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Jakobsweg

Es schüttete auf dem Weg zur Selbstfindung. Nasse Klamotten, klamme Knochen. Weshalb lief er hier wie ein Idiot durch die Gegend? Dreitausend Euro Wandergeld für zwei Monate. Dafür hätte es auch zwei Wochen Käfighaltung und ein paar nette Behandlungen in einem Studio gegeben. Pilgern war scheiße.

Eine BDSM-Geschichte von Gregor.

  • Info: Veröffentlicht am 30.05.2020 in der Rubrik BDSM.

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Diese Geschichte erreichte einen ersten Platz im »Schreibwettbewerb: Unterwegs«.

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»Es gibt jede Menge Jakobswege«, erklärte Bernd genervt. »Hier!«, rief er und zeigte aus dem Fenster. »Hier beginnt dein Jakobsweg. Direkt vor deinem Zimmer.«

»Aber die Pilger laufen alle in Spanien, den richtigen Jakobsweg, verstehst du? Santiago Kompost und so«, gab Elias zurück.

»Sie tun es, weil ein paar Promis Bücher über den Camino geschrieben haben«, erregte sich Bernd. »Weshalb willst du eine Menge Geld ausgeben? Wozu mit Bahn oder Flugzeug irgendwo hinreisen? Willst du mit tausend anderen Wanderern öde, trockene Strecken gehen? Stehst du auf Sonnenbrand und Durst? Möchtest du aus übervollen Pilgerpensionen Fußpilz und Lippenherpes als Weggefährten mitnehmen?«

»Der Jakobsweg ist aber in Spanien«, wagte Elias einen Einwand.

»Falsch!«, rief Bernd. »Es gibt ein Netz von Jakobswegen. Viele Menschen denken, dass der spanische Jakobsweg der wahre Weg ist. Das ist so ein hipper Unfug.« Er verdrehte seine Augen, hob die Stimme. »Du, Leonie-Valentine, mit Jean-Damien mache ich demnächst mal Spanien, den Weg«, sagte er tänzelnd im Raum. »Wir wollen uns neu definieren, eine Art Reset erfahren«. Bernd setzte ein verzücktes Gesicht auf, antwortete sich mit einem heiseren Fisteln. »Nein, das glaube ich nicht, Kalia-Salpetra, du, das ist ja mega. Hach, was beneide ich dich.«

»Jetzt vermiese mir die Sache nicht«, brummte Elias. »Ich will raus aus der Mühle und nachdenken, vielleicht was Neues beginnen.«

»Und wenn du dich mal richtig durchpeitschen lässt?«, warf Bernd ein. »Ich meine, das Ausleben deiner seltsamen Neigung hat dich bisher immer geerdet.«

»Darüber rede ich nicht«, erwiderte Elias. »Trag was Ernsthaftes bei.«

Bernd setzte sich, sah seinen WG-Freund mit Lehrerblick an. »Ich sag dir was«, fuhr er mit normaler Stimme fort. »Der Jakobsweg gehört zum Erfahrungsweg mittelreicher Ökohipster, die mit Hightec-Superleichtausrüstung eine Strecke abgehen. Willst du diese Leute treffen? Du sagst, du willst dich selbst finden, dich erden, Abstand zum bisherigen Leben bekommen. Ich sag dir was! Genau dieselben Typen, die du jeden Tag auf deiner Arbeit gesehen hast, all diese gefrusteten Sinnsucher im globalisierten Scheisskapitalismus werden dir begegnen. Du wirst den selben Mist hören, den du jeden Tag hörst. Alle wollen sich ändern, sich selbst begegnen, sich finden. Sie wollen andere Menschen werden. Wie denn? Durch Magie eines Weges? Was soll der Unfug? Vergiss es! Etappen gehen, Stempel sammeln, interessante Leute kennenlernen und vergessen. Und dann, ich lach mich tot! Dann ruft irgendein Pope am Ende des Weges deinen Namen in einer Kirche aus. Soll das Selbstfindung sein? Ich sag dir was! Elias! Dein Jakobsweg beginnt hier. In Hamburg! Und er beginnt nicht nur an einem Ort. Er beginnt in dir. Lauf los!«

»Ja, wohin denn?«, fragte Elias.

»Mann«, stöhnte Bernd. »Wandere die Elbe lang. Runter bis Spindlermühle. Die Elbquellen, verstehst du? Fluss des Lebens, nur rückwärts. Das ist wie eine Wanderung zu deinen Wurzeln, symbolisiert durch den Fluss. Du musst nicht die ganze Zeit am Fluss langlaufen. Nimm Abkürzungen, zum Beispiel durch die Altmark. Der Weg ist nicht allzu weit. Ein wenig mehr als tausend Kilometer. Wenn du jeden Tag zwanzig Kilometer machst, bist du in fünfzig Tagen an der Elbquelle und ein neuer Mensch. Wieviel Abfindung hast du bekommen, als sie dich rausgeschmissen haben, weil du zu blöd warst in deiner Computerbude?«

»Die haben mich nicht nicht rausgeschmissen«, widersprach Elias heftig. »Wir haben eine Konjunkturschwäche. Wenn die Lage wieder besser ist, wollen sie mich zurück.«

»Wieviel Abfindung?«, fragte Bernd augenrollend.

»Fünftausend«, sagte Elias. »Und arbeitslos habe ich mich auch gemeldet, das gibt noch mal tausendfünfhundert im Monat.«

»Dann geh los!«, forderte Bernd mit entschlossenem Blick. »Wir haben Anfang Mai. Du brauchst zwei Monate. Rechne sechzig Übernachtungen in kleinen Pensionen, du brauchst etwa fünfzig Euro pro Tag. Unter dem geht nichts, weil du zu weich bist. Ist nicht schlimm. Wir sind alle zu weich. Du bist Edelwanderer und willst kein Zelt schleppen. Also, du hast fünftausend Euro. Lass einen Tausender für die Zimmermiete hier. Auf dem Weg brauchst du dreitausend Euro, da bleiben dir noch tausend Euronen Reserve. Dazu kommt dein Arbeitslosengeld. Finanziell stehst du gut da. Nimm dennoch einen Schlafsack und eine Isomatte mit. Das Zeug wiegt kaum was. Musst ja nicht jede Nacht im Bett schlafen oder täglich duschen. Noch drei Sprüche zur Motivation?«

»Mach schon«, antwortete Elias müde. »Motiviere mich.«

»Härte fördert die Selbstfindung!«, rief Bernd. »Frische Luft macht den Kopf frei. Wandern reinigt die Seele. Oder was?«

»Ja«, sagte Elias.

»Was ja?«, fragte Bernd.

»So ähnliche Gedanken habe ich auch«, erklärte Elias. »Ich mache das. Morgen ist Dienstag Ich habe alles beisammen, auch Superwanderschuhe, gut eingelaufen. Ich gehe morgen früh los.«

»Dann koche ich zum Abschied für uns«, freute sich Bernd. »Und ich passe auf dein Zimmer auf. Du hast nichts dagegen, wenn mal ein Kumpel drin schläft?«

»Natürlich nicht«, antwortete Elias und vermutete, dass Bernd für zwei Monate untervermieten und sich das Geld einstecken würde. »Über Geld reden wir später.«

»Geld?«, fragte Bernd. »Das ist jetzt nebensächlich. Wir haben zu tun. Mach deine Sachen klar. Kontrolliere auf Vollständigkeit. Ausweise, Wandersocken, Regenzeug, Wechselwäsche. Pack deine Klamotten in Ruhe. Lass dich heute von mir bekochen, ich geh was einkaufen, auch Wein. Geld, sagtest du? Ich lade dich zum Essen ein, kein Dank nötig.«

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Kommentare von Leserinnen und Lesern

Gelöscht.

20.10.2021 um 00:10 Uhr

Zugegebenermassen nicht so mein Faible. Aber ein interessanter Ansatz und durch den Schreibstil absolut lesenswert. Hat mir sehr gut gefallen! Zu recht ausgezeichnet.

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Gelöscht.

11.08.2021 um 23:23 Uhr

...ein interessanter Anfang und jetzt könnte die Geschichte nach dem vorletzten Satz weitergehen...

Vielen Dank

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08.05.2021 um 03:58 Uhr

Eine wunderbare Geschichte, die nach einer Fortsetzung ruft!

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Sizilia Luber

Autorin.

11.04.2021 um 00:05 Uhr

Man findet nur, was man mitnimmt. Und seine Neigung hatte er bei sich. Gefällt mir gut.

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Gelöscht.

13.12.2020 um 04:06 Uhr

Nicht meine Welt, aber eine interessante Geschichte die unterhaltsam ist und nachdenklich macht.

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19.08.2020 um 19:00 Uhr

Eine wunderbare Pilgerreise mit interesanten Ende

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Gelöscht.

02.08.2020 um 12:34 Uhr

Wow, lebhaft geschrieben! Am Anfang liest es sich entspannt wie ein Pilgerbericht, dann steigert sich alles durch die Begegnung mit der Frau und am Ende macht es seine Entscheidung spannend. Eine tolle Geschichte, die über BDSM hinausgeht.

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02.08.2020 um 12:21 Uhr

Ni

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Gregor

Autor.

01.08.2020 um 22:50 Uhr

Danke fürs Lesen und eure Kommentare!

Ich glaube, eine Geschichte, die im Netz steht und etwas länger ist, hat es schwerer als eine gedruckte Erzählung.

Ich sehe es doch bei mir. Mein Zeug kaufe ich, gedruckt, und dann lese ich.

Das Netz dagegen ist ein schnelles Medium, veränderlich, rasant, oberflächlich, aus meiner Sicht nicht werthaltig.

Aber wenn es Leute schaffen, hier auf den Schattenzeilen zu lesen und auch eine längere Geschichte durchzuhalten, bei der die SM-Sachen erst spät kommen, ist das eine Ehre für mich, besonders, wenn ich mich darüber freuen darf, dass auch auch inhaltlich eine Reaktion kommt.

Danke!

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Nachtasou

Autor. Korrektor.

27.07.2020 um 23:17 Uhr

Bester Gregor,

 

ich bin dann mal am Lesen.

 

In Spanien am Ziel schwingt so ein riesiger Weihrauchtopf längs durchs Kirchenschiff, um die Gerüche der Pilger zu übertünchen. Die weltliche Variante (Campen) erfordert wahrscheinlich ähnliche Praktiken.

Das ist von gestern. Von heute ist die Wiederentdeckung der Exerzitien per pedes derer, die nach der Arbeit auf's Laufband steigen ...

Egal ... Du kannst das besser beschreiben. Und so hast Du wie ein Schreib-Koch mal eben etwas vorbereitet: Eine Satire mit BDSM-Paradies hintendran, ohne dass man das Aufstoßen davon kriegt. Wenn's so leicht aussieht, ist's gekonnt.

Der lange Beginn zieht sich ... wie der Weg auch. Und dann die Erscheinung.

Aber er bleibt ein fauler Sack, und will nur in der Gegend herumhängen oder von der Decke.

Fein.

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