Sven hat eine Nachbarin. Und die ist schüchtern. Als sie ihm ein unglaubliches Angebot unterbreitet, weiß er nicht mehr, wer eigentlich mit wem flirtet und was die hübsche Frau im Schilde führt.
Als es klingelte, dachte Sven, es müsse der Postbote sein, da er sonst niemanden erwartete. Umso erstaunter war er, dass stattdessen Frau Felis vor seiner Tür stand. Er traf sie hin und wieder bei den Briefkästen oder sie fuhren gemeinsam im Aufzug. Über ein paar Bemerkungen bezüglich des Wetters kam ihr Kontakt jedoch nie hinaus. Nicht, dass Frau Felis keine Anziehung auf ihn ausgeübt hätte. Ganz im Gegenteil, er fand sie schön, sehr schön sogar.
Das dichte, dunkelblonde Haar umwölkte ihren Kopf und nahm mit jeder Bewegung eine neue, faszinierende Form an. Ihr Gesicht wurde von zwei kreisrunden Gläsern in einer dünnen, messingfarbenen Fassung dominiert. Das Modell wirkte, als habe es das Ende der Achtziger - anders als Schulterpolster und Häkelstulpen - gerade so überlebt, aber Sven hatte noch nie gesehen, dass einer Frau eine Brille so gut stand. Wenn Frau Felis die goldenen Ringe entlang ihrer schmalen Nase hinabrutschten und sie das Gestell mit dem Zeigefinger zurück auf seinen Platz schob, hätte er aufseufzen mögen, so süß war die Geste.
Am sehenswertesten fand er jedoch ihr Lächeln. Die schönen, weichen Lippen, die keine künstliche Farbe brauchten, um rosa zu leuchten, umspielten dabei ihre makellos weißen Zähne in perfekten Bögen und Schwüngen. Zu gerne hätte er dieses Schauspiel ausgiebiger betrachtet, doch Frau Felis wurde schnell nervös, wenn man sie anblickte, und wandte sich dann rasch ab. Eine Zeitlang hatte er versucht, sie mit Komplimenten und kleinen Scherzen wenigstens zu einem Schmunzeln zu verleiten, doch sie drehte jedes Mal den Kopf weg, als sei eine heitere Emotion etwas viel zu Intimes, um sie mit einem Fremden zu teilen.
Diese seltsam steife Haltung machte Sven nur noch neugieriger, ganz zu schweigen davon, dass sie zu Frau Felis, wie ihre Brille, wunderbar passte. Schließlich musste er sich jedoch eingestehen, dass er sie mehr bedrängte, als auf sich aufmerksam zu machen, und das war das Letzte, was er wollte. Ihre Zurückhaltung mochte einen Grund haben und für ihn kam nichts anderes in Frage, als das zu respektieren.
Nun stand sie vor ihm und ihr besonderes Lächeln blitzte auf, verschwand jedoch so schnell, wie es gekommen war. Sie trug ein hellgraues Business-Kostüm, aus dessen Ausschnitt sich ein Wasserfall aus weißen Rüschen ergoss. Ihr Kleiderwahl wirkte, als würde sie für einen Wall-Street-Broker arbeiten - zu einer Zeit, in der Kevin Costner noch Erfolge auf der Leinwand feierte und Hosenträger der letzte Schrei waren. Sie konnte unmöglich so alt sein, doch dieser Stil war wie für sie gemacht. Sven unterdrückte einen glücklichen Seufzer. Ihr Anblick berührte etwas tief in ihm, das er weder benennen noch erklären konnte.
»Guten Tag, Herr Meerson«, begann sie und hatte sofort sein Mitgefühl. Sie schien sich unwohl zu fühlen und wahrscheinlich hatte es sie große Überwindung gekostet, bei ihm zu klingeln. Aus diesem Grund schenkte Sven ihr das freundlichste und sanfteste Lächeln, das er hinbekam.
»Guten Tag. Das ist ja eine Überraschung. Was kann ich für Sie tun?«
»Darf ich für einen Moment hereinkommen?« Sie nahm kurz eine Hand von ihrer kleinen, grauen Lackhandtasche, um in seine Wohnung zu deuten. Sven bemerkte, dass sie dieses glänzende Rechteck wie ein Schutzschild vor ihren Schoß hielt. Es stach ihm ins Herz, sie so befangen zu sehen, und er wünschte sich, das irgendwie ändern zu können.
»Selbstverständlich!«, sagte er und machte mit einer eifrigen Geste Platz.
Frau Felis ging in sein Wohnzimmer und sah sich um. »Sie sind Künstler?«, fragte sie, als sie seinen Zeichentisch bemerkte.
»Ich mache Illustrationen, Grafiken, Aquarelle, so etwas«, erklärte er und fühlte sich geschmeichelt, weil sie einen so ehrfürchtigen Ton angeschlagen hatte.
»Sie sind sehr begabt«, sagte sie und blickte über die Wand, an der seine besten Werke hingen.
»Ach, es geht«, murmelte Sven und wusste nicht, warum er plötzlich so verlegen war.
»Nun«, sagte Frau Felis und wurde ernst, »diese Sache ist für mich nicht leicht und ich hoffe sehr, dass ich sie nicht brüskiere.«
Mit einem Mal war Sven vollkommen konzentriert. Sie hatte sich ihm zugewandt und sah ihn, wenn auch mit leicht gesenktem Kopf, durchdringend an. Sein Herz schlug plötzlich so heftig, dass er die Vibrationen in seinem Brustkorb spüren konnte. Er bemerkte immer mehr Einzelheiten an ihr, die ihn faszinierten und nicht mehr losließen. Sogar die Art, wie sie sich bewegte und sprach, hatte etwas so Individuelles und Schönes, dass er glaubte, verrückt zu werden.
Sein Staunen übersah sie, doch sein Schweigen deutete sie als Aufforderung, weiterzureden. »Ich habe vor kurzem ein längliches Paket im Hausflur gefunden und es mitgenommen, da ich der Meinung war, es wäre für mich. Sie können sich meine Peinlichkeit nicht vorstellen, als ich es öffnete und vom Inhalt irritiert war, bis ich feststellte, dass es in Wirklichkeit an sie adressiert war.«
Liebe hortensia, danke für deinen netten Kommentar zu meiner Geschichte. Du hast das ganz richtig erkannt, da sind viele Hintergedanken im Spiel. Man (oder besser Sub) kann ja auch mal mehr oder weniger subtil die Initiative ergreifen, wenn ihr etwas gefällt. Auf jeden Fall freut es mich ungemein, dass meine lesenswerte Geschichte gelesen wird und einen schönen Beitrag wert ist. Danke
Vielen, vielen Dank, liebe hanne lotte, für diese besonde Lob. Selten ein so schönes bekommen. Mindestens ebensosehr freut mich, dass es dir in allen möglichen Dimensionen gefallen hat. Solche Kritiken zaubern mir immer ein Lächeln auf die Lippen und machen die Mühen des Schreibns vergessen. Danke nochmal
Erst dachte ich "oh, wie süß", dann schoß mir ein "hm. typische Spanker-Sprache" durch den Kopf aber zum Schluss musste ich einfach nur grinsen, weil ich den Gedankengang nicht loswerden konnte, dass die liebe Frau Felis ihren Nachbarn schon seit Längerem begehrenswert fand und dann durch den Inhalt des fehlgeleiteten Paketes auf die Idee kam, ihn auf seine sehr spezielle Weise zu einem näheren Kennenlernen zu ermutern.
Dass diese Geschichte in mir diese Spekulationen auslöste, macht sie für mich lesenswert.
Da haben sich zwei gefunden, die wissen, dass sie nur diese eine Chance haben und die auf keinen Fall vermasseln wollen. Und sie haben alles richtig gemacht. Sie hat sich getraut und er ist rührend auf sie eingegangen.
Zwei solchen Glückspilzen beim sich Finden zusehen zu dürfen, das war mir ein großen Vergnügen.
Danke für kleine Schweißperlen an weiblicher Erregung
Irgendwie lande ich ständig bei Deinen Geschichten, lieber Tek Wolf
Diese hier hat mir sehr gut gefallen vom Stil und der Sprache bis über die Figuren und den Verlauf.
Sven ist am Anfang so vorsichtig, dass ich damit gerechnet habe, dass Fräulein Feli die Rollen tauscht und ihm den Hintern versohlt. Es hatte etwas Lustiges, wie sie die Strippen in die Hand genommen hat.
Andererseits fand ich Sven auch sehr einfühlsam, empathisch und wie einen Kavalier der alten Schule. Denn mal ehrlich: Wer schlägt denn seiner Nachbarin vor, die man noch siezt und mit der man kaum jemals ein Gespräch geführt hat, sie mal zu schlagen? Dieses Herantasten fand ich realistisch.
Es hat wirklich Spaß gemacht, Deine Geschichte zu lesen. Vielen Dank dafür!
Ach, was für eine herrliche Phantasie :D. Es hat etwas herrlich komödiantisches wie man von Anfang an weiß worauf das hinausläuft. Und es ist so schön konträr zu dem inszenierten Machtgefälle, wie er die ganze Zeit nur ihren Anweisungen folgt. Die D/s-Beziehung die sich aus der verklemmt-erotischen "Plansession" zweier Nachbar:innen entwickeln könnte, würde bestimmt anders aussehen, aber auch von viel Humor geprägt sein. Eine Geschichte wie kandierte Mandeln :]