Mehr als ein Geschenk
Schnell hatte sich ihre Nase an den Ledergeruch gewöhnt. Franka beobachtete, wie ein Mann, der vor der Wand mit den Gürteln stand, Riemen für Riemen durch seine Hände gleiten ließ. Er blickte immer wieder in eine Richtung, in die sie ihm nicht folgen konnte. Da war aber noch etwas: Ihre eigene Sehnsucht.
Eine BDSM-Geschichte von Schattenwölfin.
Info: Veröffentlicht am 24.12.2013 in der Rubrik BDSM.
Urheberrecht: Veröffentlichung, Vervielfältigung oder Verwendung sind nicht erlaubt. Mehr.
Am späten Nachmittag des zweiten Advents kuschelt sich Franka auf das Sofa. Bei Kerzenschein, Früchtebrot mit Stilton und einem Glas Port blickt sie auf das zu Ende gehende Jahr zurück.
Am zweiten Advent des letzten Jahres hatte Guido ihr einen Heiratsantrag gemacht. Sie beide waren Mitte zwanzig und hatten beruflich Fuß gefasst. Sie wohnten schon eine Weile zusammen in einer schönen Altbauwohnung, unternahmen spannende Reisen, pflegten ihre Hobbys und Freundschaften. Alles passte gut. Hundertprozentig hätten ihre Familien und Freunde gesagt, von denen schon Anspielungen kamen, ob sie nicht endlich in den Hafen der Ehe einfahren wollten.
Zu neunzig Prozent hätte Franka ihnen zugestimmt. Etwas fehlte ihr. Etwas, von dem sie dachte, dass sie es verdrängen, ignorieren, irgendwie kompensieren könne. Seit Guido sie so nett um ihre Hand gebeten hatte, seit Franka bewusst wurde, dass ihr »Ja!« eine Entscheidung auf Dauer sein würde, waren aus den zehn rasch zwanzig, dann dreißig Prozent geworden, die ihr fehlten zum perfekten Paar. Ihre unerfüllten Sehnsüchte meldeten sich mehr und mehr. Es würde immer fehlen, immer. Dieses Immer fühlte sich so an, als blieben gerade noch fünfzig Prozent vom perfekten Paar. Keine zuverlässige Basis mehr.
Guido fehlte es nicht an Sicherheit. Nachdem er die Frage gestellt hatte, ob sie ihn heiraten wolle, hielt er ihr den Zeigefinger vor die Lippen. »Sag nichts! Wir geben beim Brunch mit unseren Familien am zweiten Weihnachtsfeiertag einfach unsere Verlobung bekannt.« Und er plapperte munter los, wie er das Buffet für diesen Tag bestücken, was er wo kaufen und wie zubereiten würde. Dass er noch einmal zum Weinhändler müsse und so weiter. Er merkte nicht, dass Franka immer stiller wurde, auch an den folgenden Tagen.
Sie genoss es grundsätzlich sehr, dass er ihr solche Dinge abnahm, die sie hasste wie die Pest. So gesehen war er der perfekte Mann, wie ihre Freundinnen es immer betonten. Aber war er auch perfekt für sie? Konnte er perfekt sein, wo er nicht einmal merkte, dass ihr etwas Elementares fehlte? Dass sie zwar mit ihm lebte, aber auch mit einer unerfüllten Sehnsucht?
»Unerfüllte Sehnsucht«, höhnte ihre andere innere Stimme: »Was weißt Du denn schon? Nichts, nicht einmal, ob Dir so gut gefallen würde, was Du Dir erträumst. Du hast es doch überhaupt noch nicht probiert. Sei nicht so oberflächlich, das ist nur Sex und Spaß. Das Leben besteht aus so viel mehr. Und all das bietet Dir Guido. Vor allem: Er liebt Dich!«
Der fortschreitende Advent war für Franka zu einem einzigen Wechselbad der Gefühle geworden. Darüber vergaß sie beinahe, ein Geschenk für Guido zu besorgen. Zwar hatte sie schon ein paar Kleinigkeiten, aber etwas Besonderes, das fehlte noch.
Guido wünschte sich schon lange einen edlen Ledergürtel.
So fuhr Franka drei Tage vor Weihnachten aus der Stadt heraus in eine der kleinen Ledermanufakturen, von denen es etliche in der Gegend gab. Sie reihte sich mit ihrem alten weinroten Käfer in die Schlangen des Abendverkehrs, der die Pendler aus der Bankenmetropole in den Feierabend entließ. Überall weihnachtliche Beleuchtung, streckenweise sehr schön, häufig sehr kitschig.
Sie parkte auf der Straße und überquerte den Hof des Firmengeländes. In einer Fertigungshalle sah sie die Handwerker an den Zuschneidetischen stehen oder über ihre Maschinen gebeugt. Viele Portefeuillers waren es nicht, die im hellen Licht der Neonröhren Gürtel, Taschen und Accessoires fertigten. In den Fenstern brannten Kerzen, das gefiel Franka, auch wenn ihr Schein vom Licht der Lampen über den Arbeitsplätzen verschluckt wurde.
Am Ende des Hofs lag der kleine Verkaufsraum. Als Franka eintrat, schloss sie für einen Augenblick ihre Augen. Der Duft des Leders war überwältigend und sie sog ihn tief ein. Sie stellte sich für einen Augenblick vor, wie sich dieser Duft mit einem Hauch von Guidos Rasierwasser und einem Hauch von seinem Schweiß vermischte. Immer wieder schnupperte sie.
Viel zu schnell hatte sich ihre Nase an den Ledergeruch gewöhnt, sodass Franka wieder die Augen öffnete und ihren Blick durch den Raum gleiten ließ. In wenigen Vitrinen waren Aktentaschen, Brieftaschen, Portemonnaies und Schlüsseletuis ausgestellt. In einem einzelnen Regal befanden sich Reisetaschen und Shopper. Auf der Längsseite des Raumes hingen zahlreiche Gürtel an der Wand. Ein Mann war dort Zugange, befühlte Riemen für Riemen, ließ sie durch seine Hände gleiten und wandte seinen Blick immer wieder in eine Richtung, in die Franka ihm nicht folgen konnte.
Der Blick allein ließ Franka erschauern. Er war bestimmend und unterstrich den Eindruck, den Franka von der ganzen Körpersprache des Fremden hatte. Wem galt diese Haltung? Wem galt dieser Blick? Der Raum ging um die Ecke weiter, und wer oder was sich dahinter verbarg, war von ihrem Platz aus nicht zu erkennen.
»Dieser gefällt mir besonders gut, der einfache Riemen besticht durch seine Schlichtheit. Ich werde ihn einmal anprobieren«, hörte sie eine warme, tiefe Stimme. Ein Nesteln am Hosenbund. Der Mann schob den Gürtel durch die Schlaufen seiner Hose und verschloss ihn. »Wie wunderbar, er passt. Ich werde meine Freude an ihm haben. Nein«, er lachte vielsagend, »wir werden unsere Freude daran haben!« Der Mann öffnete den Gürtel wieder. Allein das metallene Klirren der Schließe bereitete Franka eine Gänsehaut, das Geräusch des den Hosenbund entlang streichenden Leders verdichtete sich in ihren Ohren und rauschte von dort in jede Faser ihres Körpers. Rasch griff sie nach der Wasserflasche, die sie immer mit sich herumtrug, und trank gierig daraus.
Mit zunehmender Erregung beobachtete Franka weiter, wie der Mann den Gürtel am Schnallenende fasste und ihn sich ein paarmal um seine schlanke, kräftige Hand wickelte. Mit einer ausholenden Bewegung ließ er das andere Ende des Gürtels auf seine andere Hand hinabschnellen. Nicht fest wohl, aber das Geräusch des peitschenden Leders kam für Franka einem Donnerschlag gleich. Sie biss sich auf die Unterlippe.
»Komm, wir sind hier fertig!« holte sie die Stimme des Mannes aus ihrer Verwirrung zurück. Sie hörte langsame, jedoch nicht etwa zögerliche Schritte, bevor sie eine Frau um die Ecke kommen sah. Sie trug lange schwarze Lederstiefel, die ein gutes Stück über ihre Knie reichten. Zwischen dem oberen Ende der Stiefel und dem Saum eines hellgrauen Gehrocks schimmerte elegantes Nylon. Über ihren Schultern lag ein schweres Seidentuch, das in vielfarbigem Rabenschwarz glänzte. Den Blick hielt die Frau gesenkt, als sie auf den Mann zutrat, der ihr den Gürtel reichte. Sie befühlte ihn andächtig, beinahe zärtlich und, wie Franka zu erkennen glaubte, sehnsuchtsvoll. Schnell wandte sie sich von den beiden ab und ging zielstrebig auf die Ständer mit den Gürteln zu, während das Pärchen sich auf den Weg zum Ausgang machte. Kurz schaute Franka ihnen hinterher, als sie draußen den Hof überquerten, der fast völlig im Dunkeln lag, jetzt, wo die Lichter in der Fertigungshalle aus waren und nur noch der Schein der Kerzen aus den Fenstern nach draußen drang. Der Mann hielt die Frau liebevoll im Arm, sie hatte sich an ihn geschmiegt.
In diesem Moment wusste Franka, dass ihre Sehnsucht nicht unerfüllt bleiben konnte, dass sie mit Guido reden würde, dass sie ihn nicht würde heiraten können, wenn er nicht bereit wäre, ihre Sehnsucht zu stillen.
Das Wechselbad der Gefühle der letzten Wochen war einer Zielstrebigkeit gewichen, mit der sie nun zum selben Gürtel griff, den der Mann soeben ausgesucht hatte. Als Franka die kleine Ledermanufaktur verließ, wusste sie, dass sie heute hier nicht nur ein Weihnachtsgeschenk gekauft hatte, sondern dass sich ihr Leben verändern würde.