüllter Kopf kommt auf einem seiner Füße zum Liegen. Ihre Brüste pressen schmerzhaft auf den Boden. Seine Hand greift ihr Halsband, macht es noch enger, nimmt ihr die Luft zum Atmen.
Die Sonne scheint. Wärme dringt durch ihre Haut in den Körper ein. Willkommene Wärme nach einem kalten Winter. Zarte Knospen an den Sträuchern verkünden das Ende nackter Zweige. Sie schließt die Augen, wendet ihr Gesicht dem Licht zu. Fröhliche Gespräche umgeben sie. Jeden zieht es nach draußen, die Plätze der Terrasse sind gut gefüllt. Kinderlachen. Kuchengabeln treffen auf Porzellan. Der Geschmack des Milchkaffees haftet noch auf ihrer Zunge. Sie ist voller Sehnsucht. Sie ist nur halb. Er fehlt.
Der Sog nach unten überwältigt sie. Sie sinkt. Ihr Körper kann nicht folgen. Die Arme sind weit gespreizt am Kreuz befestigt. Nur ihr Kopf folgt dem innerlichen Abwärtsdrang. Der Kopf, der in der ledernen Maske steckt, die ihn ganz umhüllt, ihr den Sehsinn raubt, das Hören vernebelt. Eng liegt sie an, durch Riemen und Schnürung festgezurrt. Das genügte ihm nicht. Es ist einer dieser Tage, an dem er sie vollkommen vereinnahmen will. Ihr Halsband umschließt die Ränder der Maske. Ein Ringknebel öffnet den Mund auf abstruse Weise. Ein rotes Loch, umgeben von schwarzem Leder. Speichel rinnt auf ihre Brüste, tropft auf den Boden. Sie merkt es und kann es nicht verhindern. Der Gedanke, dass ihm gefällt, wenn sie keine Kontrolle hat, lässt es sie leichter ertragen. Sie musste erst lernen, das zu akzeptieren.
»Ich beneide dich ja!«
Entrissene Gedanken. Sie öffnet die Augen, überprüft, ob dieser Satz an sie gerichtet ist. Ihre Freundin Sabine lächelt sie an.
»Warum beneidest du mich?«
»Wegen deiner sturmfreien Bude! Das muss doch herrlich sein, am Abend einfach machen zu können, wozu du Lust hast. Was glaubst du, wie oft ich mir wünsche, nicht den ewigen Kampf um die Fernbedienung ausfechten zu müssen! Und dann dieses Essen kochen! Wie gerne würde ich viel öfter etwas Vegetarisches auf den Tisch bringen, aber nein, es muss ja immer Fleisch sein, sonst ist es kein richtiges Essen!« Theatralisch verdreht ihre Freundin die Augen.
Sie sucht nach einer passenden Antwort. Die Wahrheit erscheint ihr taktlos. Wie könnte sie Sabine klar machen, dass jede Trennung von ihm Schmerz und Sehnsucht bedeutet? Dass ihre Seele jede Sekunde nach ihm dürstet? Jede gemeinsame Stunde ist ein Geschenk. Auch nach Jahren des Zusammenseins.
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