Karin ist selbstvergessen, hat sich selbst vergessen und meint nicht mehr zu wissen, wo es langgeht. Da ist es gut, klaren Aufträgen nachzukommen. Heute ist es ein einfacher Auftrag, den er ihr erteilt hat. Er liebt diese Spielchen, und manchmal hat sich Karin schon gefragt, warum sie das mitmacht.
Eine Frau schließt hinter sich die Tür ab und ist mit einer großen Tasche beladen, die sie rechts geschultert trägt. Um 18:00 Uhr hat die Kraft der Sonne schon etwas nachgelassen, die Häuserblocks malen dunkle Parallelogramme auf Grasflächen, über denen die Buntwäsche der Nachbarn träge hängt. Sie wird bretthart sein, weil sie zu schnell trocknete und die Luft stand. Jetzt ist es zu spät. Nicht aber für Karin, die ihr Rad aufschließt, die Tasche auf dem Gepäckhalter zusammenfaltet und müde Tritt fasst, um sich ohne Eile zu entfernen.
Sie ist viel zu früh. Aber bis Wieck ist ein ganzes Stück zu fahren und der Asphalt gibt die Mittagswärme langsam ab. Sie wird bis Mitternacht reichen, erst dann wird es auffrischen. So wie Karin, die vorhin in nur warmem Wasser in der Wanne gelegen hat, frisch riecht, und voller Erwartung ist. Die meisten Bewohner tummeln sich bald auf den Balkonen oder im Ausland, bloß nicht drinnen sein, bloß nicht im eigenen Wohnzimmer schwitzen müssen. Was treibt sie nur alle fort. Was treibst Du eigentlich, Karin, geht es ihr durch den Kopf.
Was ist mit meinem Leben passiert. Vor Jahren noch würde ich gelacht haben, wenn ich hinter die Dünen bestellt worden wäre. Den Vogel hätte ich gezeigt. Jetzt gräbt sich der Fahrradsattel ins nackte, rasierte Fleisch. Wie alt musste ich werden, um mich so kindisch zu verhalten.
Sie hängt ihren Gedanken nach, an jeder Ampel beginnen sie von Neuem. Und in der Sonne kommt sie ins Schwitzen. Ein sauberer Schweiß, ohne Kosmetik, unverfälscht und ganz eigen. Sie überlegt, dass es vielleicht doch besser gewesen wäre, etwas unter dem Kleid zu tragen; es scheuert. Hoffentlich nicht zu viel. Andererseits fühlt es sich auch gut an, wie das Leder des Sattels an ihrem Sitzfleisch walkt. Hoffentlich nicht zu viel. Es ist auch rutschiger als sonst.
Eine wunderbare Beschreibung eines intimes Momentes zweier Personen, die sich treffen um sich miteinander zu finden. Wie gewohnt malst Du in wundervoller Sprache emotionale Bilder, nimmst den Leser mit auf Karins Fahrradausflug in die Dünen und lässt ihn an ihrer Gefühlswelt teilhaben. Ich kann mich meinen Vorkommentatoren nur anschließen.
Danke, dass Du mich in die Dünen entführt und mich hast teilhaben lassen.
Eine wunderbar beschrieben, weil so tief eintauchende Szene. Ich war ganz bei ihr, mir ihr unterwegs, in ihrem Kopf und Körper. Sehr eindringlich, wie du ihre Gedankengänge beschreibst.
Mit wirklich schöner Wortwahl, mit ausgefeilten Beschreibungen malst Du diesmal Bilder, die sofort in meinem Kopf ankommen. Mich erst mit Karin mitnehmen, als sie auf dem Fahrrad in Richtung Strand fährt, dann, als sie durch den Sand stapft. Lässt mich dabei an ihren Gedanken, Erinnerungen teilhaben. Später, in den Dünen, kann man diesen dezent beschriebenen, einzigartigen Geruch förmlich riechen. Nach einer Weile beginnt ein prickelnd erotisches Spiel, eines, auf das sie sich wohl Wochen vorher nicht einmal in Gedanken eingelassen hätte. Diese Erkenntnis, das Nachsinnen darüber ist es auch, was für mich die Zeilen so besonders lesenswert macht.
Karin, die scheinbar starke, selbstbewusste Frau, hat jemanden gefunden, dem sie vertrauen, dem sie sich hingeben kann. Auch wenn wir nicht sehr viel über ihn erfahren, so ist er von Beginn an präsent, führt und hat sicherlich noch viel mit ihr vor.