Diese Geschichte nahm teil am »Schreibwettbewerb: Unterwegs«.
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Seit ich meine ersten sexuellen Vorstellungen hatte, dachte ich an Stiefel. Warum das so war, konnte ich mir nicht erklären. Schwarze Stiefel, braune Stiefel, rote Stiefel, Stiefel mit Absatz, Schnürstiefel, ich liebte Stiefel. Sah ich Stiefel an den Beinen einer Frau, war ich hin und weg. Doch es mussten Lederstiefel sein, neu oder abgetragen, das war egal. Abgetragene Stiefel hatte etwas Verruchtes, neue Stiefel wirkten streng. Ging eine Frau auf dem Gehweg vor meinem geöffneten Fenster vorbei, hörte ich das Klappern ihrer Absätze, bekam ich eine Erektion. Stiefel waren mein Fetisch. So war es und so blieb es. Eine Frau in Stiefeln durfte alles von mir verlangen. Sie bekam es.
Als ich mit Mitte dreißig aus dem Zentrum der Stadt zog, änderte sich mein Leben. In den letzten Jahren hatte ich einiges Geld verdient, Konjunktur in meiner Branche ließ mich kaum zur Ruhe kommen. Meine Akquise bestand darin, an mein Telefon zu gehen, wenn es klingelte. Endlich konnte ich es mir leisten, nur noch von zu Hause aus zu arbeiten. Ich verkaufte meine kleine Wohnung am Marktplatz und bezog ein Reihenhaus am Stadtrand. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich nicht, dass die Änderungen in meinem Leben bedeutender werden sollten, als sie ein Umzug mit sich brachten.
Wohnt ein Mensch in einem Reihenhaus, sollte er sich mit seinen Nachbarn gut vertragen. Das war mir klar, als ich das kleine Anwesen im Maiglöckchenweg kaufte. Mein Haus besaß eine Breite von fünf Metern, war acht Meter tief, hatte zwei Etagen, einen Dachboden und einen Keller. Von meinem Arbeitszimmer aus sah ich die Gärten meiner Nachbarn, fünf Meter breit, zwanzig Meter lang.
Links wohnte ein Rentnerehepaar, sehr ruhebedürftig. Sie besaßen einen ausgeprägten Sinn für Friedhofsgemüse. Bis auf eine Ecke zum Sitzen stand ihr Garten voller Wacholder, Zypressen, Koniferen und allerlei anderem nadelndem Zeug.
Rechts von mir befand sich das Reihenendhaus. Die Besitzerin mochte es klar und sachlich. Gerade Linien, eine Rasenfläche, Rosenrabatten und als Besonderheit der Gartenarchitektur hatte sie im hinteren Bereich Brennnesseln gesät.
Dieses Reihenendhaus hätte ich meinem Haus vorgezogen. Das Grundstück besaß vier Meter mehr an Breite und meine Nachbarin verfügte über eine Garage mit Sonnenterrasse, die sie vom Haus aus betreten konnte. »Frau Melwin« stand auf dem Klingelschild, »Praxis für zielorientierte Kommunikation«.
Als ich einzog, fragte ich mich, was zielorientierte Kommunikation bedeutet. Als neuer Nachbar gehörte es sich, eine Vorstellungsrunde zu drehen. Ich trank mit den Rentnern Kaffee, lobte ihre Koniferen, klingelte bei Frau Melwin. Etwas unsicher stellte ich mich der interessant gekleideten jüngeren Frau vor, die mir auf meine Frage hin offen erklärte, dass der Name ihrer Praxis lediglich die unverfängliche Bezeichnung ihres Dominastudios wäre, das sie hauptberuflich seit über zehn Jahren unterhielt. Mir verschlug es die Sprache. Ich starrte sie an, während sie mich lächelnd ansah, gute Nachbarschaft wünschte und die Tür vor meiner Nase schloss.
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