Das bin ich
Ich weiß nicht, wie lange ich stehen geblieben bin, bevor ich den Raum verlasse, halb rückwärts, den Blick so lange wie möglich auf die Bilder und gleichzeitig in mich gerichtet. Noch nie habe ich ein Buch gelesen, ein Bild betrachtet und dabei so sehr gefühlt: Das bin ich.
Eine Bondage-Geschichte von Schattenwölfin.
Info: Veröffentlicht am 01.03.2013 in der Rubrik Bondage.
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Sonntag. Später Vormittag. Frühmorgens sind wir zusammen ausgeritten, lange bevor die Sommerhitze sich des Tages bemächtigt hat. Du bist im Stall geblieben, hast die Pferde versorgt und später bei der Heuernte geholfen.
Ich habe die Reitsachen gegen ein leichtes Sommerkleid getauscht und bin hierher gefahren, um mir diese Ausstellung anzusehen. Bei meinem letzten Besuch in der Stadt war ich in dem kleinen Laden mit der sündigen Mode, um mein neues Korsett abzuholen, und dabei fiel mir der Flyer in die Hände:
Das dunkle Auge - junge Fotokünstler interpretieren BDSM
14. bis 27. August in den Räumen der Villa Leonesse am Mainufer
Zwei Stunden bin ich geblieben, um mir Bilder der Fotografen aus Spanien, den Niederlanden und Deutschland anzusehen. Welch wunderbarer Kontrast: Sonnendurchflutete, große, helle Räume mit hohen Decken und knarzendem Parkett bilden einen perfekten Rahmen für die rahmenlos präsentierten Aufnahmen. Schatten im Licht. Bilder, die vermeintliche Abgründe der menschlichen Lust zum Teil nur andeuten, zum Teil eindeutig darstellen.
Ich hatte befürchtet, dass es voller sein würde. Soeben hatte „Shades of Grey“ sich rasend schnell auf
Jedenfalls ist es angenehm ruhig; solange ich durch die Ausstellungsräume gehe, befinden sich selten mehr als drei oder vier Personen darin.
Bondage ist das Thema im ersten Raum, den ich betrete: Einer der Fotografen arbeitet mit üppiger Kulisse. Entweder sind es opulent ausgestattete Räume oder Outdoor-Szenen, in denen die Natur durch sattes Grün und markige Baumrinden ins Auge des Betrachters sticht. Mich irritieren diese Kulissen, sie lenken meinen Blick zu sehr ab von den Modellen, die zugegebenermaßen gekonnt mit den Seilen gefesselt sind. Bei einer Künstlerin aus den Niederlanden scheinen die Frauen- und Männerkörper die Bühne für die abgelichteten Seile zu sein, das gefällt mir deutlich besser und ich nehme mir viel Zeit für das Betrachten jeder einzelnen Aufnahme.
Beim Verlassen des Raumes fällt mein Blick auf eine letzte Fotografie neben der Tür, die mir ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Die Schwarzweiß-Aufnahme beeindruckt mich sehr. Keine Seile sind mehr zu sehen, sondern nur noch die Abdrücke, die Spuren einer Session auf nackter Haut - Grauschattierungen als Kunst, nichts für die Bestsellerlisten.
Thema im zweiten Raum ist das Kleid der O. Eine Serie präsentiert das Gewand mit dem literarischen Vorbild vor den unterschiedlichsten Kulissen: Der Hamburger Hafen ist dabei, eine Industriebrache mit Gasometer, der Goetheturm in Frankfurt sorgt für Lokalkolorit. Die Bilder sind technisch gut, sprechen mich aber nicht wirklich an. Auch ein Triptychon mit drei Popart-Versionen finde ich zwar witzig, aber mehr auch nicht.
Schnell betrete ich den nächsten Raum, die Bühne für Lack, Leder und Latex. Sexy.
Im vorletzten, innenliegenden und daher fensterlosen Raum hängen an einer Wand lediglich zwei Bilder nebeneinander. Ich tauche ein in die Dunkelheit, zwei Sonnen gleich sind die Fotos die einzigen Lichtquellen.
Wie angewurzelt bleibe ich stehen. Das ist es. Das bin ich, meine Foto gewordene dunkle Leidenschaft. Ich spüre, wie mein Puls und meine Atemfrequenz steigen.
Eine Frau, liegend von der Seite fotografiert, die Arme gestreckt. Man sieht ihr Gesicht, die vordere Brust ganz, von der hinteren nur den emporragenden Nippel. Der Bildausschnitt endet auf ihrer Stirn, in die ein paar blonde Haarsträhnen ragen. Die Haut ist leicht gebräunt. Die Augen der Frau sind verschlossen durch eine schwarze Maske aus Wildleder. Ihr Mund ist leicht geöffnet, weiße Zähne und natürlich glänzende Lippen.
Ich sehe nichts und doch sehe ich alles.
Das zweite Bild zeigt die Frau ganz, ihren Körper ausgestreckt auf einer schwarz gepolsterten Liege, beide Arme und Füße mit ledernen Manschetten fixiert, die Beine leicht gespreizt. Ihr Körper ist eine Komposition aus dezenten Muskelpartien und weiblichen Rundungen. Kein Tattoo, kein Piercing, an den Händen echte, kurze und klar lackierte Fingernägel. Das Bild ist nur Frau und Liege und deren Schatten. Nichts lenkt den Blick hiervon ab. Wand und Boden, so nackt wie die Frau, sind hell und gehen nahtlos über ineinander. Das Bild ist so reduziert und wirkt durch die Fülle der Eindrücke, die es bei mir hinterlässt. Erinnerungen, Gedankensplitter.
Ich liege vor Dir als unbeschriebenes Blatt
Das Du ausfüllen wirst
Oder auch nicht
Manchmal tust Du nichts
Tust so lange nichts
Bis allein der Gedanke an die Dinge
Die Du tun könntest
Mehr lustschmerzt
Als irgendein Hieb
Als Irgendeine Klammer es je könnte
Verfügbar
Benutzbar
Verwundbar
Du
Nimmst mich, verfügst über mich und benutzt mich
Ohne mich jemals zu verwunden
Dein Nehmen ist Geben
Erfüllen meiner Sehnsucht
Ich weiß nicht, wie lange ich hier stehen geblieben bin, bevor ich den Raum wieder verlasse, halb rückwärts, den Blick so lange wie möglich auf die Bilder und gleichzeitig in mich gerichtet, scheine ich innerlich zu taumeln. Den letzten Ausstellungsraum lasse ich aus und mache mich auf den Weg nach Hause.
Noch nie habe ich ein Buch gelesen, ein Bild betrachtet und dabei so sehr gefühlt: Das bin ich.