Der Weihnachtsmann greift zum Salzstreuer. »Maik«, rufe ich rüber. »Das ist ein Kasslereisbein. Adventsessen für gute Kunden. Lecker, aber Salz würde ich lassen. Ist genug dran. Außerdem ist Salz schädlich. Da schrumpfen die Genitalien. Zieht Wasser, verstehst du? Und nimm deine Maske ab vor dem Essen.«
Maik schiebt den Salzstreuer weit von sich. Er zieht seine Fäustlinge aus. Den Mantel lässt er an. Der wird sich erkälten, denke ich. Wenn er nachher rausgeht, haut es ihn weg. Ich habe immer die Heizung am Laufen. Gäste wollen nicht in der Kälte essen. Die Welt draußen ist kalt genug. Da braucht man eine warme Insel. Ich schaue zur Uhr. In zwei Stunden ist es zehn. Dann ist Feierabend. Im Topf liegen noch zwölf Kasslereisbeine. Vielleicht gehen heute noch fünf über die Theke. Dann brauche ich nur sechs einfrieren. Warte mal, ne, sieben. Männer nehmen gern ein Eisbein. Kommen sie mit Frauen, gibts Currywurst, frischen Salat. Dazu einen kleinen Sekt oder Weinchen. Ehrliches Zeug verkaufe ich. Keine Sportgetränke, kein modernes Essen, keinen Zeitgeist. Brötchen werden frisch geschmiert. Kaffee gibts in Tassen. Oft kommen die Mädels aus den Erdgeschosswohnungen. Die holen sich gern einen Salat. Oder Käsebrötchen, nehmen Kaffee. Müssen öfter mal raus aus ihren Buden. Frische Luft, was Anderes sehen. Ist auch öde auf die Dauer. Wie Akkord mit Pausen, ewige Wiederholungen. Man sagt, wir sind hier Szeneviertel. Ja, einige Besonderheiten haben wir. Alle Mieter der Parterrewohnungen führen Jahreszeitennamen. Ich erkläre das oft fremden Gästen. Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Fällt der Groschen? Steht alles im Internet. Kurvige Tamara, neu in der Stadt. Berliner Straße siebzehn bei Herbst. Rubensfrau Katja, neunzig Kilogramm. Dominante Variationen für den gepflegten Herrn. Berliner Straße zweiundzwanzig bei Winter. Für Maik gibt es auch was. Naturveranlagte Sklavin Lina. Vierundzwanzig Jahre, Berliner Straße acht. Bitte bei Sommer klingeln. Vielleicht sollte Maik für seine Neigung bezahlen. Dann bekommt er ein kurzes Glück. Aber er hat abgewunken, will was auf Dauer.
Jetzt sitzt er neben der Tür, am Fenster. Er schaut gern raus. Vielleicht geht sie ja beim Essen vorbei. Seine Sub, die Traumfrau. Ein Blick und Knall. Herz und Heiterkeit. »Wie sieht es aus, Maik?«, frage ich. »Hat sich was angebahnt? Erfolg gehabt?«
»Noch nicht«, sagt er, schaut zu mir. »Aber ab morgen wird es was. Meine Idee ist der Kracher. Ich erzähle es dir nach dem Essen. Gib mir fünf Minuten.«
Meine vier Tische sind belegt. Ich bin zufrieden. Im Advent kochen die Leute nicht gern. Da ist Einkaufsstress. Bei mir sind die Töpfe heiß. Das teuerste Gericht kostet sechs Euro. Da kann keiner was sagen.
Die Berater schauen zu mir. »Mach mal drei Bier, drei Bockwurst, Hans!«
»Geht klar, die Herren Bankiers«, brumme ich. Drei Junggesellen von der Sparkasse. Schwarze Anzüge, sehen aus wie Raben. Treue Kunden. Jeden Abend, immer der Ecktisch. Stets zwei Bier und zwei Essen. Und das, obwohl Bier teuer ist. Kostet mehr als Bockwurst. Musste ich so machen. Am Anfang hatte ich zu viele Brenner hier. Ich bin keine Trinkhalle. Auch wenn es über dem Laden steht. Der Name ist reine Tradition, kommt von früher. Da war noch Bergbau im Pott. Kumpels, viel Bier, etliche Kurze. Vor vielen Jahren war Schluss damit. Keine Kumpels mehr. Trinkhallen und Kioske schlossen. Mein Laden stand zehn Jahre leer. Nur Gerümpel drin. Stark war diese herrliche Reklame über der Tür. TRINKHALLE. Wie gemacht für mich. Ich war frisch raus, wollte selbstständig arbeiten. Die Gegend schien mir gut für einen Imbiss. Saubere Werbung, dachte ich. TRINKHALLE, rote Buchstaben auf weißem Grund. Fünf Glühlampen, nicht mal Neonlicht. Abseitig wie alles hier, aber Kult.
»Gibts auch Pizza?« Ich sehe über meine Theke. Zwei Steppkes, vielleicht neun Jahre.
»Bockwurst, Bulette, Currywurst«, sage ich. »Bauernfrühstück, Schnitzel, Kohlroulade, Kasslereisbein, bunter Salat. Pizza zwei Läden weiter bei Sergio. Döner nebenan, andere Seite der Chinamann. Darf es was Handfestes sein? Jeder zwei Wiener mit Kartoffelsalat? Kleine Limo dazu? Einsteigerangebot, drei Euro fünfzig pro Gast? Was ist, Männer?«
»Nehmen wir.« Die Jungs klimpern ihr Geld auf die Ablage.
»Enorme Konkurrenz hier, was?« Der Dicke vom zweiten Tisch steht auf. Er zieht seine Jacke aus. Klarer Typ Kunde.
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