Schlagartig fühlte sich Kristina an den letzten Abend erinnert. Dieses Jahr erschienen ihr die weich gepolsterten Sofakissen viel verheißungsvoller als mit leuchtenden Kinderaugen vorgetragene Gedichte, Glühwein und Geschenke.
Mit der Zwiebelsuppe fing es an, genaugenommen mit den Zwiebeln für die Zwiebelsuppe und ganz genau genommen damit, wie Kristina, entspannt am Küchentisch sitzend, die erste von zahlreichen Zwiebeln, die sie für die Zwiebelsuppe würde schälen und würfeln müssen, in die linke Hand nahm, ein scharfes Küchenmesser mit langer Klinge in die rechte, sie ebendiese Klinge zwischen die harten äußeren und die innenliegenden Blätter zu manövrieren versuchte und sich dem entsetzten Blick ihres Mannes ausgesetzt sah.
Björn wiederum, der soeben die Küche betreten hatte, sah das Messer abrutschen und die Klinge, vielleicht nicht in ihrer ganzen Länge, aber mindestens mit deren Spitze, bestenfalls oberhalb oder unterhalb von Kristinas Auge blutigen Schaden anrichten, schlimmstenfalls ... So oder so: Es drohte etwas zwischen Arztbesuch und Klinikaufenthalt, einen Tag vor Heiligabend eine Katastrophe, und so legte Björn alle Strenge in seinen auf Kristina gerichteten Blick und in seine Stimme und bekundete, was er vom leichtsinnigen Umgang mit dem Schneidwerkzeug hielt.
»So, Kiki, wie du da gerade mit dem Messer hantierst, gehört dir links und rechts eine auf die Backe gehauen!«
Kristina blickte zu ihm auf. Runzelte kurz die Stirn, glättete umgehend die so dort entstandenen Falten, ersetzte sie durch Lachfältchen und antwortete in einem aufreizend kecken Ton. »An welche Backen dachte der Herr denn?«
Björn kannte das. Kiki beherrschte dieses Spiel. Präzise Provokationen, wie scharf servierte Aufschläge beim Tennis. Für gewöhnlich lief sie sich jedoch warm, bevor sie aufschlug, wählte zum Beispiel ein besonderes Kleidungsstück, dehnte und streckte sich, indem sie Gespräche in eine Richtung lenkte, die über kurz oder lang in ein Wortgefecht mündeten, aus dem sich, je nach seiner Laune, ein ganz anderes Händel entwickelte. Ja, Händel traf es auf den Punkt, denn Björns Hände spielten dabei neben Kristinas Arschbacken, die er nach vielen gemeinsamen Jahren noch immer liebevoll Luise und Lotte nannte, eine nicht unwesentliche Rolle.
An diesem Abend gab es kein Warmlaufen, kein Dehnen, kein Strecken.
Kristinas Frage traf Björn unvermittelt und sie traf ihn umfänglich, ein bisschen etwas von ihr kam in seinem Kopf an, ein bisschen etwas in der Herzgegend, das meiste in seinem Schritt. Dass Kristina sich weiter dem Schälen der Zwiebeln widmete, verwirrte ihn. Für gewöhnlich hätte sie ihn nun mit einem vermeintlich unschuldigen Blick von unten angesehen, diesem Blick, der nichts anderes gewesen wäre als sie nächste Frage.
»Zu welchem Instrument greifst du jetzt, um mich für meine Frechheit zu maßregeln?«
Björn hätte sich auf das von Kristina initiierte Spiel eingelassen. Dass sie sich nun nicht hingebungsvoll ihm, sondern weiter dem Gemüse zuwandte, verunsicherte ihn, erzeugte ein Wanken, das ihm missfiel, dem er augenblicklich zu trotzen gedachte. Er war der Herr im Haus, jedenfalls der Herr, der die Backenfrage zu entscheiden hatte. Sein Geschlecht war offensichtlich nicht annähernd verunsichert, und so entschied Björn, sich von ihm mitnehmen zu lassen.
»Kiki?!«
Immerhin wandte die Angesprochene sich ihm wieder zu und sah ihn fragend an. Von süßer Demut, wie er sie erwartet hatte, keine Spur.
»Kiki, wenn du die Zwiebeln geschält, gewürfelt und angedünstet hast, den Weißwein und die Brühe angegossen und alles zum Köcheln gebracht hast, dann erwarte ich dich im Wohnzimmer.«
Kristina nickte. Ihr Versuch, ein triumphierendes Grinsen wenigstens der Form halber zu unterdrücken, misslang. Am liebsten wäre sie Björn, der die Küche verließ, sofort gefolgt, denn alles in ihr schrie nach Vergeltung. Nach seiner Vergeltung. Aber erstens war seine Ansage eindeutig, so, wie sie es liebte, und zweitens musste die Zwiebelsuppe für den kommenden Tag vorbereitet werden. Ihr Beitrag zum Abendessen bei Björns Eltern am nächsten Abend, am Heiligabend.
Da kann ich Dir nur zustimmen,liebe Acee,denn ich kann auch nicht exakt beschreiben was mir an dieser Geschicht so gut gefällt.Muss man ja auch nicht.Hauptsache sie gefällt.
Ausserdem hat Zwiebelsuppe bekanntlich eine ungemein verdauungsfördernde Wirkung,was meinen speziellen Fetisch sehr entgegenkommt...
Ich wollte es nicht glauben, aber es stimmt … ich gebe zu, ich fühle mich ertappt. Wer meine Familie kennt und an Weihnachten hier Mäuschen spielen könnte, der wüsste, dass immer auch persönliche Erfahrungen in solche Geschichten einfließen … skál.
Schattenwölfin, sich fragend, ob ein Alkoholverbot als Strafe im BDSM-Kontext eine Geschichte trägt
Und natürlich mag ich Loriot, Nachtasou, sehr sogar.
dieser feinsinnige Humor über mehrere Seiten hinweg erfordert Sprachjonglage, ... mehr als ein paar gute Einfälle und einen Blick für komische Details.
Loriot wird Dir wahrscheinlich gefallen haben.
Mir hat Deine Geschichte gefallen. Und sie zeigt, dass Erotik in vielerlei Formen darstellbar ist. Diese Leichtigkeit unter Tageslicht tut 'dem bdsm' gut, der ja oft so aufgeladen daherkommt. Interessant ist auch das zeitliche Hin- und Herschwenken und eine tatsächlich mal unerwartete Pointe.
Neben sprachlichen Pralinen hat mir dieser Kettfaden besonders gefallen: Diese Sippe ist ja dauernd am Saufen *g.
Ein interessanter Wechsel dieses vorher nachher. Witzig auch der Blick auf die Unbeteiligten denen die Doppeldeutigkeit entgeht was ihm die Möglichkeit gibt das Spiel mit ihrer Versehrtheit noch etwas auszukosten.